/

Eine wahre Heldin

Jugendbuch | Ann Petry: Harriet Tubman

Harriet Tubman wurde um 1820 in Maryland in einer fensterlosen Hütte auf der Brodas-Plantage als Araminta Ross, der Tochter von Harriet Greene und ihrem Ehemann Benjamin Ross geboren. Aus dem kleinen Mädchen wurde die wohl bekannteste Fluchthelferin der Underground Railroad. Eine wahre Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten sollte, findet ANDREA WANNER.

Das Buchcover zeigt den Kopf einer farbigen Frau vor dem Vollmond. Im Hintergrund der Szene läuft eine kleine Gruppe Menschen.Ann Petrys Biografie über Harriet Tubman ist nicht neu, die englischsprachige Originalausgabe erschien bereits 1955, also vor über 65 Jahren. In sachlichem Ton schildert sie die schrecklichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, unter denen die Sklaven damals litten, beschreibt die ärmlichen Verhältnisse, aus denen es kein Entrinnen zu geben scheint, berichtet von den drastischen Strafen, die all diejenigen erwartet, die die Flucht in den Norden versuchten. Die Nordstaaten oder Kanada waren die einzige Chance, die sich den in den Südstaaten vor allem auf den Plantagen arbeitenden Sklaven bot.

Harriet wuchs ohne Perspektive auf. Vielleicht würde sie später auch als Köchin arbeiten können, immerhin noch das Beste, was für so ein Mädchen zu erwarten war. Das Schicksal meint es nicht schlecht mit ihr: Sie überlebt eine schwere Kopfverletzung als Kind und auch ihre Vermietung an eine andere Herrin: Miss Susan bewahrt die kleine Peitsche auf einem Regal hinter ihrem Bett auf und macht ausgiebig Gebrauch von ihr. Die Narbe auf ihrer Stirn sorgt für Bewunderung und Respekt bei den anderen Sklaven. Und dafür, dass sie nicht mehr Minta oder Minty genannt wird, sondern die Kosenamen ihrem wirklichen Namen Platz machen: Harriet.

1849 gelingt ihr selbst die Flucht nach Pennsylvania – mithilfe einer weißen Frau. Und enttäuscht stellt sie fest: »Da war niemand, der mich im Land der Freiheit willkommen geheißen hätte.« Aber sie ist frei und will, dass das auch anderen möglich wird. So organisiert sie 1850 die Flucht ihrer Schwester und kehrt unter dem Namen Moses mehrfach in die Südstaaten zurück, um auch anderen bei der Flucht zu helfen.

Es ist die beeindruckende Geschichte einer Frau, die im Sezessionskrieg als Krankenschwester und Köchin arbeitete sowie als Kundschafterin für die Nordstaaten – und die mehr als 300 Menschen das Leben rettete. Tatsächlich geriet sie nach ihrem Tod im März 1913 mehr oder weniger in Vergessenheit, ehe sie ab der Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem auch für die amerikanische Kinderliteratur wiederentdeckt wurde.

Die Neuauflage bei Nagel & Kimche wurde von Hella Reese sorgfältig übersetzt, Quellenangaben wurden überprüft, das Buch um ein Glossar ergänzt. Petrys Biografie der berühmten Fluchthelferin ist ein besonderes Dokument, das sowohl dem Einzelschicksal einer mutigen Frau als auch den historischen Hintergründen genug Raum gibt. So bewegt sich das Jugendbuch mit den an jedes Kapitel angefügten geschichtlichen Details an der Grenze zum Sachbuch: packend geschrieben und ein literarisches Denkmal für eine besondere Kämpferin.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Ann Petry: Harriet Tubman
Fluchthelferin bei der Underground Railroad
Aus der Sklaverei in die Freiheit
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hella Reese
München: Nagel & Kimche 2022
176 Seiten. 16 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ungewollt aktuell

Nächster Artikel

Wenn der Nordwind bläst

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Unsicherheit garantiert

Jugendbuch | Ulrike Renk: Liebe ist keine Primzahl Sicheren Boden unter den Füßen haben, sich sicher sein, in Sicherheit wissen und das ständig, wer wünscht sich das nicht? Leider sind das Kinderträume. Das merkt man zuerst und dann unerwartet schmerzlich in der Pubertät. Da wird klar, dass das Leben, wenn schon nichts anderes, zumindest Unsicherheit garantiert. Wie man mit dieser Erfahrung zurechtkommt, zeigt Ulrike Renk in ihrem ersten Roman für Jugendliche ›Liebe ist keine Primzahl‹. Von MAGALI HEISSLER

Radikal

Jugendbuch | Lisa Bjärbo: Alles, was ich sage, ist wahr Wenn einer der Ist-Zustand unerträglich vorkommt, muss sie etwas ändern. Manchmal auch mehr als nur etwas. Wenn man allerdings knapp siebzehn ist, neigt man zu radikalen Schnitten. Alles ändern ist entschieden radikal. Alicia tut es. Die schwedische Autorin Lisa Bjärbo läßt sie in Alles, was ich sage, ist wahr erzählen, wie das Leben nach radikalen Schnitten aussieht. Von MAGALI HEISSLER

Keine Rettung in Sicht

Jugendbuch | Lindsay Galvin: Abgründige Geheimnisse Zwei Schwestern, Aster und Poppy, sind nach dem Tod ihrer Mutter auf dem Weg nach Neuseeland. Dort sollen die beiden bei ihrer Tante, einer renommierten Krebsmedizinerin, leben. Was ein neuer Anfang sein könnte, wird zum Alptraum. Von ANDREA WANNER

»Buchtitel Nr. 73: Es könnte ein bisschen wehtun«

Jugendbuch | John Corey Whaley: Hier könnte das Ende der Welt sein Die zweite Leiche, die der 17jährige Cullen in seinem Leben zu Gesicht bekommt, ist die seines Cousins Oslo. Ein vorhersehbarer Drogentod. Dabei ist sonst in Lily, einer verschlafenen Kleinstadt in Arkansas, nichts los. Das ändert sich. Von ANDREA WANNER

Wundersame Zusammenhänge

Jugendbuch | Bonnie-Sue Hitchcock: Der Geruch von Häusern anderer Leute Das Leben ist ein wirbelndes Chaos, unmöglich zu durchschauen, der Untergang ist gewiss. So erleben es viele Teenager. Aber das ist eine einseitige Sicht auf die Welt. Tatsächlich gibt es Sicherheiten in diesem Wirbeln und das sind vor allem die Verbindungen der Menschen untereinander. Man muss sie nur finden wollen, dann sind sogar Wunder möglich. Bonnie-Sue Hitchcock präsentiert mit ihrem Debüt nicht nur eine ausgefallene Geschichte, sondern auch eine erstaunliche Sicht auf die Dinge. Von MAGALI HEISSLER