Man lasse sich vom vielleicht irreführenden Titel nicht täuschen: ›Schöner Schreiben‹ ist kein Kalligraphie-Lehrbuch und kein Handlettering-Tutorial. Vielmehr versammelt die von Hauke Goos kompilierte Essaysammlung herausragende Highlights der deutschen Sprache – quer durch alle Zeiten und Genres. Ein appetitanregendes Lesebuch für Genießer, Ästheten und Freunde virtuoser Formulierungen. Von INGEBORG JAISER
Manche Leser verschlingen ihre Bücher in einer Nacht. Wieder andere versehen ihre Lektüre mit zahlreichen Eselsohren, Post-its und Unterstreichungen, um sie immer wieder zur Hand zu nehmen, um einen gelungenen Absatz, eine besondere Formulierung noch einmal genüsslich auf der Zunge zergehen zu lassen. Zur zweiten Gruppe gehört Hauke Goos. Der Journalist, Reporter und studierte Historiker, selbst mehrfach mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet, sammelt gewisse »Stellen«. Prosastellen, Sätze und kurze Textpassagen, die einfach perfekt sind. Die einen beim Lesen förmlich elektrisieren, weil das, »was gesagt werden soll, präzise und elegant gesagt wird, konzise und anschaulich, verständlich und originell.« Die gekonnt »Stil und Substanz« verbinden.
Das ganze Leben in einer Sentenz
Doch man hänge nicht dem Irrglauben nach, nur in der Hochliteratur fündig zu werden. Hauke Goos präsentiert in seinem Sammelband »50 Glanzlichter der deutschen Sprache von Adorno und Vaterunser« (um den vollmundigen Untertitel zu zitieren), hebt jedoch mit feinem Gespür auch unerwartete Schätze in Märchen, Bibelversen, Todesanzeigen, Briefen, Gesprächen, Zeitungsartikeln. Zuweilen selbst in Leerstellen und Undeutlichkeiten, wie beim Briefverkehr zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan: »Vom Anfang an geht es ums Schreiben und Schweigen, um das, was man sagen kann, und um das, was sich der Sprache entzieht.«
Jenseits von Syntax, Semantik und Stil, von Wortwahl und Interpunktion eröffnen Goos´ Entdeckungen einen weiten Blick auf Weisheiten und Lebenserkenntnisse. So erfahren wir bei Erich Kästner, dass »man mit dem Trösten nie zu früh beginnen darf«. Dass »der traurigste kleine Satz der neueren deutschen Literaturgeschichte« in Stuckrad-Barres ›Soloalbum‹ verborgen liegt. Oder wie es Uwe Johnson gelingt, förmlich mit den »Wasserfarben der Erinnerung« zu schreiben, ein literarisches Aquarell zu erschaffen. Ebenso aufschlussreich: dass ein Semikolon durch das Verbinden von Ambivalenzen ein sehr zeitgemäßes Satzzeichen sein kann. Von der Eleganz eines raffiniert eingesetzten Doppelpunktes ganz zu schweigen.
Kraftvolle Miniaturen
Jeder der 50 Essays verbindet ein bemerkenswertes Fundstück der Welt- oder Gebrauchsliteratur, der Kultur- oder Filmgeschichte mit erhellender Analyse und ergänzenden Randnotizen. Eingedampft auf wenige Seiten und entspannt konsumierbar. Auch wenn sich Hauke Goos´ Begeisterung nicht immer uneingeschränkt teilen lässt. So wird das inzwischen inflationär gebrauchte »nicht wirklich« auf einen der großen Sätze der Filmgeschichte zurückgeführt. In ›Der eiskalte Engel‹ behauptet der von Alain Delon gespielte Killer cool: »Je ne perds jamais. Jamais vraiment.« Doch was in einem Gangsterfilm von 1967 noch unerhörte Lässigkeit verströmen mag, wirkt heutzutage schlichtweg abgegriffen und hat seinen ursprünglichen Reiz verloren.
›Schöner Schreiben‹ entspringt einer Deutschkolumne des ›Spiegels‹, entwickelt als kompakt arrangierter Sammelband zudem einen besonderen Reiz. Die kraftvollen Miniaturen und erfrischenden Meditationen über die Sprache eignen sich perfekt für eine Kaffeepause oder als Bettlektüre, doch so inspirierend und anregend, dass man kein Ende finden und mit einmal entfachter Neugier immerzu weiterblättern mag.
Titelangaben
Hauke Goos: Schöner schreiben
50 Glanzlichter der deutschen Sprache von Adorno und Vaterunser
München: Deutsche Verlags-Anstalt 2021
207 Seiten, 18 Euro
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