Ofenschlupfer bewirken Wunder

Kinderbuch | Julia Willmann: Rascha und die Tür zum Himmel

Veränderungen gehören zum Leben. Sie passieren, ob wir das wollen oder nicht. Auch Rafael macht in dieser Geschichte damit seine Erfahrungen. ANDREA WANNER war berührt von diesem einfühlsamen Kinderbuch.

Das Bild zeigt einen Jungen auf einem TretrollerDie Beziehung zwischen Rafael und seiner Großmutter ist innig. Er hat aus »Oma Ida« »Ima« gemacht, sie nennt ihren Enkel »Rascha«, eine Abkürzung von »Rafael« und »Schatz«. Sie verbringen viel Zeit zusammen, den Ima wohnt in demselben Haus wie Rascha und seine Eltern, und teilen Geschichten und Erinnerungen an Opa Karle, der schon im Himmel ist. Rascha liebt Imas Trostessen, Ofenschlupfer, mit denen sie die Welt immer wieder in Ordnung bringen kann und auch noch so hohe Wogen geglättet bekommt. Und dann verbindet sie auch noch die Liebe zur Fastnacht, die da, wo die Geschichte spielt, eine große Rolle spielt. Beim Narrensprung, dem jährlichen Umzug der schwäbisch-alemannischen Fasnet, sind alle mit ihrem Narrenkleid unterwegs. Und selbst so eines zu besitzen ist Raschas allergrößter Traum.

So könnte das Leben einfach weitergehen, Rascha würde von seinem Fasnetskostüm träumen, alles wäre gut – und wenn es doch mal Stress gäbe, würde Ima in ihrer Küche d werkeln und mit dem süßen Auflauf mit Vanillesauce wäre schnell alles wieder gut.

Aber dann wird Mama schwanger und alle freuen sich auf das »goooldige« Mädchen. Rascha findet Leni vor allem nervig. Rascha bekommt Stress mit Tim, dem doofen Angeber aus seiner Klasse. Aber das Schlimmste ist, dass Ima die steilen Treppen im Haus nicht mehr schafft und in ein Altersheim zieht. »Zurückändern geht nicht« muss der Junge feststellen und das ist keine leichte Erkenntnis.

Julia Willmann erzählt ihre Geschichte konsequent aus der Perspektive des Jungen. Es sind genau beobachtete Alltagsmomente, so wie man sie als Kind aufnimmt: mit Augen, Ohren und Nase. Manches versteht man, anderes fügt sich erst später in das Bild. Für den Jungen gehört der Glaube an den Himmel, in dem Opa schon auf Oma wartet, zu den Selbstverständlichkeiten. Irgendwann warten sie dort auch auf ihn. Das kann dauern, solange es will. »Im Himmel gibt’s nämlich keine Zeit. Da ist für immer jetzt«, weiß Ima. Und das beruhigt Rascha ungemein. So braucht er sich keine Sorgen zu machen, nicht um das Heute, nicht um das Morgen, nicht um Ima. Sondern kann alles Schöne genießen. Und das tut er dann auch. Im Narrenkleid beim Narrensprung, ausgelassen und hinterher genau so erschöpft, wie man es nach den Faschingstagen sein muss.

Dass sich dann am Ende alles findet, wieder Menschen um den lange unter Krempel verschwundenen Tisch sitzen und gemeinsam essen, ist auch Raschas Verdienst. Leise und behutsam, aber nie betulich erzählt die Autorin in ihrem Debütroman für Kinder. Es tut gut zu erleben, wie es Lösungen für Probleme gibt, wie Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden, Unvermeidliches nicht ausgeklammert wird und auch der Tod zum Leben gehören darf.

Das alles begleiten die Bilder von Jens Rassmus, die eine Außensicht auf Rascha zeigen, nuanciert – manchmal, als ob ein Scheinwerfer auf ihn gerichtet wäre. So kann man sich das alles noch besser vorstellen, ohne dass einem Freiheit und Fantasie genommen werden.

Und natürlich gibt es ganz am Ende das Rezept für Imas Ofenschlupfer, deren Wirkung Rascha so beschreibt: »Erst fühlt es sich gut im Mund an. Dann gut im Bauch. Und dann überall gut, sogar in den Füßen und ganz innen im Kopf.« So ähnlich geht es einem mit der ganzen Geschichte.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Julia Willmann: Rascha und die Tür zum Himmel
Mit Bildern von Jens Rassmus
Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2021
128 Seiten, 14 Euro
Kinderbuch ab 9 Jahren
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