An Pfützen lernst du nicht vergebens. Platsch – hast du den Sinn des Lebens. Ein regenbogenfarbiges Fest für die Sinne, mit bildumrankten Geschichten: Zum zwölften Mal gibt die Internationale Jugendbibliothek den Kinderkalender heraus, und SUSANNE MARSCHALL ist wieder begeistert!
Quietschgelb sind ihre Gummistiefel, moosgrün ist die Strumpfhose, ihr braunes Kleid in Karos eingeteilt. Vergnügt tanzt das rotwangige Mädchen mit ihrem Regenschirm – außen ist er himmelblau, innen ist er wolkengrau: »Auf die Frage, was ist Glück, weiß die Antwort Véronique. Wenn du keinen Ärger kriegst, weil du in der Pfütze liegst.« Da wartet schon ihr Schatten, riesengroß und imposant, und glitzert ihr aufmunternd das nächtlich bunte Sternengefunkel entgegen: »An Pfützen lernst du nicht vergebens. Platsch – hast du den Sinn des Lebens. Auch wenn er arg bekladdert ist, glückliche Kinder quengeln nicht.«
Unwillkürlich schmunzeln muss man beim Lesen des Gedichts von Tarmo Vaarmets, und beim letzten Satz wird das Schmunzeln zu einem breiten Grinsen: Wofür eine Pfütze doch alles gut sein kann, selbst der Sinn des Lebens lässt sich damit erklären … Verspielt und auf tänzelndem Fuß kommt der Text daher, verschmitzt ist seine offenherzige Direktheit, und der Schalk linst zwischen den Worten hindurch. Doch unter all der Schelmerei, der scheinbar so einfach gestrickten Zusammenhänge schwingen vieltönige Zwischenklänge, und mit seinem tiefgründigen Scharfblick hat das Gedicht schon fast etwas Daoistisches an sich.
Er ist wieder eine helle Freude, der Kinderkalender, den die Internationale Jugendbibliothek nun schon zum zwölften Mal herausgibt: Prall gefüllt und märchenhaft durchwebt mit schillernd bunten Gedichten und Geschichten aus aller Herren Länder – tönend illustriert, klangvoll komponiert. Und so öffnet jedes der 53 Wochenblätter eine neue kleine Welt, ein berauschendes Geglitzer aus Wort und Bild, dem der Grafiker Max Bartholl mit seinem poetischen Gespür das letzte Quäntchen Leben einhaucht. Der jedes Kalenderblatt beseelt und portugiesische, tschechische, finnische Originaltexte, kreolische, griechische und schwedische, chinesische, niederländische, slowakische, die in Rätoromanisch oder Farsi mit der deutschen Übersetzung und den Illustrationen so arrangiert, dass ein funkelndes Gesamtkunstwerk entsteht.
Chamäleon und Yeti, Kakaoglück und Traurigkeit
Im letzten Januarblatt erdreistet sich doch tatsächlich der kleine Ziesel, »den Fuchs zu Tisch zu bitten …«. War nicht klug. Es gab nämlich nur »gekochte Hirse an frischem Erbsengrün.« Nicht gerade die Leibspeise von Herrn Fuchs: »Das Grünzeug ließ er gelten als Spezialität, die Hirse hat er dankend, doch rigoros verschmäht.« Der Ziesel hätte sich mal besser nach den Essgewohnheiten des Fuchses informiert … »Und als der Fuchs am Abend sich hungrig heimgetrollt, da gab es Zieselbraten mit Hirsebrei gefüllt.«
Auch das Chamäleon war nicht besonders schlau. Ein begnadeter Schauspieler erst, der »mit hundert Namen und sechs Gesichtern dreimal täglich in zwei Vorstellungen« auftrat: »Aber es vergaß das Zähneputzen!!!« Ziemlich blöd gelaufen, denn das wurde ihm zum Verhängnis: Schluss und vorbei war’s mit der Schauspielerei. Der Yeti war da schon sehr viel pfiffiger: Er hat es satt am Pol zu leben – »der Bursche friert in einem fort« – und kurzerhand entscheidet er sich, dass »er ins Flugzeug steigen muss. Er wandert aus an einen warmen Ort.« Endlich geht es ihm gut: »in praller Sonne … springt (er) in die Luft vor lauter Wonne«.
