Fast wie die Möwe Jonathan

Jugendbuch | Jasminka Petrović: Der Sommer, als ich fliegen lernte

Die Sommerferien drohen grässlich öde zu werden: die 13jährige Sofija begleitete ihre Oma zu einem Besuch bei ihrer Schwester. Und zunächst wird es genau das, was Sofija befürchtet hat: ein Albtraum. Von ANDREA WANNER

Ein Mädchen im Bikin springt von einem Steg ins MeerBelgrad hat im Sommer einiges zu bieten, die Insel Hvar hat wenigstens das Meer. Ein kleiner Trost für den Teenager, die ihre Brüste zu klein findet und sich die Beine nicht epilieren darf. Zu jung, findet die Mutter. Die bleibt mit dem Vater daheim, weil ein Ökoprojekt noch nicht angeschlossen ist. Und so reisen ein junges Mädchen und eine alte Frau gemeinsam mit dem Bus von Serbien nach Kroatien.

Für Sofija sind die blutigen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien Geschichte, jetzt muss sie plötzlich feststellen, dass sie auch in der eigenen Familie Spuren hinterlassen haben und es Geheimnisse gibt, von denen sie keine Ahnung hatte. Der Sommer wird jedenfalls ganz anders, als sie sich das jemals hätte träumen lassen. Und ganz nebenbei lernt sie, zu fliegen.

Die 1960 in Belgrad geborene Autorin Jasminka Petrović lässt ihre Ich-Erzählerin die Erlebnisse und Begegnungen, die beobachteten sprachlichen und kulturellen Unterschiede, die spannenden und schönen Momente und die der Einsamkeit und Trauer in dreiundzwanzig Nächten schildern. Das gleicht einem inneren Monolog, der teilweise die Begebenheiten des Tages plastisch und eindrücklich erzählt, aber auch die langen, schwülen Nächte, wenn Sofija neben ihrer schnarchenden Großmutter keinen Schlaf findet, lebendig werden lässt.

Viel Alltägliches des ungewohnten Landlebens beschäftigt Sofija, die Behandlung durch ihre Oma, die ihr keine Freiheit lässt, die Beobachtung der beiden Frauen, die sich so viele Jahre nicht gesehen haben und wo sie eine Seelenverwandtschaft mit ihrer Großtante spürt.

Petrović verzichtet auf jegliche Effekthascherei und lässt auch die großen, wichtigen Momente eher leise daherkommen. Das Ganze würzt sie mit einer kräftigen Prise Humor: Auch Sofija entscheidet sich öfters fürs Lachen als fürs Weinen. Und einen großen Raum nehmen auch die drei Bücher sein, die sie durch diese drei Wochen begleiten: Michael Endes ›Unendliche Geschichte‹, Henri-Pierre Rochés ›Jules und Jim‹ und die Erzählung ›Die Möwe Jonathan‹ von Richard Bach. Sie geben Impulse und spiegeln in gewisser Weise Sofijas Sommer – zu dem dann auch noch eine Liebesgeschichte gehört.

Das Buch wurde 2022 verfilmt und ›How I learned to Fly‹ soll dieses Jahr auch in die deutschen Kinos kommen. Das Buch lohnt sich auf jeden Fall als eine etwas andere Sommerlektüre.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Jasminka Petrović: Der Sommer, als ich fliegen lernte
Aus dem Serbischen von Marie Alpermann
München: Tulipan 2023
192 Seiten, 16 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Am Ende

Nächster Artikel

Freiheit und Kreativität

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Mädchenträume

Jugendbuch | Karen Foxlee: Das nachtblaue Kleid Die magische Wirkung eines nachtblauen Kleides führt zu einer Katastrophe: in einer schwülen Sommernacht, in der ein lange herbeigesehnter Ball stattfindet, verschwindet ein Mädchen spurlos. Die Suche nach ihr birgt so manche Überraschung. Von ANDREA WANNER

Blutvergießen

Jugendbuch | Lola Renn: Drei Songs später Eine Familie ist ein eng gestricktes Beziehungsgeflecht. Eng gespannt sind auch die Fäden der Macht, die zwischen den Beteiligten hin- und herlaufen. Was innerhalb der einen Gruppe ein schützender Kokon sein kann, in einer anderen fördernd und wegweisend, kann sich in der dritten als Diktatur auswirken, der die Schwächsten, die Kinder, schutzlos ausgeliefert sind. Solche Fäden können töten. Wer sich lösen will, muss Blut lassen. Lola Renn vergießt in Drei Songs später im wahren Sinn des Worts das Blut ihrer sechzehnjährigen Protagonistin, während diese mit ihren Eltern um ihr Leben kämpft. Von MAGALI

Mädchengeschichten

Jugendbuch | M.Hof,I.Kuijpers: Julia / M.Holzinger: Funkensommer Zwei Taschenausgaben bereits erschienener Mädchenromane locken in diesem Frühjahr junge Leserinnen. Ein bisschen Probleme, ein bisschen (Liebes)Konflikt erwartet sie, eher ernsthaft angegangen in der fiktionalisierten Autobiographie einer jungen Balletttänzerin, ›Julia‹ von Marjolijn Hof, rundum rosig romanhaft in Michaela Holzingers Bauernhof-Roman ›Funkensommer‹. Von MAGALI HEISSLER

Daneben

Jugendbuch | Franziska Moll: Egal wohin Abhauen, weg, alles hinter sich lassen, das sind Träumereien, alltäglich, geradezu banal und rundum gesellschaftsfähig. Tatsächlich sind sie Teil des Problems, das in der Regel deswegen so bedrückend wurde, weil man sich ihm nicht gleich stellen wollte. Eben das übergeht auch Franziska Moll in ihrem zweiten Jugendroman ›Egal wohin‹ und so endet auch diese Geschichte vom Davonlaufen mal wieder daneben. Von MAGALI HEISSLER

Möge der Beste gewinnen…

Jugendbuch | Kate Hattemer: Für Freiheit, Kunst und Mayonnaise Castingshows liegen im Trend, unterhalten das Fernsehpublikum und versprechen den Siegern eine grandiose Zukunft. Aber wie sieht es hinter den Kulissen aus. Von ANDREA WANNER