Jeder von ihnen hat seine eigene Methode. Der Wal sorgt dafür, dass seine Opfer ohne zu zögern Hand an sich legen. Die Zikade tötet mit dem Messer und hält sich für einen Experten in Sachen »Sippenmord«. Und der Pusher schubst seine Opfer vor Autos oder Züge und macht sich anschließend schnell davon. Einzigartig und gefürchtet, aber auch gefragt in der Tokioter Unterwelt ist das Trio. Kann sich ein ehemaliger Mathelehrer mit eher schwach ausgebildeter Muskulatur gegen eine solche Killerelite durchsetzen? Kotaro Isaka, der schon in Bullet Train ein halbes Dutzend Auftragsmörder im Shinkansen zwischen Tokio und Kyoto aufeinanderhetzte, macht auch in Suzukis Rache keine halben Sachen und lässt ordentlich die Fetzen fliegen. Von DIETMAR JACOBSEN
Wie ist der eher ruhige Ex-Mathelehrer Suzuki nur da hineingeraten? Eine gute Frage, die sich im Übrigen auch sein aktueller Arbeitgeber stellt. Denn in der Firma »Furoirain« ist man ein wenig misstrauisch, was den neuen Mitarbeiter betrifft. Irgendwie passt der Zahlenfreak nicht zu den anderen, die von Algebra, Geometrie und Mengenlehre keine, dafür aber umso mehr Ahnung davon haben, wie man junge Menschen – der Firmenname »Furoirain« soll von dem deutschen Wort »Fräulein« abstammen – ködert, abhängig und, wenn es gerade gebraucht wird, gegen ihren Willen zu Organspendern macht.
Also soll der Neue gefälligst erst einmal seine Loyalität unter Beweis stellen, ehe man ihn mit wichtigeren Aufgaben betraut. Töte zwei junge Menschen und du gehörst zu uns, lautet deshalb die Anweisung, deren Umsetzung niemand geringerer als der Sohn des Firmenchefs Terahara überwachen soll. Doch noch ehe es dazu kommt, wird Terahara junior selbst unmittelbar vor Suzukis Augen umgebracht. Und Suzuki muss sich sputen, denn nun lautet sein neuer Auftrag, den Mann, der den Gangstersohn kaltblütig vor ein herannahendes Auto gestoßen hat, bis zu dessen Wohnort zu verfolgen, damit sich Teraharas Leute seiner annehmen können.
Ein Lehrer auf dem Rachepfad
Dennoch hat der zart besaitete Mathelehrer Glück im Unglück. Denn nun muss er nicht selbst zum Mörder werden. Und natürlich hat er seinen Beruf auch nicht an den Nagel gehängt, um in Zukunft als knallharter Gangster auf Tokios Straßen eine zweite Karriere zu starten. Stattdessen treibt ihn Rache an – und die wird, wie man weiß, am besten kalt serviert. Also hat sich Suzuki nach dem ohne rechtliche Folgen bleibenden Tod seiner Frau – der junge Terahara hat sie aus purem Spaß und weil er glaubt, mit seinem mächtigen Vater im Hintergrund unangreifbar zu sein, kaltblütig überfahren – aufgemacht, um die Gerechtigkeit in die eigene Hand zu nehmen. Doch noch ehe er zur Tat schreiten kann, hat die ein anderer schon vollbracht – ein Auftragskiller, den man den Pusher nennt.
Der ist eine nur zu bekannte Nummer in der Tokioter Unterwelt. Schleicht sich an Straßenübergängen und Bahnsteigen von hinten an seine Opfer heran, ein kleiner Schubser genügt, und während die Herumstehenden noch rätseln, ob sie eben Zeugen eines Unfalls oder eines Suizids geworden sind, hat der Auslöser des Unglücks schon ein paar hundert Meter zwischen sich und den Ort seiner Tat gebracht. Aber diesmal nicht – denn Suzuki hat den unscheinbar wirkenden Mann gesehen, ihn bis zu seinem Haus verfolgt und am Morgen darauf klingelt er bereits an dessen Tür. Blumen dafür, dass der Mann das getan hat, was eigentlich auf Suzukis eigener Agenda stand, hat er keine dabei. Dafür bietet er sich kurzerhand als Hauslehrer für den Sohn des Pushers an. Und wird tatsächlich vom Fleck weg engagiert.
