Generationenkonflikt

Kinderbuch | David Walliams: Gangsta-Oma

Etwas Langweiligeres als den Freitagabend bei seiner Oma kann Ben sich nicht vorstellen. Und noch weniger hätte er sich träumen lassen, dass sich das ändern könnte. Von ANDREA WANNER

omaKohlsuppe, Scrabble und eine pupsende Großmutter sind mehr, als ein Elfjähriger ertragen kann. Aber alles Bitten und Betteln bei seinen Eltern nutzt nichts: die wollen den Freitagabend für sich, vor allem, um sich Turniertanzturniere anzusehen, ihre große gemeinsame Leidenschaft. Daran geknüpft ist auch noch ein Zukunftstraum für ihren einzigen Sohn: nachdem sie das Tanzen für sich zu spät entdeckt haben, wünschen sie sich für Ben eine Karriere als Tänzer.

Also keine Chance für Ben. Er muss freitagabends Kohlsuppe essen und legt beim Scrabble Wörter wie LANGWEILIG, URALT, SINNLOS, HILFE oder SAUBLÖDESSPIEL, was Oma allerdings nicht gelten lässt. Und dann entdeckt er eines Abends als er sich einen Schokoladenkeks aus der Dose im Küchenregal stibitzen will, ein Geheimnis. Die Metalldose ist randvoll mit Diamanten. An Ringen, Armbändern, Halsketten und Ohrringen blitzen ihm die Edelsteine entgegen. Ben steht vor einem Rätsel. Wie kommt seine Oma in den Besitz von so viel wertvollem Schmuck? Heimlich verfolgt er seine Großmutter und erfährt von ihr etwas Unfassbares: Sie war die schwarze Katze, die meistgesuchte Juwelenräuberin der Welt. Und es kommt noch besser: sie träumt von einem letztem großen Coup, dem Raub der englischen Kronjuwelen.

David Walliams erzählt sehr englisch und vieles erinnert an Roald Dahl, dem es mühelos gelang die großen, ernsten Themen im Kinderbuch mit herrlichem Witz, schwarzem Humor und genialen Slapstickeinlagen zu verbinden. Das kann Walliams auch, perfekt ergänzt durch die Illustrationen von Tony Ross. Da ist beispielsweise der elterliche Wunsch vom Sohn als Tänzer. Eine typische Projektion eigener unerfüllter Träume. Dafür sind sie bereit, sich ins Zeug zu legen und die Mutter entwirft eine ganze Kollektion möglicher Kostüme für Bens ersten Soloauftritt. Er darf wählen, ob er als »Ein Mann wie ein Baum«, »Süßes Früchtchen«, »Donnerwetter«, »Unfallopfer« oder »Englisches Frühstück« die Bühne betritt. Zwischen unzähligen an Peinlichkeit kaum zu übertreffende Vorschlägen von »Sonnensystem« bis »Käsehäppchen« entscheidet er sich für die »Liebesbombe«. So steht er dann ohne jemals geprobt zu haben auf der Bühne, weiß nicht, ob er sich als Ausweg aus der misslichen Lage ein Erdbeben, einen tödlichen Schwarm Killerbienen oder einen Angriff riesiger Nacktschnecken wünschen soll, wiegt sich schließlich ein bisschen im Takt der Musik – und blamiert sich bis auf die Knochen. Ben muss das aushalten und der Leser auch. »Ein paar Sekunden lang hoffte Ben, es könnte so ausgehen wie in manchen Filmen, in denen der Antiheld völlig überraschend doch noch triumphiert« – aber das ist ein naiver Wunschtraum, der nicht in Erfüllung geht. Ben muss sich der Wertung der Jury stellen und kassiert tatsächlich von allen Mitgliedern null Punkte. Das ist hart. Irgendwie hatte man wie Ben doch noch auf ein Wunder gehofft. Aber Wunder gibt es nicht.

Immer wieder fällt man beim Lesen darauf rein, hofft, dass die Wunder, die Walliams mit viel Fantasie und den unmöglichsten Szenarien vorbereitet, wahr werden. Und wenn all die wenig realistischen Randbedingungen wie durch Zauberhand erfüllt werden, das scheinbar Unmögliche zum Greifen nah scheint, scheitert unser Held dann doch an seinen Aufgaben.
Die großen Wunder bleiben aus.

Oder auch nicht. Denn im Angesicht von Gold und Juwelen erkennt nicht nur Ben, was wirklich im Leben zählt. Das gelingt Wallimas großartig: die kleinen Nebensächlichkeiten mit viel Pomp und Glitzer zu inszenieren und die wirklich wichtigen Fragen und Erkenntnisse quasi in Nebensätzen abzuhandeln. Die Wirkung könnte besser nicht sein: die Beziehung zwischen Enkel und Großmutter wird als rasantes Abenteuer präsentiert und beim zweiten Hinsehen entdeckt man die wirkliche Dimension, findet hinter dem Klamauk die echten Menschen. Dafür darf man junge Leser auf die falsche Spur locken, darf so tun, als ob sie es mit einer verrückten Gaunerepisode zu tun hätte, bei der sogar die Queen eine Rolle spielt und eine Art Schlusswort zum Generationenkonflikt bekommt. Am Ende bleiben die wichtigen Dinge übrig.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
David Walliams: Gangsta-Oma
(Gangsta Granny, 2011) mit Illustrationen von Tony Ross. Aus dem Englischen von Salah Naoura
Reinbek: Rowohlt 2016
256 Seiten. 16,99 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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