Ziemliches Wirrwarr

Jugendbuch | Josefine Sonneson: Stolpertage

Es gibt Zeiten, da ist das Leben ziemlich kompliziert. Nichts passt zusammen, alles ist kompliziert und keine Rechnung scheint aufzugehen. Und manchmal hilft einfach die Zeit. Von ANDREA WANNER

Blaue Linien verknoten sich auf dem Titelbild des Buchs zu einem großen KnäuelJette ist 13 und alles scheint sich aufzulösen. Ihre Eltern haben sich getrennt, jetzt steht ein Umzug an. Raus aus dem Haus, in dem Jette groß geworden ist. Die Umzugskartons, die überall herumstehen, stehen für sinnbildlich für Veränderungen: Da verschwindet Altes und taucht Uraltes plötzlich wieder auf. Da muss entschieden werden, was mit darf und was weg soll. Woran hängt das Herz, was ist überflüssiger Ballast?

Zum Glück ziehen sie nicht mit Mamas Neuem zusammen. Aber Jette ist trotzdem überfordert. Sie will, dass alles bleibt, wie es ist. Oder noch besser so wird, wie es einmal war. Als Opa noch fit und für sie da war, als er noch nicht alles vergessen hat, als die Welt noch in Ordnung war.

Zum Erwachsenwerden gehört aber, dass man sich auf Neues einlässt, Anderes entdeckt und Vergangenem nicht permanent nachtrauert.

Mit ihrem Debüt zeigt Josefine Sonneson, dass sie ungewöhnliche Bilder für Alltägliches findet. Da ist gleich die erste Szene, wo eine Motte das Feuerzeugflämmchen, das Jette angemacht hat, für den Mond hält und verbrennt. Jette ist unglücklich. Das wollte sie nicht, aber rückgängig machen lässt sich das Geschehen nicht. So packt sie das kleine tote Tier in eine Überraschungseibox und trägt sie mit sich rum. Versteht das jemand?

Jette weiß nicht, mit wem sie über so etwas reden kann. Ihre große Schwester macht gerade Abi und ist quasi schon weg. Noch eine Veränderung. Und ihre beste Freundin aus dem Sandkasten, mit der sie wirklich alle Geheimnisse teilen konnte, ist weggezogen. Ein Wiedersehen zeigt nur, dass die beiden sich entfremdet haben.

Die Ich-Erzählerin lässt die Leserinnen sehr offen an ihren Gedanken teilnehmen. An ihren kleinen und großen Schritten in eine Zukunft, die offen ist. Aber die garantiert auch Schönes bereithält. Je weiter der Frühling fortschreitet, desto mehr spürt Jette das.

Eine leise Geschichte, die ihre Besonderheit in den behutsamen, tastenden Tönen hat. Das Cover mit dem komplizierten Garnknäuel, das unentwirrbar scheint, passt hervorragend. Wer genau hinschaut, findet darin auch die Motte. Und einen Fotoapparat, der am Ende hilft, Momente einzufangen. Nicht nur die großen, entscheidenden. Aber irgendwie die, die das Leben ausmachen.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Josefine Sonneson: Stolpertage
Hamburg: Carlsen 2022
176 Seiten, 14 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Noch ein Viertelstündchen …

Nächster Artikel

Heilung ohne Rezept

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Sehr fremde Sprachen

Jugendbuch | Andrea Weller-Essers: Sprachen ohne Worte Sprache besteht aus Worten. Klar, oder? Dass Kommunikation auch ohne Worte funktionieren kann, wird spätestens dann deutlich, wenn man an einer roten Ampel stehen bleibt, obwohl gar niemand etwas gesagt hat. Höchst unterhaltsam führt der Duden in einem kleinen Buch durch eine Welt voller Sprachen ohne Worte – findet ANDREA WANNER.

Was heißt erwachsen werden?

Jugendbuch | Irina Korschunow: Die Sache mit Christoph Spätestens in der zweiten Phase der Teenagerzeit erwischt sie uns, die Frage nach dem Sinn des Lebens. Für manche ist es nur ein Fingerstreifen, das man mit einem Achselzucken abtun oder einem flotten Spruch wieder ins Kästchen packen kann. Andere trifft sie so hart, dass es Wunden schlägt. Die, die daran leiden, erholen sich unter Umständen nie davon. Wie geht man als junger Mensch mit der Frage nach dem Sinn um? Irina Korschunow hat vor vielen Jahren ein Buch darüber geschrieben. Es klingt noch wie neu. Von MAGALI HEISSLER

Verschwommenes

Jugendbuch | Anne-Laure Bondoux: Von Schatten und Licht Märchen haben sich Menschen von jeher erzählt. Im Lauf der Jahrtausende änderte sich ihre Bedeutung, manchmal waren sie wichtig, manchmal weniger, sie wurden gefördert oder verteufelt. Da sind sie immer noch und in letzter Zeit erfreulicherweise wieder häufiger. Bloß sollte nicht übersehen werden, dass Märchen, gleich, wie fantastisch sie daherkommen, im Kern eng an die jeweilige Lebensrealität ihres Publikums gebunden sind. Bondoux hat das ihrem neuesten Roman, einem Märchen, nicht beachtet und präsentiert Verschwommenes. Von MAGALI HEISSLER

Durch das Augenglas der Liebe

Jugendbuch | Beate Dölling: Der Sommer, in dem wir alle über Bord gingen Eine alte Fehde zwischen den Schülerinnen und Schülern zweier Schulen, die anscheinend kein Ende findet, Gefühlswirrwarr und viel schöne Natur, die allerdings auch Arbeit macht, sind die Ingredienzien von Beate Döllings Sommerabenteuergeschichte. Erst am Ende wird die leichte Kost pikanter und zeigt, wie wichtig der Blick der Liebe auf die Dinge ist. Von MAGALI HEISSLER

32 Stunden, 12 Minuten und 10 Sekunden für mehr Toleranz

Jugendbuch | David Levithan: Two Boys Kissing Wie lange dauert ein Kuss? Das kann je nach Anlass wohl sehr unterschiedlich sein. In David Leviathans jüngstem Roman werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Kusses mit ungewöhnlicher Dauer. Von ANDREA WANNER