Es gibt Situationen, auf die kann man sich selbst oder seine Kinder nicht vorbereiten. Der Tod ist so eine Situation. Viele Emotionen kommen zusammen, meist unvorbereitet, wie eine Welle, die über einen schwappt. Jeder geht mit dem Tod anders um, ob alt oder jung, in welcher Religion oder welchem Lebensglauben auch immer. Die Geschichte hier zeigt, dass der Tod sicher kein Thema ist, das man bei Kindern ausklammern sollte, denn gerade sie haben ihre ganz eigene Sicht. BARBARA WEGMANN hat das Büchlein gelesen.
»Heute Nacht ist Opa gestorben. Einfach so«, sagt Oma. »Er hat mich wachgestupst, sah mich an und war tot.« Thomas, der gerade bei den Großeltern ist, möchte zu seinem geliebten Opa, aber die Oma lehnt ab, der Tod, das sei etwas für alte Leute, nicht für Kinder. Thomas schafft es, sich dennoch zum Opa ins Schlafzimmer zu schleichen.
»Sehr tot sieht er nicht aus; eher so, als würde er schlafen.«
Während der Folgetage erinnert sich Thomas an die vielen Träume, von denen der Opa ihm immer erzählt hat. Wie er mit dem Hubschrauber ganz hoch flog, auf dem Dach eines vierhundert Stockwerke hohen Hochhauses landete und dann plötzlich in die Tiefe stürzte. »Auf einmal saß ich in einer gemütlichen Küche mit einer Tasse Kaffee auf dem Tisch. Und dann war es schön, neben Oma aufzuwachen.« Nähe und Geborgenheit, die Thomas bei seinen Großeltern findet, spiegeln sich in den Seiten wider, auch wenn der Tod des Opas alles so brutal zu beenden scheint. Ob er manchmal auch von ihr träume, fragt die Großmutter ihren Mann. Nur, so antwortet der Opa, wenn er vor etwas Angst habe. »Dann bist du immer bei mir.«
Thomas verfolgt, wie der Opa vom Bestattungsunternehmen abgeholt wird und er lernt, dass das Traurigsein auch seine Zeit braucht.
»Leute in Geschichten weinen, wenn jemand tot ist. Meine Oma nicht. Ich auch nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich traurig bin. Es ist, als fehlte etwas. Kein Arm oder Bein oder so. Etwas innen drin.«
Wie treffend ein kleiner Junge das beschreiben kann!
Die Oma meint, der Opa sei im Himmel, Thomas Eltern glauben nicht an den Himmel und sein Freund Omar, der Muslim ist und dessen Gott Allah heißt, sagt, der Opa komme sicher in den Himmel, er müsse nur vielleicht durch eine andere Tür kommen.
Dolf Verroen wurde für seine Geschichten in den Niederlanden schon mit dem ›Silbernen Griffel‹ ausgezeichnet, einem der wichtigsten Kinderbuchpreise im Nachbarland und bei uns gewann er 2006 den Deutschen Jugendliteraturpreis mit dem Kinderbuch: »Wie schön weiß ich bin«. Verroen erzählt nun hier die Geschichte vom Tod des Opas auffällig nüchtern, distanziert, emotionslos. Das Leben ist nun mal so. Er gibt wieder, spiegelt nüchtern die Situationen, schmückt aber nicht aus oder schwelgt in Gefühlsduselei. Denn das Leben ist nun mal so. Charlotte Dematons lässt da in ihre Illustrationen schon eher die Gefühle einziehen und einfließen, die Angst in den Träumen, die stille Traurigkeit und die bedrückende Leere nach Opas Tod. Wilde, abenteuerliche Träume, von denen der Opa erzählte, wechseln sich ab mit realem Geschehen, das wird auch in den Illustrationen sehr deutlich.
Es kommt der Tag, an dem der Opa eingeäschert wird, bei Muslimen sei das ganz anders, sagt Omar, aber wie »anders«, darauf bekommt man leider keine Antwort, schade, eine verspielte Chance.
Dann plötzlich stellt Thomas fest, dass er sich an den Opa nicht mehr erinnern kann.
»Es ist fürchterlich. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich kann mich an nichts mehr erinnern … Ich betrachte seinen leeren Stuhl. Ich bin traurig und böse zugleich. Als hätte er mich im Stich gelassen.«
Da sind sie dann doch, die Emotionen. Und das ist gut so, denn sie werden Thomas zeigen, dass man einen geliebten Menschen nie vergessen wird, selbst wenn man sich tagsüber irgendwann an nichts mehr erinnern kann, wer weiß, vielleicht ja in den Träumen.
Titelangaben
Dolf Verroen: Traumopa
Mit Illustrationen von Charlotte Dematons
Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2021
40 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 6 Jahren
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