Österreich ist eine Geisteskrankheit

Roman | David Schalko: Bad Regina

Der Ausverkauf und Niedergang touristischer Destinationen gehören zum Schrecken von Immobilienwirtschaft und Fremdenverkehr. Was passiert mit einem glamourösen Kurort, der zum bröckelnden Lost Place verfällt? Der österreichische Autor und Regisseur David Schalko stimmt einen herrlich morbiden Abgesang auf Bad Regina an. So grimmig, grantelnd und mit sarkastischem Humor, dass selbst Thomas Bernhard seine Freude hätte. Von INGEBORG JAISER

Einst galt er als mondäner Kurort, als Inbegriff der Sommerfrische und architektonischer Hotspot der Belle Époque: Bad Gastein im Salzburger Land, umgeben von den Hohen Tauern, bekannt für seine radonhaltigen Thermalquellen und einen imposanten Wasserfall. Kaiser Wilhelm I und Otto von Bismarck kurten hier, Kaiserin Sisi erklomm die umliegenden Berge. Doch die fetten Jahre sind vorbei. Längst bröseln nicht nur die Fassaden und verströmen höchstens noch maroden Charme. Von späten Bausünden wie einem brutalistischen Kongresszentrum aus den Siebzigerjahren ganz zu schweigen.

Vor dieser filmreifen Kulisse inszeniert David Schalko seinen neuesten Roman als garstige Alpen-Saga. Und kennt dabei kein Erbarmen. Fast wie im richtigen Leben rottet die einst begehrte Urlaubsdestination als Ruinenfeld dahin, schon halb überwuchert vom Wildwuchs. Da fragt man sich, »wie lange ein Haus ein Haus blieb und ab wann man es wieder Natur nennen müsste.« Das lockt höchstens noch Skurrilitätenjäger auf der Suche nach Lost Places an. Wenn sich die Einheimischen nicht gerade hinter »Geschlossene Gesellschaft«-Schildern verbarrikadieren. Doch nicht nur Misswirtschaft und touristischer Wandel bedingen den Abgesang. Ein ominöser chinesischer Investor namens Chen betreibt im großen Stil den Aufkauf von Bad Regina – und das zu übertriebenen Summen. Um danach die Immobilien schlichtweg verfallen zu lassen.

Sisters in Blisters

Nur noch 46 Verbliebene halten zäh die Stellung, mal renitent ausharrend, mal hoffnungslos resigniert. Wie Untote strawanzen sie ziellos durch die Gegend, zwischen Luziwuzi-Bar, Sanatorium und Kraftwerk – oder dem, was davon übrigblieb. Dabei könnte Schalkos abstruses Figurenarsenal einem verunglückten Horrorkabinett entsprungen sein. Allen voran der spitzbäuchige, von Gicht gepeinigte Frühpensionist Othmar, ehemals größenwahnsinniger Klubbetreiber und Songschreiber für die ortsansässige Punkband Sisters in Blisters. Jetzt lebt er vom Pflegegeld des im Wachkoma dahinvegetierenden DJs Alpha X (»Sein Blick wie eine ausgefädelte Tonbandkassette«), der vor 20 Jahren vollkommen zugekifft einen Skiunfall am Alpenhang erlitt und nun alle paar Wochen von Othmars kahlköpfiger (da krebskranker) Freundin Selma auftrittsreif restauriert wird.

Weiteres Personal: der zur Frau ummodellierte Kraftwerksdirektor Peter alias Petzi, der föhnwellige Ex-Mörder und Priester Helge, der im alkoholisierten Zustand aus dem Heldenplatz zitierende syrische Flüchtling Achmed. Und wenn schon Thomas Bernhard, dann die volle Dröhnung: seit der glücklose Hotelier Moschinger (»eine Alpenversion von Roger Daltrey«) bei eBay eine angeblich originale Bernhardsche Lederhose ersteigert hat, verfällt er vollends der grantelnden Heimatbeschimpfung: »Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit.« Man kann sich schon beim Lesen fürchten. Fans von pointierten Dialogen und schrägem Wortwitz werden auf ihre Kosten kommen. Feingeistige Leser tun jedoch gut daran, die Warnung des Verlags zu verinnerlichen: »Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden«.

