Vermutlich gibt es nur wenige Haushalte mit Büchern, in denen kein Märchenbuch der Brüder Grimm steht. Selbst wenn: ANDREA WANNER hat sich eines angeschaut, das sie ganz besonders märchenhaft findet.
Man braucht es noch gar nicht zu öffnen und ist schon hingerissen. Schwer liegt es in der Hand, auf dem dunkelblauen Leinenrücken steht der Titel. Nicht einfach Grimms Märchen. Viel schöner: »Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat« prangt da in goldenen Lettern. Auf dem Umschlag wie hingehuscht kleine, zarte Zeichnungen in Rot, die dann auch im Buch großzügig verteilt sind. Und in der Mitte, in einem ovalen rahmen ein Mädchen mit einer Spindel in der Hand. Das scheint die Ärmste zu sein, die Stroh zu Gold spinnen muss. Aber irgendwie wirkt sie selbstbewusst und keck und auf eine besondere Art aus der Zeit gefallen.
So begegnen uns all die bekannten Märchenfiguren. Schneeeweißchen und Rosenrot, das kluge Schneiderlein oder Schneewittchen: Wir kennen und erkennen sie alle und überlegen dabei doch, ob es nicht Kinder und Erwachsene unserer Tage sind, die sich als die Mädchenfiguren verkleidet haben. Ein eigenartiger Charme geht von ihnen aus, die einem beim Umblättern oft direkt und verblüffend offen ins Gesicht schauen.
Der goldene Schlüssel ist den Märchen vorangestellt, 29 an der Zahl, die in sechs Themenbereiche eingeordnet werden: Es beginnt mit den Märchen, die von Geschwistern berichten, natürlich findet sich da auch Hänsel und Gretel. Es folgen Tiermärchen, besonders hübsch inszeniert Das singende, springende Löweneckerchen. Dann kommen die Königsstöchter, danach die alten, weisen Frauen und Hexen. Im Anschluss geht es um verzauberte Prinzen und den Abschluss machen die kleinen Männlein, zu denen neben Rumpelstilzchen der Hurleburlebutz zählt.
Es ist eine kleine, feine Auswahl, in der sich viele der bekanntesten Märchen finden. Sprachlich sind sie nahe am Original und dennoch nicht sperrig oder schwer verständlich. Der Ton führt direkt in die verzauberte Welt der Märchen, wie ein roter Faden leiten die Vignetten der Künstlerin durchs Buch, das man gar nicht mehr aus der Hand legen mag.
Titelangaben
Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat
Die schönsten Märchen der Brüder Grimm
Mit Bildern von Julie Völk
Hildesheim: Gerstenberg 2021
400 Seiten, 32 Euro
Für alle
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