»Die Welt gehört nicht einer Gattung, sie gehört der Welt. Bisher hat sich der Materialismus damit begnügt, die Welt zu verändern; jetzt kommt es darauf an, sie zu erhalten«, schrieb Carl Amery schon im Frühjahr 1978 in der von Günter Grass herausgegebenen Zeitschrift ›L’76‹. Von PETER MOHR
Durchbruch ins dunkle Glueck von Carl Amery Lange bevor sich die politischen Parteien ernsthaft mit Umweltthemen befassten, hatte Amery auf die damals drohenden und mittlerweile längst zur beklemmenden Realität gewordenen Probleme aufmerksam gemacht.
Carl Amery, der am 9. April 1922 in München unter dem bürgerlichen Namen Christian Anton Mayer als Sohn eines Hochschullehrers geboren wurde, verbrachte seine Kindheit vorwiegend in Passau und Freising. Ein Jahr nach seinem Abitur 1940 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und geriet 1943 in amerikanische Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung 1946 studierte er in München und in Washington Literaturwissenschaften.
Bekannt geworden ist Amery, der im Herbst 1991 als erster Autor mit dem damals neu geschaffenen Münchener Literaturpreis ausgezeichnet wurde, 1958 mit dem Roman ›Die große deutsche Tour‹. Mit bitterböser Schärfe hat er darin die Adenauersche Restaurationsgesellschaft der 1950er Jahre aufs Korn genommen. Zahlreiche Hörspiele und Romane (u.a. die hochgelobten ›Wallfahrer‹, 1986) folgten. Hinzu kamen mehr als ein Dutzend essayistischer Schriften, die zumeist große Verbreitung fanden. Sie zeigten Amery als querdenkenden Zeitgenossen und unbequemen »Linkskatholiken«. Vor allem Umweltfragen waren es, die Amery (u. a. in ›Natur und Politik‹, 1976) beschäftigten und ihn zu einem der Gründungsväter der Grünen werden ließen.
Im Laufe der Jahre änderte sich seine Haltung zu naturwissenschaftlich-technischen Innovationen. In einem langen Entwicklungsprozess entstanden daraus ein exponierter Skeptizismus, eine radikale Rückbesinnung auf das existenziell Notwendige und eine Kampfansage an den Konsumüberfluss.
Dies unterstrich auch sein 2002 erschienener Band ›Global Exit‹, in dem Amery den Untergang der bestehenden Gesellschaftsordnung voraussagte und ausdrücklich vor der fortschreitenden Verschmelzung von Kapitalismus und Egoismus warnte. Kurz vor seinem Tod war noch die Streitschrift ›Briefe an den Reichtum‹ erschienen. Darin heißt es: »Die Absicht dieses Buches ist schlicht Aufklärung; Aufklärung über Tatbestände des Reichtums, die für das Weiterleben der Menschheit so wichtig, so krisenhaft wichtig sind wie nie zuvor.«
Geradezu apokalyptische Züge trug auch Amerys letztes bedeutendes Erzählwerk, der 1990 erschienene Roman ›Das Geheimnis der Krypta‹. Auf mehreren Erzählebenen alternierend wird darin ein Wust von naturwissenschaftlichen und philosophischen Exkursen mit Kindheitserinnerungen an den Freisinger Dom und die Krypta mit der Bestiensäule vereint.
Carl Amery, der dem Verband Deutscher Schriftsteller und dem PEN-Club vorstand, gehörte zur rar gewordenen Spezies des poeta doctus, der in keine ideologische Schublade passte. Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte der leidenschaftliche »Aufklärer« anlässlich der Feier zum 25-jährigen Bestehen der Grünen in Berlin. Am 24. Mai 2005 ist Amery, einer der bedeutendsten ökologischen Vordenker in Deutschland, im Alter von 83 Jahren in einem Münchener Krankenhaus verstorben.
Pünktlich zum 100. Geburtstag sind seine beiden bedeutendsten literarischen Werke, die Romane ›Die Wallfahrer‹ und ›Das Geheimnis der Krypta‹, in einem Sammelband neu erschienen.
Das Festival ›Ökologie und Literatur‹ erinnert an Carl Amery. Vom 22. März bis 9. April finden Lesungen, Filmabende, Führungen, Ausstellungen, Diskussionsrunden und Konzerte in München, Freising und Passau statt. Das detaillierte Gesamtprogramm zum Festival mit allen Uhrzeiten und Spielorten ist online unter www.carl-amery-festival.de abrufbar.
Titelangaben
Carl Amery: Durchbruch ins dunkle Glück
Zwei Romane in einem Band
München: Luchterhand Verlag 2022
781 Seiten, 38 Euro
Reinschauen
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