Ob es ein Schnupfen war, Halsschmerzen, oder eine kleine Wunde, wie immer am Knie, wenn ich hingefallen war, meine Großmutter hatte immer etwas Passendes parat. Kräuter, einen Tee, einen Verband, etwas zum Gurgeln, Spülen oder inhalieren. Ärzte und Apotheken verdienten an mir nicht viel. Dieses Wissen über Heilpflanzen und Naturkräfte, es wurde von Generation zu Generation weitergegeben, zusammengefasst hier in einem wunderbar umfangreichen Buch, zum Blättern und gesund werden und vor allem: zum Wissen um die Dinge, meint BARBARA WEGMANN.
Die Generation meiner Mutter, die Zeiten hatten sich eben geändert, fand dann doch eher den Weg zu Arzt und Apotheke. Meine Generation hingegen denkt wiederum erfreulich anders: Kräuter werden getrocknet, Tees und Salben hergestellt, bei vielen Erkrankungen wird zunächst nach einem natürlichen Weg der Heilung gesucht, sind die Heilkräfte der Natur gefragt. Das geht nicht immer, die Pharmazie bleibt trotz aller Erfolge der Naturheilkunde ein Segen. Ich kenne heute gute Ärzte, die genauso denken: zuerst, sofern es geht, die sanfte Medizin, die Frage, was hat mich krank gemacht, die Frage nach den Ursachen und nicht nur die Therapie der Symptome. Weitere Schritte kann man immer noch unternehmen. »Die wirksamste Medizin ist die natürliche Heilkraft, die im Inneren eines jeden von uns liegt«, das soll Hippokrates gesagt haben. Das eigene Bauchgefühl ist oft der beste Diagnostiker. Und der Zusammenhang von Lebensstil und Gesundheit, damals schon erkannt, er ist aktueller denn je. Dieses Buch geht aber viel, viel weiter, es greift tief in die Kiste der Mythen und Sagen über Naturschätze, zeigt den Einfluss auf, den Mond, Gestirne und Elemente auf uns haben und welche Ursprünge das alles hat.
Die Autorin dieses 272seitigen Buches ist eine Fachfrau schlechthin: Medizin hat sie studiert, dazu Pharmakognosie (Drogenkunde), Botanik und Ethnologie. Alternative Heilmethoden sind ihr Metier und ihre ganze Leidenschaft, und die gibt sie in Büchern, Seminaren, in Medien und Kursen weiter. Beachtlich ist dieser sehr spannende Rundumschlag in diesem Buch: nicht nur wunderschön illustriert, jede Seite in mattem, warmen, hellen Beigeton, großzügige Überschriften für die jeweiligen Kapitel mit einer kurzgefassten Einleitung in den dann folgenden Text. Es sind die besten Beiträge aus zehn Jahren aus der Naturwissen- Reihe von »Servus in Stadt und Land«, die u.a. Miriam Wiegele hier aufgezeichnet hat. »Brauchtum und seine Ursprünge, mythologische und medizinische Wurzeln, Kurioses und Wissenswertes.« So wird das Buch zu einer ganz mannigfaltigen Angelegenheit: Ein unterhaltendes Buch mit vielen Tipps und Anregungen, ein Lehrbuch über vielleicht ja längst vergessene aber nun wiedererwachende Rituale, Bräuche oder Anwendungen und ein Buch zum Nachschlagen, was kann mir eventuell wobei helfen- hier- vielleicht die einzige Kritik, fehlt leider ein Verzeichnis am Schluss.
Das Jahr beginnt mit den Gaben der Weisen aus dem Morgenland. »Gold als das angemessene Geschenk für den neugeborenen König. Myrrhe, die Heilpflanze als Geschenk für den von Gott gesandten Heiland. Und Weihrauch für den künftigen Hohepriester Israels.« Was waren das für Gaben, was bewirken sie, das Buch bringt die Antworten.
Da sind die Tage um den Jahreswechsel, die »ihre eigene Magie und Mystik« haben. Da sind die Tage des Frühlings, einer neuen Liebe, all die Dinge »für Herz und Seele«. Bezaubernd in Bild und Text gesetzt gäbe es beispielsweise Rezepte, die »Männer stark und Frauen schwach« machen: Spargel, Honig, Granatapfel oder Pilze und Sellerie. Vielleicht auch Mannstreu, jenes Doldengewächs, dessen Blätter Frauen ihren Männern nach einer Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert ins Bett streuten, damit sie sich nicht »allzu sehr dem Schlaf hingeben.«
Großen Spaß machen gerade die Ausflüge in die Historie, nicht nur etwas lernen über all jene Schätze, die wir viel zu wenig zu schätzen wissen, sondern auch über eben jene alten Bräuche, uralte Überlieferungen, die einst das Leben und Denken prägten, auch wenn mystische Verzierungen heute manches regelrecht als Gruselmärchen erscheinen lassen. »Im Mittelalter war der Höllenfürst allgegenwärtig und natürlich immer hinter einer Menschenseele her. Besonders hinter denen von jungen Mädchen. Um ihn zu vertreiben, griff man gern zu schützenden Pflanzen.« Johanniskraut stand ganz oben auf der Liste.
Man erfährt Überraschendes über die »Macht der Steine«, über Pendel und Wünschelrute, die Wirkung von Pflanzen, Ölen und Gerüchen. Und das Buch lehrt uns viel mehr auf unsere Intuition zu hören, denn: »Manchmal schlägt das Herz uns bis zum Hals oder es liegt uns etwas im Magen. Wenn wir Rückgrat zeigen, bewahren wir Haltung. Viele uralte Redewendungen erzählen davon, dass Körper und Seele eine untrennbare Einheit sind.«
Vieles erscheint heute überholt, verstaubt, zu mystisch, als dass es in den modernen Alltag passt, aber in allen Überlieferungen soll ja angeblich immer ein wahrer Kern stecken. Und so motiviert und vor allem sensibilisiert das Buch, so manche Stichworte zu verinnerlichen und sie vielleicht ins eigene Leben zu übernehmen. Anderes hinterfragt man, aber es bleibt der Zweifel: Warum sollte es nicht so sein? Wie zum Beispiel die Empfehlung des großen Arztes Paracelsus: Er empfahl für jeden Tag der Woche bestimmte Lebensmittel. Die einzelnen Wochentage seien unterschiedlichen Planeten zugeordnet, mit jeweils unterschiedlichen Energien.
Ein nicht enden wollender und attraktiv präsentierter Schatz an altem Wissen, lehrreich und überaus lesenswert, endend mit einem passenden und so aktuellen Goethe-Zitat: »So ist Natur ein Buch lebendig, unverstanden, doch nicht unverständlich.«
Titelangaben
Miriam Wiegele: Naturwissen
Die Geheimnisse der Heilpflanzen und Elemente
München: Servus Verlag Salzburg 2022
272 Seiten, 30 Euro
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