//

Vorsorge

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Vorsorge

Weshalb niemand über Vorsorge redet, das verstehe, wer will.

Sie reden nicht über Vorsorge? Die aktuelle Debatte liegt falsch?

Sie reden darüber, die Extreme auszubremsen, Farb, sie wollen den CO2-Ausstoß begrenzen und streiten über Zahlen.

Das wäre keine Vorsorge?

Nein, das ist der Versuch, eine rasante Entwicklung zu entschleunigen, ohne die zugrundeliegenden irrigen Abläufe anzutasten.

Vielleicht dennoch ein unumgänglicher Versuch?

Unumgänglich zweifellos, Farb, jedoch keine Vorsorge. Die von Waldbränden heimgesuchte Fläche in Kalifornien verfünffachte sich während der vergangenen Jahre, und in nüchternen Worten wird mitgeteilt, daß über eine halbe Million Menschen aufgefordert seien, die Region zu verlassen, wie stellt man sich das vor.

Sie spielen es herunter.

Präzise Daten sind leider nur aus den USA bekannt. Aus Rußland wissen wir von verheerenden Bränden, die Permafrostböden tauen auf, die Konsequenzen sind unabsehbar, vor Kamschatka wurden tonnenweise verendete Meerestiere angespült, weshalb, die Risiken sind unkalkulierbar, aus China sehen wir entsetzliche Bilder von Überschwemmungen.

Immerhin reden sie vom Klimawandel, oder?

Sogar von den Ursachen, durch den Menschen herbeigeführt, aber dann ist auch Schluß, ist Ende der Fahnenstange. Wie sie den Ursachen begegnen wollen, dazu kein Wort.

Es geht um die natürlichen Grundlagen unserer zivilisierten Welt?

Es geht um die natürlichen Grundlagen der Zivilisation, Farb, in weiten Bereichen kollabiert grundlegende Infrastruktur, die Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Elektrizität ist gefährdet – und kein Gedanke daran, Vorsorge zu treffen, Politik in Schockstarre.

Susanne legte ihr Buch beiseite und schenkte Tee nach. Es war ein angenehmer Spätsommertag, die Hitze der vergangenen Tage hatte nachgelassen, Unwetter waren angekündigt, in einiger Entfernung sahen sie auf das Gohliser Schlößchen.

Radfahren statt Autobahn?

Sie arbeiten daran, den motorisierten Individualverkehr aus den Städten zu drängen, es gibt regionale Initiativen, das ist vernünftig, gar keine Frage, und, so gesehen, eine Sysiphus-Aufgabe. Nur, Farb, es handelt sich um Reparaturen an bestehenden Schäden, verstehst du?

Was meinst du mit Vorsorge?

Unter den Bedingungen des Klimawandels sind hochentwickelte, sensible Technologien, vorsichtig formuliert, nicht länger resistent, etwa was den Energieverbrauch der digitalen Rechner betrifft, das ist nicht zu verantworten, auch die digitale Kultur selbst wird zum Problem, die Kühlwasserversorgung der Nuklearanlagen, industrielle Großprojekte insgesamt drohen obsolet zu werden, der Flugverkehr stagniert oder ist bereits reduziert, technologische Neuerungen erweisen sich oft als wenig flexibel und als unvereinbar mit natürlichen Abläufen.

Die Natur reagiert?

Die Natur reagiert, der Mensch ist nicht in der Lage, sich dem zu entziehen, Farb, das Artensterben ist ein Ergebnis der industriell geprägten Lebensweise.

Die gilt es in Frage zu stellen.

Wir müssen Vorsorge treffen und eine Lebensweise realisieren, die keine Herrschaft über die Natur anstrebt, sondern in die natürlichen Abläufe integriert ist. Doch wie es scheint, ist das nicht auf der politischen Agenda.

Du denkst an einen Rückbau der Globalisierung, der Industriegesellschaft, der technologischen Errungenschaften?

Das gehört auf die Tagesordnung, keine Frage, die Debatte wird schwierig werden, doch sie ist unausweichlich, elektronischer Schnickschnack ist hinfällig, war immer schon ein Spielplatz für infantile Gemüter, Luftschlösser eins wie das andere, weder wird es KI geben noch autonomes Fahren noch ein Anthropozän, Reisepläne zum Mars sind perdu, sind schillernde Blasen der Eitelkeiten, ein Haschen nach Wind, wir müssen heraus aus den Traumwelten und uns den Realitäten stellen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Papst des nouveau roman

Nächster Artikel

Ein ganzes Jahr mit Gedichten

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Den Atem verschlagen

Kurzprosa | Armin T. Wegner: Der Knabe Hüssein und andere Erzählungen Die Vergessenen dem Vergessen zu entreißen, das war das erklärte Ziel von Volker Weidermann mit seinem Buch der verbrannten Bücher. Es wurde vor fünf Jahren schnell zum Bestseller und rief Namen ins kollektive Gedächtnis zurück, die von den Nazis im Mai 1933 ein für alle Mal aus der Erinnerung ausgelöscht werden sollten. Und für eine sehr lange Zeit tatsächlich auch wurden. Unter den über hundert Autoren, die der Feuilletonchef der FAS damals porträtierte, war auch Armin T. Wegner, einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Weimarer Republik. Seine Erzählungen Der Knabe

Patriotisches Würgen

Menschen | Peter Bichsel zum 80. Geburtstag Der Kolumnenband Über das Wetter reden ist rechtzeitig zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Peter Bichsel am 24. März* erschienen. PETER MOHR gratuliert.

Popeye und Zuchtperlen

Kalender | Niklaus Gelpke (Hrsg.): mare Kulturkalender 2021
So viel hat mit dem Meer zu tun, Herman Melville meinte sogar einmal, dass es noch nie einen großen Mann gegeben hätte, der sein Leben lang auf dem Festland gelebt hätte. So weit muss man nicht unbedingt folgen, aber das Meer hat seine Faszination nie verloren. Vom Meer und der Kultur, die zum Meer gehört, erzählt auch der Kulturkalender aus dem mare Verlag. Von GEORG PATZER

Ordnung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ordnung

Farb war nicht von dieser Welt, nein, diese Welt lief an ihm vorbei, ihr hohes Tempo ließ ihn kalt, ihr verführerischer Glanz und ihre lauthals brüllende Musik hinterließen keinen Eindruck, er war damit zufrieden, an den Nachmittagen in aller Stille einen Tee zu trinken und zu plaudern, nichts lockte ihn fort, ferne Länder durften ferne Länder bleiben.

Leben und Mythos

Kurzprosa | Kenzaburô Ôe: Licht scheint auf mein Dach »Ich muss zugeben, dass wir manchmal, besonders ich, die Wut über unseren behinderten Sohn nicht unterdrücken konnten«, heißt es im schonungslos offenen, autobiografischen Band ›Das Licht scheint auf mein Dach‹ (2014) aus der Feder des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe. Er beschreibt darin, wie die Geburt seines Sohnes Hikari sein Leben veränderte, wie er gemeinsam mit seiner Frau vor der schwierigen Frage stand, einer komplizierten Kopfoperation zuzustimmen. Heute ist Hikari Oe über 50 Jahre alt und in Japan ein angesehener Komponist klassischer Musik. Zum 80. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe am 31. Januar