Alle meine Entchen machen sich auf den Weg zum See. Klar, was gibt es Schöneres für Enten als zu schwimmen. Zu viert sind sie. Drei einfarbige und ein prächtiger bunter Erpel, Erik. Sie werden Unterschiedliches erleben, amüsiert sich ANDREA WANNER.
Erik ist ein bisschen zögerlicher als die drei anderen. Mal ganz im Ernst: bei DEM Titel wäre ja wohl jede vernünftige Ente vorsichtig. Aber der Tümpel, in dem die vier unterwegs sind, ist auch wirklich zu winzig. Das Abenteuer lockt! »Kommt, wir gehen zum See!«, verkündigt mutig die Weiße. Im Gänsemarsch folgen ihr die Gelbe und die Schwarze. Nur Erik schnattert aufgeregt: »Zum See? Aber man sagt, dort wohnt ein schreckliches Monster!« So ein kleiner Feigling. Die drei anderen kümmern sich nicht um ihn. Drei steigen forsch ins Wasser, das in smaragdenem Grün mehr als die untere Hälfte der Bilderbuchdoppelseite füllt. Wir als außenstehende Betrachter:innen haben einen perfekten Blick drauf: Spiegelglatt liegt das Wasser da, was dort schwimmt, sind kleine Fische und ein Frosch. Alles ganz harmlos. Nur Erik zögert.
Nur er steht noch am Ufer und starrt in die unergründliche Tiefe, als wir sehen, wie Fische und Frosch auf einmal sehr eilig die Richtung geändert haben und plötzlich gar nicht mehr entspannt wirken. Oben an der Oberfläche tauchen kleinen Bläschen auf, da wo die Paddelbewegungen der Enten das Wasser in Bewegung bringen. Was sehen wir? Was sehen die Enten? Drei schauen einfach geradeaus, da gibt es auch im Moment nichts zu entdecken. Aber Erik. Merkt der denn nicht, dass sich da was zusammenbraut? Dass die Fische und der Frosch nicht grundlos die Flucht ergreifen. Scheinbar nicht, denn eine Doppelseite weiter schwimmt auf Erik, wenn auch in relativ1q großem Abstand zu den drei Damen, die versichern, dass er ihnen ruhig glauben könne, dass alles in bester Ordnung ist. Von wegen! Von rechts kommt etwas angeschwommen. Riesig. Unbeschreiblich. Anders als alles, was man je zuvor gesehen hat.
Leo Timmers ist ein Meister seines Fachs. Egal, ob er in ›Das rasante Buch‹ Tempo ohne Ende in seine Story bringt, ob er am Beispiel von ›Gust der Mechaniker‹ zeigt, wie Recycling funktioniert oder ganz ähnlich wie hier in ›Wo steckt der Drache?‹ drei schwer bewaffnete Ritter auf die Suche nach dem geschuppten Riesen schickt: Jeder Strich sitzt, jede neue Seite bringt Überraschendes und Verblüffendes zum Vorschein – und: Wir sehen gern ein bisschen mehr als die Akteurinnen und Akteure in der Geschichte. Das kann auch ganz schön beunruhigend sein, so wie in der Entengeschichte. Wer so naiv und ahnungslos ist wie die drei Enten, hat eindeutig weniger Stress. Denn die verpassen das Monster komplett.
Und wir? Dürfen Eisschirmchen und Strohhalme entdecken und auf einer ausklappbaren Seite, die das Format des Bildes auf nahezu sage und schreibe einen Meter Breite anwachsen lässt, eine schillernde, kunterbunte, unglaubliche Unterwasserwelt! Ein Treiben so fantastisches wie im Märchen, so kunstvoll wie im Zirkus, so bezaubernd wie in einem Traum, so verrückt, wie das eben nur in einer Geschichte möglich ist. Ein Spiel mit Schein und Sein, mit Sehen und Wegschauen, mit Mut und Vorsicht, mit allem, was ein geniales Bilderbuch ausmacht!
Titelangaben
Leo Timmers: Monstersee
(Het monstermeer, 2022)
Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart
Zürich: Aracari 2023
44 Seiten, 18 Euro
Bilderbuch ab 6 Jahren