Austriakischer Abgesang

Als Chen auch ein begehrliches Auge auf das hiesige Schloss wirft, hat Othmar genug von der feindlichen Übernahme und holt grimmig zum Gegenschlag aus. Details seien nicht verraten. Doch man kann gewiss sein, dass noch tief in der Nazi-Vergangenheit gegraben wird.

Der in Wien lebende David Schalko – bereits bekannt als furioser Filmemacher (Aufschneider, 2010) und Autor abgrundtiefer Romane (Schwere Knochen, 2018) – schlägt wieder gnadenlos zu und zieht Bad Regina als wüste Groteske im berüchtigt herb-derben Tonfall durch. Doch die trudelnde Abwärtsspirale von skurrilen Bösartigkeiten legt sich irgendwann schwer aufs Gemüt. Nur hartgesottene Leser werden das fast 400 Seiten umfassende austriakische Untergangsszenario in Gänze durchhalten. Doch wie skandiert schon der provokante Hotelier Moschinger: »Das Böse entsteht, wenn das Gute zu anstrengend wird.«

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
David Schalko: Bad Regina
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2020
396 Seiten. 24.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Stern im Herzen

Nächster Artikel

Kleine Quasselstrippe

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Im Auftrag der »Abteilung«

Roman | Andreas Pflüger: Endgültig Andreas Pflüger kennt man vor allem als Drehbuchautor. Mehr als zwanzig ARD-Tatorten haben seine Ideen zur Bildschirmpräsenz verholfen. Auch Theaterstücke und Hörspiele stammen aus der Feder des 58-Jährigen. Romane freilich gibt es von ihm bisher nur zwei: Operation Rubikon von 2004 und nun, in diesem Jahr, Endgültig. Das soll sich freilich ändern. Denn die Geschichte um die blinde Ermittlerin Jenny Aaron sei noch lange nicht zu Ende erzählt, bekundet ihr Erfinder im Nachwort zu seinem Roman. Von DIETMAR JACOBSEN

Chastity Riley und die rekonvaleszenten Bullen

Roman | Simone Buchholz: River Clyde

Nach ihrem Einsatz in der hoch über Hamburgs Innenstadt gelegenen Bar des River Palace Hotels hat Chastity Riley der Blues gepackt. Aber gerade jetzt ruft sie der Brief eines Glasgower Anwalts nach Schottland. Von hier ist ihr Ururgroßvater Eoin Riley einst nach Amerika aufgebrochen. Und während »die Letzte der Rileys« zwischen verschiedenen Pubs und dem ihr Abenteuer mit seinem melodischen Rauschen begleitenden Fluss Clyde ihrer Vergangenheit begegnet, stellen ein paar gierige Immobilienmakler St. Pauli auf den Kopf und beschäftigen ihre Hamburger Freunde und Bekannten. Aber auch die sind in Gedanken mehr in der Ferne als vor Ort. Von DIETMAR JACOBSEN

Alles, was ich über Onkel Grischa weiß

Roman | Lena Gorelik: Die Listensammlerin Ein totgeschwiegener Onkel, eine sterbende Großmutter und eine schwerkranke Tochter lassen die Nerven blank liegen. Und dennoch vermag es Die Listensammlerin – und natürlich Lena Gorelik –, mit Verve und Einfallsreichtum die Bruchstücke einer ungewöhnlichen Familienchronik zu schreiben. Von INGEBORG JAISER

Verrat, Intrigen und Gewalt

Roman | Mario Vargas Llosa: Harte Jahre

»Guatemala ist wahrscheinlich eines der schönsten Länder der Welt, aber seine Geschichte, vor allem die republikanische, ist auch eine der gewaltreichsten der Welt. Ich glaube, dass man mit gewisser Berechtigung sagen kann, dass der eindeutig von der CIA organisierte Putsch gegen Árbenz damals die Möglichkeiten eines großen demokratischen Wandels in Lateinamerika stark verringert hat«, erklärte Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa bei der ersten öffentlichen Präsentation seines neuen Romans Harte Jahre in Madrid. Eine Buchbesprechung von PETER MOHR