Bild-Geschichten aus der Natur

Sachbuch | Wildlife Fotografien des Jahres

»Wildlife Fotografien des Jahres 2022«, es ist der weltweit größte Wettbewerb; eine internationale Jury musste dieses Mal 39 000 Einsendungen aus 90 Ländern begutachten. 100 Gewinnerbilder versammelt dieser prächtige Bildband. BARBARA WEGMANN hat sie sich angeschaut.

Ein Eisbär blick aus einem HausfensterEin etablierter und viel beachteter Wettbewerb für Profis und Amateure gleichermaßen. Sie kommen aus aller Welt, sind jung bis alt, erfahren oder am Beginn ihrer fotografischen Karriere. 16 verschiedene Kategorien gibt es, die »alle Aspekte der Natur und unserer Beziehung zu ihr abdecken sollen«. Alle Kameratechniken sind erlaubt, die digitale Bearbeitung jedoch unterliegt strengen Regeln. Der Sachlichkeit genug – betrachten wir die Bilder: ja, natürlich, sie bilden ab, fangen ein, halten den einen, den einen einzigartigen Moment fest, einen Moment, der in bunt oder schwarz-weiß unser Herz oder unseren Kopf erreicht. Bilder, die überraschen, schockieren, ans Herz gehen, Bilder, deren Motive man sicher nur ganz, ganz selten selbst einmal in der Realität sehen wird, Bilder von weit weg, Bilder von ganz nah, geheimnisvoll, fremdartig, vertraut und manchmal erschreckend. Und: Es sind Bilder, die Geschichten erzählen, und das geschieht immer häufiger.

Auch Fotografen bewegt das Schicksal dieser Erde zunehmend, ihre Zerbrechlichkeit, ihre drohende Zerstörung und die enge Verbundenheit von Menschen und Natur. Das erstklassige Foto ist das primäre Ziel, aber das Narrativ ist oft genauso wichtig. So machen ihre Bild-Geschichten nicht selten traurig und sehr betroffen, rütteln auf und fordern geradezu auf, sich Missständen zu widmen und sie zu beseitigen, solange es noch geht. Bilder werden zu einer Mahnung.

»Tödliches Gepäck«, die Überschrift zu einem dieser Fotos von Judith van de Griendt. Ein Brydewal, irgendwo vor der Küste einer Azoreninsel. Ein tief dunkelblaues Bild, das riesige Tier, das irgendetwas hinter sich herzieht. Auch ein so klein wirkender Taucher schwimmt da noch hinter dem Wal. Ganz langsam bewege sich der Wal, heißt es im Text zum Foto. »Er zog ein weggeworfenes, mindestens zwölf Meter langes Fischernetz hinter sich her … Weltweit landen geschätzt 800 000 bis 1,2 Millionen Tonnen ›Geisternetze‹ und andere Gegenstände der Fischereiausrüstung in unseren Ozeanen, wo sie Millionen von Meeresbewohnern töten.« Früher wäre der Wal ein spektakuläres Unterwasserbild gewesen, heute ist dieser Wal mit seinem Schicksal ein spektakuläres Foto mit einer deutlichen Aussage.

Dramatisch auch das Bild eines Eisbären, der eine Robbe jagt, zwei Tiere, denen die Erwärmung ihre dringend benötigten Eisschollen schmelzen lässt. Da liegt Dramatik in den Bildern. »Die Zeiten haben sich geändert, dieser Wettbewerb auch, und noch immer haben wir den Genesungsprozess, den unser Planet so dringend braucht, nicht eingeleitet.«

Aber auch viel, viel Schönheit und Lebendigkeit und Positives zeigen die Fotografien. Bilder von einzigartiger Qualität, wie das eines Oktopus vor Spaniens Mittelmeerküste. So elegant, so fließend in seinen Bewegungen, obgleich doch so starr im Bild. Ganz so, als setze er sich, wissend, dass er das Motiv eines auserwählten Fotos wird, geradezu in Pose. Viele Farben und Formen, und dazu: kurze Texte schildern anschaulich den Hintergrund und die Entstehung des Bildes, erzählen etwas über das Motiv und nennen schließlich auch die technischen Angaben zur Fotografie. Ein erstklassiges »Bilderbuch«, nicht nur für Fans der Fotografie.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Wildlife Fotografien des Jahres
Portfolio 32
München: Knesebeck Verlag 2022
160 Seiten, 38 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Besonderer Comic, tosender Applaus

Nächster Artikel

Ferne

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Die Forschung hebt ab

Kulturbuch | Volker Roelcke: Vom Menschen in der Medizin Nein, Schmerzen, das wäre nicht so sehr meins. Wenn ich versuche, einen Nagel in den Tisch zu schlagen, wird mich das nicht zum Fachmann in Sachen Schmerz befördern. Doch das Thema ist aufschlussreich, es wirft die Gewichtungen der medizinischen Forschung über den Haufen, und das ist offensichtlich gut so. Von WOLF SENFF

Eines Tages wieder …

Sachbuch | 150 Bars, die man gesehen haben sollte

Mal ein ganz anderer Tenor: Eine Reise um die Welt und die Ziele sind nicht etwa verlockende Hotels, weite Strände oder monumentale Bauten, sondern 150 so ganz verschiedene Bars. Da muss schon die Recherche für dieses Buch viel Spaß gemacht haben und ganz offensichtlich die Gestaltung, die Texte, die Fotos ebenso, so das erste Urteil von BARBARA WEGMANN. Na dann, »Auf Ihr Wohl«.

Der Natur auf der Spur

Kinderbuch | T.Papaíoannou, P. Bouloubasís: Etwas Wunderbares ereignet sich

Das kraftvolle bunte Leben der Natur. Immer gibt es in der Natur etwas zu entdecken. Tiere, Pflanzen, Steine, Wasser – alles lebt auf seine eigene Weise, hinterlässt Spuren, ist mit anderen in Interaktion. Ein prachtvolles, farbstrotzendes Bilderbuch zeigt einen kleinen Ausschnitt und lädt dazu ein, mehr zu entdecken. Von GEORG PATZER

Hautnah

Gesellschaft | Beatrice Bourcier: Mein Sommer mit den Flüchtlingen Man hört das Wort täglich mehrmals, »Flüchtlinge«. Die Nachrichten, die Nachbarin, der Paketmann, die Schülerinnen in der U-Bahn sagen es, es schallt aus jeder Ecke. Man sieht sie auf Fotos, im Fernsehen, auf YouTube. Überall sind sie. Vor allem sind sie da. Wie das so ist mit »denen«, erzählt Beatrice Bourcier, waschechte Bayerin und Ersthelferin, weil sie es gerade erst hautnah erlebt hat. Von MAGALI HEISSLER

Stimmungs-Umschwung

Gesellschaft | Richard David Precht: Tiere denken Es gibt zu viele Bescheidwisser, und Weisheit wird wieder mit Löffeln gefressen. Da erfrischt ein Satz wie dieser: »Gesichert in der Evolutionstheorie ist, dass keine ihrer Annahmen gesichert ist«. Im Übrigen existiert der Mensch bislang bloß hunderttausend Jahre, während unförmige Saurier den Planeten hundertfünfzig Millionen Jahre lang bevölkerten – kann gut sein dass sie klüger waren. Von WOLF SENFF