Von einem Schifflein wird erzählt, dem »zarte Kräusellocken aus dem Schornstein flocken …« Ein Schleier wird daraus, »der zieht sich hin hauchdünn, wird lang und länger … Als zöge eine schöne Braut zu ihrer Hochzeitsfeier.« Die Buntspechte müssen die Schulbank drücken, »büffeln bis spät … Morse-Alphabet« und die Katze Pieternel hat die Nase voll von ihrem weißen Fell: Es ist immer schmutzig, da kann sie sich putzen so viel sie will. Dann kommt ihr eine zündende Idee: »Das Weiß ist mir jetzt einerlei, ich geh zu einer Färberei!« Was ist sie glücklich hinterher: »Weiß war hinderlich, Grau ist nicht so empfinderlich.« Die dicke Kuh dagegen hat es nicht so gut getroffen. Will einfach nur ein Bad nehmen, aber »der See schrie wütend schrill: So nicht! Und geriet ganz außer sich.« Verschwunden ist er plötzlich und die Kuh liegt ganz verdattert auf dem Trockenen: »Wohin geriet er denn? Wer weiß! Vielleicht kommt er ja auch wieder und tröpfelt dünn als Regen nieder.«
Blätter fallen vom Baum vor dem Reiskuchenladen, dabei windet es doch gar nicht. »Nanu, was ist denn das? Fliegen sie etwa, hurururu, wieder hinauf?« Es ist zwar nicht Winter, aber »weiß ist es dennoch vom gestreuten Reis vor dem Reiskuchenladen. Sind das nicht die Spatzen, die, vom Futter gelockt, wie Blätter hinabsegeln?« Es geht um dampfendes Kakaoglück, die schöne Vision einer autolosen Fahrradstadt und Giraffen, die den Schatz eines Königs behüten, der vor 5000 Jahren lebte. Es wird von einem Mädchen erzählt, das seine Traurigkeit auf dem Flohmarkt verkauft, »ausgebreitet vor mir wie ein Stück Stoff.« Dann regnet es, doch das Mädchen weiß, dass bald die Sonne scheint: »Und dann wird wohl einer kommen und meine Traurigkeit kaufen, um ein Sommerkleid daraus zu machen.« Und von irgendwoher ruft es – ein Kind? – nein, ganz sicher viele, die vor dem Schlafengehen noch eine Gute-Nacht-Geschichte hören wollen: »erzähl mir eine Geschichte / erzähl sie mir gleich / sonst werd‘ ich hier warten / bis Erde Meer Mond und Sterne / bis alle sprechen alle zugleich«.
Es üppt und glückt, flüstert und tost, klingt und singt aus dem Kinderkalender, dass es eine wahre Wonne ist. Es gibt lustige Gedichte und tiefbassige, zart duftend versonnene und tiefsinnig raunende. Manche wummern, andere flüstern, wieder andere orchestrieren. Sie sind melodiös und scharfsinnig, poetisch, philosophisch und auch politisch. Tönen sonnig und wonnig, traurig und schaurig, sind augenzwinkernd und geheimnisvoll, kicherig, hintergründig, skurril, verblüffend … Werden durch die malerischen, originellen, traumverspielten – die geradlinigen, sachlichen, peniblen – die wilden, schrillen, eigensinnigen und märchenhaften Aquarelle, Zeichnungen, Collagen, Graphiken, Malereien zu einem funkelnden Kaleidoskop. Jedes Blatt ist ein regenbogenfarbiges Fest für die Sinne, das zum Weiterspinnen der Geschichten einlädt …
Titelangaben
Der Kinder Kalender 2022
Herausgegeben von der Internationalen Jugendbibliothek
Verlag edition momente
60 Blätter, 53 vierfarbige Illustrationen, 22 Euro
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