Es wird uns heute schon bestimmt, der nächsten Generation ganz sicher, nichts anderes übrig bleiben, als sich mit »künstlicher Intelligenz« auseinanderzusetzen. Und vielleicht kann man damit ja nicht früh genug beginnen, wie die Geschichte für Kinder von Rüdiger und Walter zeigt. BARBARA WEGMANN hat sie gelesen.
Rüdiger ist ein Tüftler, ein Bastler, ein Erfinder. Klare Sache, dass er seine Werkstatt über alles liebt. Walter, das ist Rüdigers Bruder, er hat es eher mit dem Haushalt. »Du solltest ein »Dingsda« erfinden, das bei der Hausarbeit hilft.« Das lässt sich Rüdiger nicht zweimal sagen. Nach einem Tag und einer Nacht ist das »Dingsda« fertig und sieht aus wie ein kleiner roter Pilz auf zwei Füßen, zwei Antennen auf dem Kopf und eine kleine Solarzelle am Körper. Walter freut sich und hofft, nun bald keine Hausarbeit mehr machen zu müssen. Aber dann nehmen die Dinge ihren Lauf.
Plötzlich kann das »Dingsda« sprechen, interagiert, räumt ohne Aufforderung die Werkstatt auf, putzt die Fenster und übernimmt überhaupt im ganzen Haushalt die Regie. Dazu gehört auch, dass der merkwürdige und schon unheimlich lebendige kleine Knirps die Gestaltung des Speisezettels der beiden wahrlich nicht ganz untergewichtigen Brüder energisch und unerbittlich in die Hand nimmt. Die sitzen plötzlich erstaunt und ratlos gleichermaßen vor rohem Brokkoli. »Hoher Blutdruck, 26 Kilo Übergewicht«, das ist der knappe Kommentar des »Dingsdas« und die Begründung zur Änderung der gewohnten und so lieb gewonnenen Menükarte. Ob das gut geht? Wo die beiden gestandenen Mannsbilder sich doch etwas Deftiges gerade zu Weihnachten auf den Tisch wünschen, Steak, Würstchen, Fleischklöße …
Eine hübsche Geschichte, die sich der schwedische Bestsellerautor Martin Widmark da ausgedacht hat. Und wenn die Lektüre ab 5 Jahren empfohlen wird, so mag das arg früh klingen, aber: Spätestens ab sechs Jahren haben Kids rein statistisch heute Erfahrung mit Tablets und wissen auch zumindest, wie ein Smartphone funktioniert. Kinder wachsen mit moderner Technik auf, spielerisch, während Erwachsenen zum Beispiel die Sprachassistenten noch irgendwie unheimlich erscheinen. Das »Dingsda« ist allerdings eine noch ganz andere Nummer als Siri oder Alexa, es begreift, zieht Konsequenzen, denkt, lenkt, belehrt, und die beiden Brüder fühlen sich geradezu gemaßregelt und erzogen. So kann es nicht weitergehen. Er hätte das nicht tun sollen, sagt Rüdiger. Ob er das »Dingsda« meine, fragt sein Bruder. Aber es sei doch so fleißig und viel fleißiger als er selbst, kontert Walter. »Genau das macht mich so unruhig.« Rüdiger wird nachdenklich. Was, wenn Technik die Regie über den Alltag, unser Handeln, Denken und Entscheiden übernimmt?
Emilias Dziubag ist die preisgekrönte Illustratorin dieses Bilderbuchs. Mit ihren Illustrationen hat der Leser das Gefühl, mittendrin zu sein, Teil des Geschehens zu sein. Große Bilder sind es, tief in den Raum gehen sie, ob Werkstatt, Küche oder Essplatz, das Licht leuchtet den Raum der Handlung stimmungsvoll und in warmen Farben aus. Man springt in die Geschichte über die zwei gewichtigen Brüder hinein. Und deren Verzweiflung kann man bestens nachempfinden. Sauer sind sie auf das »Dingsda«, klar, aber es reift auch die Erkenntnis, dass dieses kleine metallische Wesen mit einer kleinen Solarzelle am Körper auch recht hat. »Zu Weihnachten esst ihr Menschen viel zu viel und kauft lauter unnütze Geschenke«. Das Problem sei, so sagt das »Dingsda«, dass Menschen überhaupt zu selten nachdächten. Vielleicht sollte man das ja wirklich einmal tun. Walter, der ruhigere der beiden Brüder, beginnt zu grübeln, Verschwendung, das viele Essen und überhaupt… »Und der Weihnachtsmann kommt natürlich auch nicht… Den gibt es nämlich nicht.« Dieser Kommentar des »Dingsdas« bringt allerdings das Fass zum Überlaufen. Nun reichts. Rüdiger kriegt einen mittleren Wutanfall, rennt in die Werkstatt und kommt zurück mit einer Rolle Klebeband. Was er damit vorhat? Wird nicht verraten. Nur so viel: da ist auch noch ein Staubsauger, der ganz schön lebendig wird und Rüdigers Stimme beginnt zu zittern: »Was habe ich nur getan?«
Schon bei Goethes Zauberlehrling hieß es: »Die ich rief die Geister werd‘ ich nun nicht los.« So verhält es sich auch mit neuen technischen Erfindungen, die erst faszinieren, begeistern, dann, wie bei Handys nicht selten süchtig machen, den Alltag bestimmen, mit Computer und Co die Regie über Freizeit und Sozialverhalten übernehmen. Wegzudenken sind sie wohl kaum mehr. Und nicht auszudenken, wenn intelligente Technologien einem dann noch Anweisungen gäben, oder gar Vorschriften machten, wie ich meinen Kühlschrank zu bestücken habe. Deshalb: Nachdenken und entscheiden mit dem eigenen Kopf ist auf jeden Fall und immer eine tolle Option.
Und was Rüdiger und Walter angeht, ja, ganz bestimmt täte den beiden eine andere Ernährung und Joggen gut. Vielleicht ja auch die eine oder andere sinnvollere Erfindung!
Titelangaben
Martin Widmark: Die verflixte Erfindung
(Mojängen, 2020) Aus dem Schwedischen von Ole Könnecke
Mit Illustrationen von Emilia Dziubak.
München: arsEdition 2021
40 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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