Matthis ist irgendwie von dem ganzen Familienurlaub genervt. Stundenlang in Auto zu sitzen, nur um den nächsten, genau gleich aussehenden See zu umrunden, findet er ätzend. Und auf der Heimfahrt von so einer Wanderung eskaliert die Situation. Was daraus wird, ist allerdings überraschend, staunt ANDREA WANNER.
Den Eltern platzt der Kragen. Matthis hat den Bogen endgültig überspannt. Er muss aussteigen und das letzte Stück alleine zum Ferienhaus laufen.
Vater, Mutter und Benni, der kleine Bruder, fahren weiter, ohne Matthis und die Hündin Tara. Und ohne Matthis im Auto geschieht ein fürchterlicher Unfall. Der Junge hatte ihnen noch schreckliche Dinge hinterhergerufen, wollte sie nie wiedersehen. Und jetzt? Er ist fassungslos. Das Auto ist wegen eines Steinschlags abgestürzt. Matthis kann noch Hilfe rufen mit seinem Handy – und dann entschließt er sich, zu verschwinden. Er erträgt seine Schuld nicht, weiß, dass er alles falsch gemacht hat, und will nur noch fort.
So schlägt er sich mutterseelenallein durch die norwegische Wildnis, ernährt sich von Beeren und Pilzen, badet in Seen und trinkt das Wasser daraus. Erbaut sich kleine Behausungen, wärmt sich nachts am Fell von Tara und versteckt sich, wenn Suchtrupps unterwegs sind. Es gelingt. Er hängt die Sucher ab, bleibt alleine mit sich, mit der Hündin. Mit seiner Schuld. Er entwickelt einen neuen Blick für die Umgebung, wird kräftiger, mutiger. Er trifft auf ein rätselhaftes Mädchen, die eine Menge von Trollen zu erzählen weiß und fühlt sich selbst wie ein böser Troll.
Cornelia Franz findet einen für ein Kinderbuch ungewöhnlich intensiven Ton. Natürlich geht es um Abenteuer, um das Überleben mit quasi nichts ohne Zivilisation. Aber es geht auch darum, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sich unangenehme Fragen zu stellen und den Antworten nicht länger auszuweichen. Matthis lernt, Verantwortung zu übernehmen. Für sich, sein Tun und Lassen, aber auch für andere. Ein paar Tage in der Natur verändern ihn, lassen ihn reifen und erkennen, was wirklich wichtig ist.
Das den jungen Leserinnen und Leser so eindringlich zu erzählen, den Konflikten ins Auge zu sehen und sie auszuhalten, ist eine beeindruckende Sache, die aus dieser Abenteuergeschichte echte Kinderliteratur macht und für Schwierigkeiten und Konflikte sensibilisiert. Die märchenhafte Kulisse Norwegens bietet dafür genau den passenden Rahmen: wild, ungezähmt, aber wunderschön. Der Junge findet dort zu sich selbst – und damit auch einen Weg zurück in sein Leben.
Titelangaben
Cornelia Franz: Wildesland
Mit Vignetten von Petra Baan
Hildesheim: Gerstenberg 2023
144 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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