»Glücklichsein als Regierungs-Programm«

Sachbuch | Alles Glück der Welt

Im kleinen Himalaya-Staat Bhutan steht es in der Verfassung: »Der Staat ist bestrebt, jene Bedingungen zu fördern, die das Streben nach dem Bruttonationalglück ermöglichen.« Das stelle man sich in einem europäischen Staat vor. Bhutan steht nicht umsonst als erster Staat in diesem Buch, auch wenn er es nicht unter die ersten 30 Länder dieser spannenden Hitliste geschafft hat. Aber, was heißt das schon, und überhaupt: Was ist eigentlich Glück? BARBARA WEGMANN ging auf Spurensuche.

Das Bild zeigt farbige Hände, die sich zum Himmel streckenEs ist der World Happiness Report, jährlich von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben, der diesen 272 erkenntnisreichen Seiten zugrunde liegt. Gar nicht so einfach, so eine Rangliste zu erstellen, welche Kriterien liegen zugrunde, wie kann man so unterschiedliche Länder dieser Welt vergleichen nach halbwegs gerechten Kriterien? Schließlich »begreift und interpretiert jeder Kulturkreis, jeder Einzelne, Glück ganz unterschiedlich.« Erstmals untersuchte man das weltweit 2011. Kriterien sind unter anderem die Lebenserwartung, das »Maß an sozialem Angebot für Bedürftige«, die Spendenbereitschaft, die persönliche Entscheidungsfreiheit und die ‚Korruptionswahrnehmung‘.

Schon zum vierten Mal steht Finnland an erster Stelle, jenes Land, in dem es mehr Saunas als Autos gibt«, das Land, das zu 90 Prozent von Wasser oder Wald bedeckt ist. »Wäre Pipi Langstrumpf Finnin, dann würde auch sie hier wohnen«, sagt Petri Honkala, 59, Happiness Guide. Von Glück mag er nicht sprechen, eher von Zufriedenheit. Als Happiness Guide zeigt der Mann, der eigentlich Physiotherapeut ist, Touristen aus anderen Ländern »den finnischen Weg zum Glück«. Glück, so fanden Tourismusunternehmen schlitzohrig heraus, ist schließlich auch »ein gutes Verkaufsargument.«

Es sind die Berichte von Einheimischen, von Zugezogenen oder jahrelangen Besucher der Länder, die die 30 glücklichsten Länder der Welt begleiten und atmosphärische Bilder liefern. So wie auch die Erinnerung von Rasso Knoller, der mit seiner ersten Freundin einst in Finnland war. »Mir war klar, ich würde wiederkommen. Im nächsten Jahr … Und im übernächsten auch. Irgendwann war Ruth nicht mehr dabei, die Liebe zu Finnland aber ist bis heute geblieben.«

Irgendwie scheinen die Skandinavier glücklicher zu leben als der Rest der Welt, schließlich stehen Norwegen, Island, Dänemark und Schweden auf den ersten Plätzen der so ganz besonderen Hitliste. Und Deutschland? Auf Platz 17

Ein junges Paar aus Dessau erzählt: über die »fast komplette Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, den unsensiblen Wiederaufbau zu DDR-Zeiten, über die enorme Abwanderung im Zuge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung«. Stefanie und Johannes studieren Design in Dessau. Ihr Ziel: einen Ort zu schaffen, der nicht nur »das Äußere der Stadtkultur optimiert, sondern, der in die Stadtgesellschaft hineinwirken kann«. Ein altes Café soll Treffpunkt werden, zum Austausch animieren, um »die eigene Stadt erlebnisreicher und lebenswerter zu machen«. Eine tolle Idee.

Je weiter man sich auf der Hitliste der glücklichsten Länder von Platz eins entfernt, so stellt man fest, wie schwer und zweifelhaft diese Klassifizierung ist, und vielleicht auch, wie wenig sinnvoll oder unsinnig sie ist. Spanien und Italien liegen auf den letzten Plätzen, Argumente dafür, man kann sie nicht entdecken.

Das jeweilige politische System, zum Beispiel die Frage, ob es in dem jeweiligen Land eine Diktatur oder eine Demokratie gibt, sind für die Untersuchung irrelevant, auch die »geografischen Einflüsse von Klima und Umwelt werden nicht direkt berücksichtigt.« So wird der Bildband zu einer Reise durch 30 Länder, die Glück und Zufriedenheit auf ihre ganz eigene Weise besitzen: Viele Eindrücke, viele Momente und ganz viel Emotion. Ein echter Glücksindex aber ist dieser Happiness-Report sicher nicht.

