Wenn man älter wird, stellt man rückblickend fest, dass man in vielen Situationen vieles gelernt hat, was einem in der Situation selbst vielleicht damals gar nicht so klar war. Aber es war ein Lernen fürs ganze Leben. Dieses Buch erzählt von diesem Lernen, das nicht immer eine Schule braucht. BARBARA WEGMANN hat darin geblättert.
Wer etwas von Sy Montgomery liest, der liest etwas ganz Besonderes. ›Rendezvous mit einem Oktopus‹ hieß ihr vor wenigen Jahren erschienener Bestseller über das »Seelenleben der Kraken«. Und wenn man derart spannend schreiben kann, dann muss es eben nicht immer eine spannende Geschichte sein, atemberaubende Fiktion, dann kann es auch ein Spaziergang durch ganz verschiedene Lebensbereiche sein. So ist es auf diesen 32 Seiten: »Es gibt sie überall auf der Welt: in fernen Ländern, in Flüssen und Meeren oder ganz in der Nähe vor deiner Tür. Manche meiner Lehrer hatten zwei Beine, andere vier, andere sogar acht. Jeder von ihnen hat mir etwas Wichtiges fürs Leben beigebracht.«
Lernen kann man zum Beispiel vieles, wenn man Augen und Ohren offenhält, wenn man zuhört, beobachtet, sich seine Umwelt neugierig anschaut. Das Mädchen dieser Geschichte, das im Laufe des Buches älter wird und auch eine eigene Familie schließlich hat, kommt weit herum. In Australien findet sie heraus, wie Emus leben, diese Vögel, die aber gar nicht fliegen können. In Afrika beobachtet sie Gorillas und lernt, wie »wichtig es ist, das Revier des anderen zu achten.«
Es sind Lebensregeln, die Sy Montgomery bilderbuchhaft erklärt: Gemeinsamkeiten mit anderen soll man nachspüren, keine Angst haben, jedes Lebewesen achten und immer auf das Morgen vertrauen. All das wird bunt, plakativ, aber nicht sonderlich ausdrucksvoll und eingängig illustriert. Es sind viele Stationen in unterschiedlichen Ländern, in denen die Erzählerin dieses Buches immer wieder lernt.
Und man lernt immer, wenn man neugierig ist. Wenn man hinterfragt, etwas ganz genau wissen will, wenn man aufmerksam ist, seine Umgebung beobachtet und auch immer die andere Seite einer Sache sieht, so wie bei den Hyänen. Hyänen seien faul, so das Vorurteil, schreibt die Autorin, sie seien hässlich und sie würden den Löwen das Futter stehlen. Das aber stimme überhaupt nicht, sie seien fürsorgliche Eltern für ihren Nachwuchs und die Löwen seien es schließlich, die ihnen das Futter stehlen. »Die Hyänen waren der beste Beweis, dass nicht alles stimmt, was dir die Leute erzählen.«
Sei es die Begegnung mit Spinnen, Haifischen, Piranhas oder Zitteraalen, einem Wiesel oder einem Oktopus, wer mit offenen Augen durch die Welt geht, sich selbst ein Urteil bildet und ein Bild macht, der kann eine Menge lernen. Und nicht nur das. Indem man neugierig ist, auf jemanden zugeht, entsteht ein Kontakt, eine Kommunikation beginnt und schließlich gewinnt man so auch Freunde. »Wenn du Augen und Ohren offen hältst, tut sich die Welt für dich auf.« Noch bevor sie in der Schule war, sei ihr Hund Molly die erste Lehrerin gewesen.
Seine Begabung zu entdecken, schreibt Sy Montgomery, sei wichtig, genauso wie der Respekt Anderen und der Natur gegenüber. Zeit solle man sich nehmen für Entdeckungen und Beobachtungen, seine Familie schätzen und auch das Verzeihen lernen: Wenn zum Beispiel ein Wiesel am Weihnachtsmorgen ein Huhn stiehlt aus dem Hühnerstall: »Ich sah auf das Wiesel hinunter, mitten in seine schwarzen Augen. …Ich war beeindruckt von seiner Furchtlosigkeit … und konnte ihm nicht böse sein.« Tenor des Buches, das für Dinge und Lebewesen, denen man begegnet sensibilisieren will, ist die Überzeugung, dass es Lehrer eben nicht nur in der Schule gibt. »Auch in dunklen Zeiten kann schon hinter der nächsten Ecke ein wunderbarer neuer Lehrer auf dich warten.«
Titelangaben
Sy Montgomery: Tierisch gute Freunde
(Becoming a Good Creature, 2020)
Aus dem Englischen von Anne Cramer-Klett
Illustriert von Rebecca Green
Zürich: Diogenes Kids 2022
32 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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