Drei Auftragskiller finden ihren Meister
Kotaro Isaka (Jahrgang 1971) ist einer der international erfolgreichsten japanischen Thrillerautoren. Hierzulande kennt man den sich seit über 20 Jahren ganz dem Schreiben widmenden studierten Juristen, der eine Weile als Systemingenieur arbeitete, seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung seines Romans Bullet Train vor 2 Jahren. Die katastrophal endende Fahrt des japanischen Hochgeschwindigkeitszugs Shinkansen – im Volksmund »Bullet Train« genannt, weil er so schnell ist wie das Geschoss aus einer Waffe – von Tokio nach Kyoto mit einem halben Dutzend Auftragskillern und einem Koffer voller Geld an Bord hat inzwischen auch als Film mit Brad Pitt in der Hauptrolle für Furore gesorgt. Suzukis Rache, im Original bereits 2004, also 6 Jahre vor Bullet Train erschienen, ist nicht weniger spektakulär und sollte dafür sorgen, dass man in Zukunft wohl noch weitere der inzwischen mehr als 20 Romane dieses Autors in deutscher Übersetzung zu lesen bekommen wird.
Mathelehrer Suzuki jedenfalls würde gut daran tun, sich schnell wieder in seinen alten Job zurückzuziehen. Denn er hat ja erreicht, was er wollte. Und das noch dazu mit relativ geringem persönlichen Einsatz. Aber wie heißt es so schön? Mitgefangen, mitgehangen. Weil die Leute von Boss Terahara wissen, dass er sich an die Verfolgung des Mörders von dessen Sohn gemacht hat, soll er nun natürlich die Adresse des Pushers preisgeben, damit man sich auf die in der Unterwelt übliche Weise um den Mann kümmern kann. Und schon sind zwei weitere gefährliche Killer unterwegs – der Wal, der trotz seiner imponierenden Körpergröße allein mit seinen Geisteskräften dafür sorgt, dass seine Opfer umgehend zum Strick greifen oder aus dem nächsten Fenster springen, und die Zikade, ein Virtuose mit dem Messer, der sich auf die Auslöschung ganzer Familien spezialisiert hat.
Temporeich und voller Überraschungen
Allein Suzuki sind inzwischen Zweifel gekommen, ob er tatsächlich den gefürchteten Pusher enttarnt hat. Denn zu normal scheint ihm der mit Frau und zwei kleinen Söhnen in einem schlichten Einfamilienhaus lebende und sich offensichtlich mit den üblichen Mittelschichtsproblemen herumschlagende Mann namens Asagao zu sein, um ein Doppelleben als gefährlicher Killer zu führen. Also was tun? Einen Mann, der ihm eigentlich einen großen Gefallen getan hat, und dessen gesamte Familie ans Messer liefern? Oder dazu beitragen, dass nach dem Mörder seiner Frau auch noch dessen ganzer Clan seiner gerechten Strafe zugeführt wird?
Suzukis Rache ist ein temporeicher Roman voller überraschender Wendungen. Nicht nur die Titelgestalt spielt in ihm ein Spiel mit verdeckten Karten, sondern praktisch jeder der Auftretenden hält mit seinen wahren Absichten hinter den Berg. Man trifft auf Killer mit Gewissensbissen, die unter Obdachlosen hausen und ihren Dostojewski aus dem Gedächtnis zitieren können, Auftragsmörder, die sich für Marionetten halten und nichts lieber täten, als die Stricke durchzuschneiden, an denen sie bewegt werden, und einen naiven Fremdling im Unterweltsmilieu, durch den eine Lawine ins Rollen gebracht wird, die nicht wenige unter sich begräbt. Kotaro Isaka bringt Humor und Schockeffekte unter einen Hut, glänzt mit wunderbar absurden Dialogen und wagt dazu einen kritischen Seitenblick auf das moderne Japan. Mit einem Wort: ein großer Spaß und allerbeste Unterhaltung, die weiterzuempfehlen fast Pflicht ist.
Titelangaben
Kotaro Isaka: Suzukis Rache
Aus dem Japanischen von Sabine Mangold
Hamburg: Hoffmann und Campe 2023
302 Seiten. 24.- Euro
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