Gefangen im Nebel

Roman | Mathijs Deen: Der Schiffskoch

Ein kleines Buch, das alle Sinne stimuliert: Das Feuerschiff Texel ist ein stattliches und wer mag, kann es heute ganz real im Museumshafen Den Helder in den Niederlanden besichtigen. In Mathijs Deens bezaubernder Geschichte ist es aber noch im Dienst, liegt irgendwo weit vor der Küste vor Anker. Und es ist neblig, unheimlich, gespenstisch, alles andere als angenehm. Und zu alledem ist da noch ein verbotener vierbeiniger Passagier mit an Bord. BARBARA WEGMANN hat das Büchlein gelesen.

Lammert ist der Schiffskoch und es wird schnell klar, wie wichtig diese Position ist. Mit seinen Kochkünsten bringt der kautzige Mann für die Crew Lichtblicke in den schnöden Alltag des festliegenden Schiffes, auf dem man sich wie gefangen fühlt, eingesperrt, im wahrsten Sinne des Wortes an die Kette gelegt. »Bemannte Seezeichen« sind sie, die Männer auf der Texel. Ganz unterschiedliche Charaktere mit so eigenen Lebensläufen. Und ihr Job ist ein nicht ungefährlicher. »Die Texel war winzig unter diesem Himmel«.

Voller Sehnsucht beobachtet die Besatzung vorbeifahrende Schiffe, deren Routen in alle Welt führen, und man selbst sitzt fest. »Der elektrische Drehmotor des Leuchtfeuers summte. In unveränderlichem Rhythmus schickte es seine Lichtbündel übers Meer. Drei Blitze hintereinander, vier Sekunden Dunkel, ein Blitz zwanzig Sekunden Dunkel.« Wie ein Metronom, das den Takt bestimmt.

Für die Crew sind die Mahlzeiten im öden Alltag etwas Besonderes, »wie Striche auf einer Zellenwand« bringen sie den Moment näher, »in dem sie das angekettete Schiff wieder verlassen durften.« Ein Job und eine 112seitige Geschichte darum herum, die das Leben an Bord sehr intensiv, lebendig und so voller Berührungen miterleben lässt.

Etwas ganz Besonderes will Lammert der Mannschaft kochen: »Gulai kambing«, ein Ziegencurry, nach einem ihm von früher vertrauten und offenbar wertvollen Rezept. Wer das in seinem Leben nicht gekostet habe, so erzählt er, der wisse nicht, wie zart Schmorfleisch sein könne, schwärmt der Schiffskoch. Das vergesse man nie wieder. Lammerts wird auch nie wieder seine Jahre unter japanischer Gefangenschaft in Indonesien vergessen, die er mit seiner Mutter damals erlebte, Gewalt, Not, eine Zeit, die ihn prägte. Jeder Mann auf diesem Schiff hat seine Geschichte.

Stimmung und Atmosphäre, Deens malt sie geradezu mit Worten, schnell zieht es einen tief in diese kurze Erzählung, wie ein Sog, man geht mit an Bord, befindet sich in dichtem Nebel, Wasser und Wellen werden geheimnisvoller, gefährlicher, unberechenbar. Vorbeifahrende Schiffe sind nur noch schwer auszumachen. Gefangen ist man hier auf der Texel, ein bedrückendes Gefühl für vier Wochen Dienst. Außerdem: Dienst auf einem Feuerschiff, so die gängige Ansicht, sei ja auch keine »richtige Seefahrt«. In all dem liegen Frust, Unzufriedenheit, Gleichgültigkeit, stupides Funktionieren und dumpfe Pflichterfüllung. Man ist zusammen auf engem Raum und doch ist jeder für sich allein. Und dann dieser Nebel, dieser dichte, grauenhafte Nebel.

So dicht wie der Nebel ist auch die Erzählweise des Autors. Mathijs Deen wurde in Hengelo geboren, ist Journalist und Autor. Die Dialoge in seiner Erzählung scheinen das Lebendigste an Bord zu sein, kurze, knappe, klare Ansagen, eine eher distanzierte Bordsprache, ansonsten denkt sich jeder seinen Teil. Die überschaubare Szenerie wird dennoch immer farbiger, Geschichten schälen sich heraus, Menschen bekommen ein Profil.

