Auch mit einem 9 Euro-Ticket kann man diese Züge und Strecken und Bahnhöfe nicht mehr wiederbeleben. Traurige Relikte, aber auch faszinierende Zeugnisse aus alter Zeit, schließlich standen Dampfloks zwei Jahrhunderte für wirtschaftlichen Aufschwung. Und mal ehrlich, ihr Väter und großen Jungs: Wer hat nicht noch eine Eisenbahn mit allem Drum und Dran im Keller? Die aber wird wohlbehüteter sein, als diese hier auf 190 Seiten porträtierten Züge, die Schienen auf denen sie fuhren und die Bahnhöfe, an denen sie hielten. Von BARBARA WEGMANN
Auch bei heftigsten Regionalisierungs-Debatten, es wird keine Dampflok mehr geben, die Klimapolitik darf das nicht mehr erlauben. »Wenn die Menschheit überleben will, dann benötigt sie keine Verbrennungsmaschinen. Erst recht keine Dampfeisenbahnen.« Dem Zustand all dieser Bahnen, Strecken und Bahnhöfe nach zu urteilen, wusste man das schon vor vielen Jahren, dazu kamen die immer neueren, moderneren Züge, die Stilllegung kleinerer Strecken. Da waren die Verbindungen der großen Städte untereinander doch viel interessanter und gewinnbringender, meinte man. Heute sieht es mancherorts wieder anders aus. Die Region und ihre Anbindung mit dem preiswerten Zug stehen wieder hoch im Kurs.
»Rostige Gleise, Bäumchen zwischen den Schienen und ein zerbröselnder Bahnsteig. Dazu ein windschiefes Bahnhofsgebäude aus Holzbrettern«, da liegt noch eine Spur von früher in der Luft, man hört noch geradezu den Klang der Lok, sieht den Dampf im Fahrtwind, hört die Signale. Aber: hier zerfällt alles, Adare im irischen County Limerick ist da nur ein Beispiel. Und auch ein weiterer irischer Bahnhof, an dem 1952 eine Szene mit John Wayne und Maureen O’Hara in dem Film ›The Quiet Man‹ spielte, hat den Alltagsglanz und selbst cineastischen Glamour verloren.
Man blättert in einem Stück Bahn- und Technikgeschichte, wird dabei – zugegeben- schon etwas sentimental: Das Reisetempo war doch angenehm damals, die kleinen Bahnhöfe hatten ihren Charme und die Berufsbilder, die zu all dem gehörten, auch sie gibt es schon lange nicht mehr. Manchmal hat wenigsten der Denkmalschutz ein völliges Verfallen verhindert.
Früher, nach der Lektüre von Gerhart Hauptmanns Krimi, ›Bahnwärter Thiel‹ träumte ich immer davon, später einmal ein altes Bahnhofsgebäude zu kaufen und an einer stillgelegten Strecke zu leben. Viele Träume, so stellte ich mir vor, nähme man mit in ein altes Bahnhofsgebäude, die auf den Schienen von einst auf Reisen gehen. Irgendwie wäre man angeschlossen an die weite Welt.
Davon träumen viele der hier gezeigten alten Bahnhöfe. Manche wurden tatsächlich zu Wohnhäusern, andere, wie der Bahnhof Valbert, ein Künstlertreff, und wieder ein anderer Bahnhof, in Dörzbach hätte da durchaus noch eine Chance auf Zukunft. »Die Jagsttalbahn südlich von Bad Mergentheim, auch liebevoll ›Bemberle‹ genannt … beginnt in Möckmühl und hat ihren Endpunkt in Dörzbach.« Ein Teil, so beschreibt es der Text, sei bereits abgebaut, ein anderer sollte als Museumseisenbahn reaktiviert werden, aber: Die Nachbargemeinde droht, »gegen einen neuerlichen Betrieb zu klagen«. So manchem scheint es recht zu sein, wenn die schnaufenden Zeitzeugen von einst ihren Betrieb einstellen.
Übrigens wurden Grundstücke von ehemaligen Bahnhöfen zu begehrten Arealen.
Es sind Fotografien, auf denen man keine Menschenseele sieht, es sind Fotos von Stille und Zerfall, von Rost und Schrott. Vieles erobert sich die Natur zurück, manchmal sieht man sie schon gar nicht mehr, die Waggons, die Loks, die Gleise. Bilder, die so viel morbide Ruhe ausstrahlen, aber eine immer noch durchaus laute Geschichte erzählen.
Aber oftmals gibt es auch Fans der alten Technik, Menschen, die dafür sorgen wollen, dass dieses Stückchen Eisenbahngeschichte nicht ganz in Vergessenheit gerät: neue Museen werden geplant, Züge sollen restauriert werden, vielleicht sogar ein neues Leben auf begrenztem Radius erhalten.
»Wehmutsfutter für alle Bahnfans«, sei das Buch, ja, das stimmt. Und egal ob in Neuseeland oder Afrika, in Frankreich, Irland, den Niederlanden, der Slowakei, Ungarn oder Tschechien und natürlich in Deutschland: Das Phänomen ist überall dasselbe: Züge wurden ausrangiert, weil sie nicht mehr gebraucht wurden, Gleise wurden vergessen, weil es modernere Anbindungen gab und das Schicksal der Bahnhöfe war damit auch besiegelt. Das Buch, so schreiben die Herausgeber, sei eine »surreale Bahnreise«. Eine Bahnreise, bei der zwar »an den Stationen schon lange kein Zug mehr halte«. Aber, selbst wenn das in der Realität auch so sein mag, in diesem ausgefallenen und ganz besonderen Buch macht man auf jeden Fall an allen Stationen Halt.
Titelangaben
Johannes Glöckner: Lost Train
Verlassene Loks, leere Hallen und gespenstische Bahnhöfe
München: GeraMond Media GmbH/Verlagsgruppe BAHN 2022
192 Seiten, Preis: 39,99 Euro
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