//

Demokratie

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Demokratie

Entbehrlich, er ist entbehrlich.

Farb lachte. Verzichtbar.

Die Welt stünde ohne ihn keineswegs schlechter da.

Ohnehin ergeht es ihm miserabel, da greifen auch all seine Versuche nicht, gute Laune zu stiften, ehrlich, er ist überflüssig, und außerdem – was trage er bei zum Wohlbefinden des Planeten, nichts, wer brauche ihn, niemand, er nehme sich vom Kuchen und gebe nichts zurück.

Tilman rückte näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Durchaus sei denkbar, sagte Farb, daß sein Abgang eine befreiende Wirkung hätte, der Planet würde von Zwängen und Knebelungen erlöst, der Tag zum Beispiel dürfte Persönlichkeit entfalten, als ein lebendiges Wesen wahrgenommen werden wie andere auch, er verströmte gute Stimmung unter einem blauen Himmel, er wäre melancholisch unter dunklen Wolken und Regenschauern, neigte zum Zornausbruch unter Blitz und Hagel.

Der Tag, fragte Annika.

Der Tag, gewiß, sagte Farb.

Annika blickte zweifelnd auf. Ob er gleichsam seine wechselhafte Persönlichkeit ausbilde, fragte sie.

Möglich, sagte Farb, er erwache morgens unter der aufgehenden Sonne, weshalb sei das so unverständlich, der Tag führe ein eigenes Leben.

Annika schwieg.

Tilman hielt das Thema für reizvoll.

Farb tat sich Sahne auf seine Pflaumenschnitte und strich sie sorgfältig glatt.

Trotz all seiner gepriesenen Wissenschaften wisse der Mensch ja nicht, was das sei: Leben, sagte Tilman, und könne nicht mehr tun, als wahrzunehmen, daß Leben nun einmal existiere, das lasse sich weder verhindern noch könne er es beweisen, er könne es wohl punktuell vernichten, ja, sowieso, massenweise töte er Individuen der eigenen Spezies, habe eigens todbringende Automaten ersonnen, er töte Rinder zwecks Fleischproduktion, füge sich und anderen alle möglichen Verletzungen zu, gewiß, doch daß er etwa das Leben an sich steuere – davon könne keine Rede sein, das Leben sei nicht abhängig vom Menschen.

Annika fand das ungewöhnlich.

Tilman griff zu einem Vanillekipferl.

Farb lachte.

Der Mensch sei entbehrlich, sagte er, komplett entbehrlich. Würden wir einmal dessen eigene, stets so beredt gepriesenen Werte anwenden und ließen  die Lebewesen darüber abstimmen, ob sie ihn auf dem Planeten behalten wollten, also: heute große Stimmenabgabe für oder wider, die Tierwelt der Reihe nach, eines nach dem anderen – wer möchte für den Verbleib stimmen: Vögel? Fische? Wale? Pferde? Rinder? Kühe? Schweine? Insekten? Nein, man werde keine Spezies finden, sagte Farb, alle wären froh, ihn loszuwerden, erleichtert, frei zu sein vom Menschen, endlich erlöst, und es gäbe wenige, denen wäre es bestenfalls nur gleichgültig.

Annika lachte und applaudierte.

Auch die Pflanzen drängten sich, abzustimmen, sagte Farb, und hier wäre das Resultat eindeutiger, die industrielle Agrarwirtschaft und die Versiegelung der Böden bewögen alle Pflanzen ausnahmslos dazu, gegen einen Verbleib zu stimmen.

Annika stand begeistert auf und rief Bravo.

Tilman lächelte.

Der Mensch gebärde sich wie ein tyrannischer Herrscher, räuberisch, plündernd, sagte er, und führe sich auf wie der Eigentümer des Planeten, das sei auf vielerlei Weise krankhaft, sagte er, neurotisch, der Mensch, dies nur nebenbei, setze sich damit selbst unter Zwänge, oft genug unabsichtlich, und er sollte doch bitte seine Augen öffnen für das Leid, das er verursache, und sich von eingefahrenen Denkmustern lösen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schule des Sehens

Nächster Artikel

Handlungsreisende in Sachen Tod

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

PETM

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: PETM

Auch der Einbruch der Eiszeit habe die Anzahl der Lebewesen drastisch reduziert, sagte Anne, immer wieder gebe es Brüche, die die Dinge durcheinanderwerfen, daß man nichts wiedererkenne.

Das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum müsse ein extrem tiefgreifender Bruch gewesen sein, sagte Tilman, es werde von der Forschung auf etwa 55,8 Millionen Jahre vor unserer Zeit datiert, habe sich über rund zweihunderttausend Jahre hingezogen und sei, gemessen an der Erdgeschichte, dennoch eine flüchtige Phase gewesen, die man ignorieren könnte, wären ihre Auswirkungen nicht so verheerend gewesen.

Für den Menschen sind zweihunderttausend Jahre eine endlos lange Zeit, sagte Anne und lächelte. Sie legte sich eine Pflaumenschnitte auf und schenkte Tee nach.

Tilman nahm einen Löffel Schlagsahne, es war ein angenehmer Sommmertag.

Arm und reich

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Arm und reich

Nach wie vor tobt der Klassenkampf der Krösusse gegen die Mittellosen.

Warren Buffet.

Unter der Oberfläche und nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar, doch desto erbarmungsloser, Hunger ist eine hochwirksame Waffe, die Opfer gehen in die Millionen.

Das kümmert unsere Krösusse nicht.

Es kommt ihnen entgegen, und seit neuestem, las ich vor einigen Tagen, errichten sie ihre eigenen exklusiven Städte.

Angst

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Angst

Die Moderne sei auf Angst gebaut?

Wer sagt das? Der Navajo?

Du hörst es von allen dreien.

Mahorner setzte sich.

Touste schlug Akkorde auf seiner Gitarre an.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Weshalb wird nur über die Moderne geredet, über die sogenannte Moderne, so nennt sie Termoth, die sich drohend am Horizont ankündige?

Kein Bedarf

TITEL-Textfeld |Wolf Senff: Kein Bedarf

Das läßt sich nicht abstreiten, sagte Tilman, sie finden uns einfach nur langweilig.

Sicher?

Tilman nickte, stand auf und schenkte Tee nach.

Sterbenslangweilig, bekräftigte er, und sie haben ja recht, niemanden drängt es nach dieser Spezies.

Aber unser Planet, wandte Anne ein, unser Planet ist ein Paradies.

Tilman lachte. Dieser Planet war einmal ein Paradies, sagte er, der Mensch ist für ihn eine Heimsuchung. Wir leben in den Tagen der Vertreibung, spottete er, und haben das selbst zu verantworten.

Der Mensch will das Leben genießen.

So geht’s aus

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: So geht's aus

Dazu hat er nichts gesagt?

Kein Sterbenswörtchen, nein.

Hm.

Vielleicht möchte er die Einzelheiten gar nicht wissen.

Hört sich aber nicht gut an.

Der Ausguck nahm einige Schritt Anlauf, schlug einen Salto, kam diesmal jedoch unglücklich auf, stolperte, setzte sich und hielt sich den Fuß.