Nur Lammerts mit an Bord gebrachtes lebendiges Ziegenböckchen bringt völlig ungewohnte Bewegung in das Leben an Bord. Alle Ordnung scheint dahin. Wer werde es töten, fragen sich die Seemänner, darf es überhaupt an Bord sein? Aber angesichts des verlockend klingenden Rezepts und der Abwechslung ist für den Kapitän klar: »Diesmal sehe ich darüber hinweg.« Neben all der Eintönigkeit und der Öde an Bord, in dem die Mannschaft zu versinken scheint, sind da auch Momente voller Humor und Nähe, fast sogar Freundschaft. Dann fühlt Lammert, dass ein Malaria-Anfall ihn für Tage an die Koje binden wird, aber das indonesische Eintopfgericht will er noch kochen. Nur stellt sich da ganz urplötzlich die Frage: »Hat jemand das Böckchen gesehen?« – Eine wunderbare Urlaubslektüre.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Mathijs Deen: Der Schiffskoch
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Hamburg: Mare Verlag 2021
112 Seiten. 18.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wie verhält man sich als Mensch?

Nächster Artikel

»…was bleibet aber, stiften die Dichter« (Hölderlin)

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Eine wunderbare literarische Entdeckung

Roman | Jack Kerouac: Mein Bruder, die See Jack Kerouacs Mein Bruder, die See erzählt von der Flucht aus der unsicheren Alltagswelt New Yorks ans rettende Deck eines Handelsschiffes. Von HUBERT HOLZMANN

Das reinste weiße Altmänner-Geschwätz

Roman | Arnold Stadler: Irgendwo. Aber am Meer

Irgendwo. Aber am Meer sollte er liegen, der vielfach gepriesene Sehnsuchtsort. Doch wie bereits in seinem Vorgängerroman Am siebten Tag flog ich zurück gönnt der Georg-Büchner- und Kleist-Preisträger Arnold Stadler seinem Ich-Erzähler lediglich den bloßen Blick auf das erträumte Paradies. Könnte das vielleicht sogar beglückender sein als das Erreichen des Ziels? Von INGEBORG JAISER

Halb Engel, halb Teufel

Roman | Paul Ingendaay: Königspark »Sie ist mir irgendwann in den Träumen erschienen und sie war der letzte Anlass, dieses Buch überhaupt zu schreiben. Ich hätte es sonst nicht geschafft. Ich brauchte eine Retterfigur, die da richtig reinfährt, ich brauchte eine schlagende Frau«, erklärte Paul Ingendaay über die äußerst unkonventionelle Protagonistin Nuria aus seinem neuen Roman Königspark. Rezensiert von PETER MOHR

Feinmechanikerin der Literatur

Roman | Zum Geburtstag der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer am 29. Dezember »Mir scheint ein großes Problem unserer Gegenwart zu sein, dass man mit so viel Sachen konfrontiert wird, mit so viel Menschen, und nicht nachkommt, wie wir es vielleicht eigentlich möchten, wirklich anteilnehmend diesen zum Teil auch Katastrophen gegenüberzustehen«, erklärte die Schriftstellerin Brigitte Kronauer in einem Interview vor zwei Jahren. Da war gerade ihr bisher letzter Roman Gewäsch und Gewimmel erschienen. Ein gewaltiges Opus von 600 Seiten, das uns eine völlig neue Facette der Autorin offenbarte, denn so humorvoll und unangestrengt wie in diesem Roman waren wir Brigitte Kronauer zuvor

Wie flüssiger Rauch

Roman | Rike Richstein: Die Farben des Sees

Die Farben des Sees wandeln sich jeden Tag, jede Stunde, je nach Wetterlage, Lichteinfall und Standpunkt. Jeder Betrachter nimmt aus seinem Blickwinkel andere Facetten wahr. Auch ein angemessenes Gleichnis für den zweiten Roman der in Konstanz lebenden Autorin Rike Richstein.  Ihre poetische Hommage an das Schwäbische Meer und die Menschen an seinen Ufern setzt einer Familiengeschichte einige neue Nuancen hinzu. Von INGEBORG JAISER