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Abschied

Darüber wird wenig geredet.

Ist eben kein Thema für Party und Spaßgesellschaft, da ist Optimismus angesagt, heftig Optimismus, und jeder Abschied trübt die Laune, verdirbt die Stimmung.

Er drängt nicht in Schlagzeilen, er ist weder lustig noch komisch, er reizt nicht zu lachen.

Sicher, ein Abschied schmerzt, wer will denn gern davon hören.

Und trotzdem, Farb, das Thema lauert im Zwielicht und ist dennoch in beispielloser Dimension dramatisch präsent, Unheil liegt in der Luft, die Seelen sind aufgewühlt, Vertriebene, Flüchtlinge, Überlebende leiden unter der Trennung von ihren Angehörigen.

Anne blätterte um.

Fünfzig Millionen Menschen und mehr, sagte sie, irren heimatlos über den Planeten.

Ein Jahrhundertthema, das entdeckt werden will?

Vielleicht hast du recht, Farb, sagte Tilman, rückte näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Farb griff nach einem Keks und schenkte Tee ein.

Anne legte ihr Buch beiseite.

Abschied, sagte sie, könne gut und gerne ein Epochenbegriff sein.

Tilman warf einen Blick zum Gohliser Schlößchen.

Mit melancholischem Beigeschmack, spottete Farb.

Tilman lächelte. Dekadenz, sagte er, das sei ein alter Hut, sagte er, jedesmal zu einer Jahrhundertwende wieder hervorgeholt.

Oft genug wisse man nicht, sagte Anne, in was für einer Zeit man lebe und wodurch sie geprägt sei.

Farb trank einen Schluck Tee, er war vernarrt in das Service mit dem lindgrünen Drachenmotiv.

Aber Abschied als Epochenbegriff? Tilman zweifelte.

Ungewöhnlich, sagte Farb, und ob nicht längst Anthropozän als Epochenbegriff etabliert sei.

Daran gemessen sei Abschied immerhin etwas Neues, sagte Tilman, und falle aus dem Rahmen.

Würde aber passen, sagte Anne.

Zu dieser Epoche, die andere Maßstäbe setze, sagte Farb, nach einer Moderne, die in eine Sackgasse geführt habe, müssen wir unsere Welt neu denken, unsere vertrauten Begriffe neu lesen.

Ein Abschied der besonderen Art, sagte Tilman.

Farb trank noch einen Schluck Tee. Den Drachen gab es auch rostrot.

Der Planet, sagte Tilman, verabschiede sich vom Menschen.

Anne blickte auf.

So werde ein Schuh draus, sagte sie, ein gequälter Planet nehme Abschied vom Menschen, es sei genug, er kündige ihm die Gastfreundschaft.

Ein Abschied mit doppeltem Boden, sagte Farb.

Satt, sagte Anne, er habe ihn satt, der Mensch sei ein Ungeheuer, unleidlich.

Und der Planet zelebriere eine eigene Abschiedsfeier, ganz auf seine Art, sagte Farb, und mit reichlich Hallodri und Hopsassa: Dürre im Mittelmeerraum, Feuerwalzen in Kalifornien, Jahrhundertflut in Pakistan, wie werde er uns morgen überraschen, ein Planet raste aus.

Reine Verzweiflung, sagte Anne.

Er werde geplündert, mißbraucht, vergewaltigt, sagte Tilman, seit Jahrhunderten, ach hätten wir doch unser Denken umsortiert und unsere Sprache neu gelernt, denn das blühende Leben, das uns umgibt, ist im Begriff abzusterben, unaufhaltsam, es ist an der Zeit, er befreit sich von seinen Peinigern, es ist ein Abschied, unmißverständlich, die Gründe sind nachvollziehbar, und was solle daran verwerflich sein.

| WOLF SENFF

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Farb lachte. Verzichtbar.

Die Welt stünde ohne ihn keineswegs schlechter da.

Ohnehin ergeht es ihm miserabel, da greifen auch all seine Versuche nicht, gute Laune zu stiften, ehrlich, er ist überflüssig, und außerdem – was trage er bei zum Wohlbefinden des Planeten, nichts, wer brauche ihn, niemand, er nehme sich vom Kuchen und gebe nichts zurück.

Tilman rückte näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

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