Wettervorhersage: Es wird kalt!

Der meteorologische und der kalendarische Winteranfang liegen hinter uns, das Wetter macht dennoch, was es will. Zu einem richtigen Bilderbuchwinter gehören aber natürlich Kälte und Schnee. Kinderbücher erzählen davon auf ungewöhnliche Weise, freut sich ANDREA WANNER.

Ein Mädchen baut im verschneiten Garten eine große SchneekugelVermutlich erinnern sich nur wenige Menschen daran, wann sie das erste Mal in ihrem Leben Schnee gesehen haben. Auch wenn er seltener geworden ist, kennen wir die weißen Flocken, die vom Himmel kommen, gut. Aber es gibt andere Länder, in denen ist Schnee eine Seltenheit, ein ganz besonderes Ereignis, das manche nie erleben. Eine kleine Ich-Erzählerin weiß noch genau, wie sie den ersten Schnee erlebt hat. Staunend fängt sie die Schneeflocken mit dem Mund auf, überrascht, dass sie nicht süß schmecken. Die weiße Pracht verwandelt den Garten in eine Märchenlandschaft. Und ein Märchen ist es auch, dass die Großmutter vom ersten Schnee überhaupt zu erzählen weiß.

Es führt uns ins alte Persien, wo weit über den Wolken eine Frau mit seidenweichen Haaren lebt, Naneh Sarma. Diese Frau hat von einem Mann gehört, der die gefrorenen Flüsse schmelzen lässt und die Blumen zum Blühen bringt. Diesen Mann will sie kennenlernen. Sie putzt ihre Wohnung – und unten auf der Erde kommt der Staub als Schnee an. Es könnte eine wundervolle Liebesgeschichte sein. Aber wie viele Lieben, findet auch diese keine Erfüllung. Nouruz und Naneh Sarma kommen nicht zusammen. Der Frühling und Mütterchen Frost lieben sich, aber es muss jedes Jahr bei kurzen Momenten der Begegnung bleiben, da sie sich gegenseitig ausschließen.

Sylvie Bello schafft mit ihren Monotypien zu dieser poetischen Geschichte zauberhafte Bilder voller Leichtigkeit. In ihrer Zartheit erinnern sie an Pastellkreiden, transparent spiegeln sich die Farben, zeigen im Werden schon das Vergehen »Hundert und hundert Mal« lauscht die Enkeltochter der Geschichte, jedes Mal auf ein glückliches Ende hoffend. Und für immer ist diese Geschichte für sie mit dem ersten Schnee verbunden.

Ein Junge blickt mürrisch aus einem Fenster in eine verschneite WinterlandschaftPassiert das Wetter einfach so? Ein zehnjähriger Junge fühlt sich verantwortlich für den kältesten Winter alle Zeiten. Er hat etwas sehr Grausames getan und hat das Gefühl, dieser lichtlose Winter mit Schnee ohne Ende ist die Strafe dafür. Beißende Kälte und graue Schneeflocken ohne Ende legen das Leben in der Stadt lahm. Keine Schule mehr, gar nichts mehr. Nur Schnee, der trostlos und erdrückend alles lähmt. Kein Schnee, der einer klirrenden Kälte folgt und die Welt ein bisschen freundlicher macht, sondern Schnee als eine grausame Macht, die alles beherrscht. Längst hat er dem Großvater seine Tat gebeichtet, aber es hat nicht das bewirkt, was er sich davon erhofft hat, das Ende des Winters. Im Gegenteil. Es wird schlimmer. Was um den Jungen herum passiert, wird brutaler und rätselhafter. Nur das Verhältnis zu dem Nachbarsmädchen, das ihn immer gemobbt hat, erfährt ganz allmählich eine Veränderung.

Tine Mortiers Geschichte geht unter die Haut – von dem Bilderbuchformat darf man sich nicht täuschen lassen: da geht es nicht um eine Wettererfahrung für die Kleinen. Eher fühlt sich ein bisschen an Büchners »Lenz« erinnert und dessen Wanderung durch das Gebirge nach Waldbach im Steintal. So wie dort Lenz innere Verfassung von den Naturbeschreibungen der Erzählung gespiegelt wird, wird hier der Winter zum Symbol für Einsamkeit, die so total ist, dass man es eigentlich nicht fassen kann. Behutsam greifen die Illustrationen von Alain Verster diese Stimmung auf und wer genau hinschaut, findet in diesen Bildern kleine Hoffnungsboten. Denn ja: Auch dieser kälteste Winter geht einmal vorüber – und danach wird vieles anders sein.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Elham Asadi: Der erste Schnee
(La prima neve, 2021). Aus dem Italienischen von Ulrike Schimming
Illustriert von Sylvie Bello
Münster: Bohem 2022
32 Seiten, 29,95 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Tine Mortier: Der kälteste Winter
(De koudste winter, 2019) Aus dem Niederländischen von Christiane Sixtius
Illustriert von Alain Verster
Düsseldorf: Karl Rauch Verlag 2022
68 Seiten. 20 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
| Leseprobe
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Meister der Verstellung

Nächster Artikel

Abtauchen und abschalten

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Die Qual der Wahl

Kinderbuch | Juliane Pieper: Such aus!

1979 erschien John Burninghams hinreißendes Bilderbuch ›Would you rather like...‹, jetzt hat es mit Juliane Piepers verrückten Wahlmöglichkeiten ein würdiges Update ins 21. Jahrhundert erhalten, findet ANDREA WANNER.

Sichtbare Zeichen eines Unsichtbaren

Kinderbuch | Evan Kuhlman: Der letzte unsichtbare Junge Selten wurde im Kinderbuch eine treffendere Symbolik für den Verlust eines geliebten Menschen gefunden als im ersten ins Deutsche übersetzten Roman des amerikanischen Autors Evan Kuhlman. Das Tagebuch des Finn Garrett gibt Auskunft über ein sehr merkwürdiges Phänomen … Von BEATE MAINKA

Gedichte von Bäumen, Raben und Menschen

Kinderbuch | Der Kinder Kalender 2025

Der Kinderkalender für das Jahr 2025 begeistert wieder mit phantasievollen, märchenhaften, realistischen, witzigen, pfiffigen Gedichten und Illustrationen aus aller Welt. GEORG PATZER hat schon einmal vorgeblättert.

Pure Magie

Kinderbuch | Chris van Allsburg: Der Garten des Abdul Gasazi

Ein Junge soll auf einen frechen kleinen Hund aufpassen. Das gelingt ihm nur mäßig und endet unerwartet. Endlich gibt es Chris van Allsburgs Klassiker aus dem Jahr 1979 in einer deutschen Ausgabe, freut sich ANDREA WANNER.

Bologna im Frühling

Kinderbuch | Jugendbuch 53. Internationale Kinder- und Jugendbuchmesse Bologna Atmosphärische, klare, pfiffige und kinderlogikschräge Texte und Illustrationen. Ein Gang über die 53. Internationale Kinder- und Jugendbuchmesse Bologna, mit Deutschland als Gastland. Von SUSANNE MARSCHALL und GEORG PATZER