Abtauchen und abschalten

Sachbuch | Tobias Friedrich, Linus Geschke: Im Reich der Stille

Es macht nichts, wenn Sie nicht tauchen können, zum Eintauchen in dieses Buch bedarf es keiner Ausrüstung oder Ausbildung. Suchen sie sich aber ohne Zeitdruck einen gemütlichen Platz, Sie werden sehen, das Einlassen auf diesen gewaltigen Bildband wird zum eindrucksvollen Erlebnis. BARBARA WEGMANN über eine Reise durch die Welt, in der wir leben, die aber die meisten von uns nie sehen werden.

Ein Taucher schwimmt über einem Flugzeugwrack, das auf dem Meeresgrund liegtWann immer wir an der See sind, wir schauen auf Wellen und Wasser, »ohne zu ahnen, was sich darunter verbirgt. Welche Geheimnisse ihr innewohnen, welche Rätsel.« Der große Jacques-Yves-Cousteau-Fan Tobias Friedrich fühlte sich von diesen Rätseln immer schon magisch angezogen, das habe ihn zum Taucher gemacht, sagt er. Und die Rätsel und Schönheiten anderen zeigen zu wollen schließlich zum Fotografen. Was für eine gute Entscheidung! Mitnehmen möchte er den Betrachter, ihm zeigen, was er gesehen hat. »Nehmen sie sich beim Betrachten der Bilder die Zeit, die sie verdienen, die Lebenden und die Toten, die Wracks und ihre Geschichten.« Fühlen lassen, was er spürte, das ist Friedrichs Anliegen. Und das trifft es. Man sucht hier vergeblich lange Reiseberichte, ausführliche Texte, beschreibende und weit ausholende Informationen, wenige Texte drängen sich nicht auf, sind eher sachlich informativ. Der Betrachter bleibt mit dem Buch und seinen wunderbaren Bildern mit kurzen Erklärungen auf sehr angenehme Weise allein.

Tobias Friedrich hat sie alle bereist, tauchte in allen Weltmeeren; die Meere der Polarregionen wurden gar zu einer »eiskalten Liebe«. »Wen sie einmal gefangen nimmt, den lässt sie nie wieder los: die Liebe zu einer Region, die nur auf den ersten Blick kalt und abweisend wirkt.« Den Wracks »erleichtern sie das Überleben« angesichts der Temperaturen. Wracks sind Geisterschiffe, schreibt Friedrich, die »unsere Fantasie und Vorstellungskraft anregen, der Dunkelheit entrissene Mythen«. Bizarre Gesteinsformationen, so riesig, dass man den winzigen Taucher davor kaum sieht, Wracks von Frachtern, Fähren, U-Booten, Torpedobooten, gigantische Schiffspropeller und schließlich immer wieder das reiche und so vielfältige Leben in der Tiefe, so viele Farben, so viele Formen. »Jeder Tauchgang unter Eis ist ein Abstieg in eine andere Welt, hinein in eine fremde Galaxis.«

Die Bilder faszinieren in Größe, Brillanz, Motiv, sie beeindrucken mit dem einzig richtigen Moment, den der Profifotograf einfing. Immerhin gilt er als der weltbeste Unterwasserfotograf. Wettbewerbe, Ausstellungen, Preise und dann wieder Tauchreisen. Zurück zieht es ihn immer wieder. Auch das Mittelmeer oder die tropischen Meere sind für ihn spannende Tauchreviere und nicht selten ist Linus Geschke der Tauchbegleiter dieses Foto-genies. Ja, ja, Linus Geschke, den man eigentlich doch als Thriller Autor und Journalist kennt.

Exzellente Bilder, die – eines schöner als das andere – in eine Unterwasserwelt entführen, die man selten so, fast schon plakativ, groß sieht. Das tatsächlich schwere Buch, dieses große Buch, ja, es stimmt, dieses nicht ganz preiswerte Buch, es zeigt großformatig hinreißende Fotokunst, Begegnungen mit spektakulären, nicht gerade kleinen Meeresbewohnern, Begegnungen mit Wracks, die die Natur mit den Jahren für sich zurückerobert und die Fische und Korallen als Zuhause gewonnen haben.

Die Schicksale und das Leid, die Tragik und der Untergang, sie beeindrucken ebenso wie die Stille unter Wasser, die man schnell nachspüren kann. Viele Orte seien Kriegsgräber, schreibt Friedrich, »und so ist der Respekt bei diesen Tauchgängen der ständige Begleiter des Fotografen.«

Der fotografische Vorteil von Wracks: sie laufen nicht mehr weg; alles Lebende unter Wasser ist da schon eine andere Herausforderung.

Ich habe das tatsächlich so empfunden, wie Friedrich es beschreibt, dass diese seltsame Stille einen beim Betrachten langsam umgibt, dass es atemraubend schön ist, dort unter Wasser, das man sich fragt, warum der Mond so erforscht, aber die Welt unter Wasser so unerforscht ist. Aber vielleicht hat es auch sein Gutes, dass Geheimnisse, Mythen und Geschichten in einer für uns so nahen und doch so entfernten Welt bewahrt bleiben.

»Von Geburt an trägt der Mensch die Last der Schwerkraft auf seinen Schultern. Er ist an die Erde gefesselt. Dabei muss der Mensch nur unter die Oberfläche sinken, schon ist er frei.« – einen Hauch dieser Jacques-Yves-Cousteau-Erfahrung vermittelt das Buch ganz bestimmt.

| BARBARA WEGMANN

Tielangaben
Tobias Friedrich, Linus Geschke: Im Reich der Stille
Geheimnisvolle Orte unter Wasser
Verlag Frederking & Thaler München
288 Seiten, 98 Euro
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