Letztlich zeigt das auch jenes Land, das wie Bhutan zwar nicht in der Top30-Liste steht, aber dennoch offenbar erstaunlich viel Glück zu bieten hat: Simbabwe. Im offiziellen Report landet das von »tiefer Armut betroffene Land« auf Platz 148, »bordet aber über von kulturellem Reichtum und paradiesischer Natur. Und vertrauensvoller Zuversicht.«

Schade, dass so wenig berücksichtigt wird, wie sehr die Staatsführungen dieser Welt, korrupt oder diktatorisch, ausbeuterisch oder Natur zerstörend oder alles zusammen für das Glück der Bewohner verantwortlich sind. Da möchte man gern in Bhutan leben, so abgeschlossen das Land auch ist. Wäre es das nicht, wäre es vielleicht auch dort bald vorbei mit dem großen Glück.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Alles Glück der Welt
Vom Leben der Menschen in den 30 glücklichsten Ländern der Welt
München: Kunth Verlag 2021
272 Seiten, 39,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche

Nächster Artikel

Fenster zum Bahnhof

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Fotografische Zeitreise

Kulturbuch | Thomas Kierok: Hundert Thomas Kierok ist freier Fotograf, Dozent und Buchautor. Schwerpunkt und Leidenschaft: die Porträtfotografie. Die Aneinanderreihung von Porträts aus einhundert Geburtsjahrgängen mag auf den ersten Blick simpel erscheinen, aber die Bilder fesseln und erzählen Bände. BARBARA WEGMANN hat in dem Bildband geblättert.

Bleib erschütterbar!

Sachbuch | Menschen | Ausstellung | Zwischen den Kriegen: Laß leuchten!

Vor 12 Jahren starb der Dichter Peter Rühmkorf. Letztes Jahr, zu seinem 90. Geburtstag gab es eine Ausstellung in Hamburg und den Reprint seiner Zeitschrift ›Zwischen den Kriegen‹, die er in den 50er-Jahren mit Werner Riegel zusammen herausgab. Und nun, zur Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum in Marbach, ist noch ein Buch über ihn erschienen, das Marbacher Magazin. Alles zusammen sehr lesenswert. Von GEORG PATZER

Eine jüdische Lebenswelt

Sachbuch | Julius H. Schoeps: Dorothea Veit/Schlegel. Ein Leben zwischen Judentum und Christentum

Brendel Mendelssohn, die später Dorothea Schlegel hieß, zählte zu den bekanntesten Schriftstellerinnen und Literaturkritikerinnen der deutschen Romantik. Aber nicht nur ihr Werk, sondern auch ihr Leben und ihre Verbindung zu Friedrich Schlegel sorgten damals für Aufsehen. Der Historiker, Publizist und Vorsitzende der Moses Mendelssohn Stiftung Julius H. Schoeps hat eine feine, kleine Biographie über diese besondere und bemerkenswerte Persönlichkeit geschrieben. BETTINA GUTIERREZ hat ihn hierzu befragt.

Abtauchen und abschalten

Sachbuch | Tobias Friedrich, Linus Geschke: Im Reich der Stille

Es macht nichts, wenn Sie nicht tauchen können, zum Eintauchen in dieses Buch bedarf es keiner Ausrüstung oder Ausbildung. Suchen sie sich aber ohne Zeitdruck einen gemütlichen Platz, Sie werden sehen, das Einlassen auf diesen gewaltigen Bildband wird zum eindrucksvollen Erlebnis. BARBARA WEGMANN über eine Reise durch die Welt, in der wir leben, die aber die meisten von uns nie sehen werden.

Einige ziehen blank, andere Bilanz

Gesellschaft | Ulrike Heider: Vögeln ist schön »Sexualität ist gefährlich und schmutzig. Sexualität ist gut und sorgt für Frieden. Sexualität ist weiblich. Sexualität ist Identität. Sexualität ist Macht und kommt vom Verbot. Sexualität ist Verhandlungssache.« Das ist der Sex der letzten fünfzig Jahre. Vieles wurde verworfen, einiges wiederholt. Fasziniert von der Gegensätzlichkeit der Beschreibungen begibt sich Ulrike Heider in ›Vögeln ist schön‹ auf die Suche nach dem Sexualbegriff ihrer eigenen Lebenszeit. Während der Betrachtung der wichtigsten sexualpolitischen Ereignisse und der Analyse philosophischer Klassiker, zeitgenössischer Literatur und Filme, kommt sie nicht umhin ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Mit der Würze