Draußen singen die Vögel. Wer genau lauscht, begreift vielleicht, was sie tschilpen, trällern, flöten und anstimmen. Und vielleicht helfen diese Bilderbücher, den Geheimnissen näherzukommen, überlegt ANDREA WANNER.
Wenn man an Vögel denkt, ist der Star einer der ersten, der den meisten in den Kopf kommt. Schließlich zählt ihn auch das Lied ›Alle Vögel sind schon da‹ gleich auf, in einem Atemzug mit Amsel, Drossel und Fink. Er gilt als geselliges Multitalent und sein reiches Repertoire an Lauten und Melodien erklärt vielleicht das poetische Bilderbuch von Octavie Wolters.
Er singt nämlich nicht nur sein Lied, um die Schönheit alles zu loben, was ihn umgibt, er erzählt es auch den anderen Vögeln und der Reihe nach ergänzen Specht, Eule, Eisvogel, Rotkehlchen, Schwalben, Ente, Pfau und die anderen Stare seinen Inhalt um das, was ihnen wichtig erscheint. So singt er ein Lied von den Bäumen, dem Himmel und der Erde. Er besingt die Nacht, das Wasser, die Blüten und Steine und die Gemeinschaft. In seinem Gesang geht alles auf, was zum Leben gehört, es ist reich an Gedanken und klug überlegt und zusammengefügt.
Die kunstvollen Linolschnitte von Wolters bringen die Pracht zum Leuchten und man meint tatsächlich, bunte Farben zu sehen. Aber das reduzierte Schwarz und Weiß in seiner wunderbaren Ornamentik wird nur durch die gelben Füßchen und den gelben Schnabel des Stars ergänzt, leuchtend in der zurückgenommenen Farbigkeit. Zauberhaft reihen sich die Vogelbegegnungen aneinander und laden ein, dem ganz besonderen Lied des Stars zu lauschen.
»OH!« von Klaus Baumgart ist eines dieser herrlichen Kettenreaktionsbilderbücher, das man immer wieder genießen kann. Held der klamaukigen Geschichte ist ein roter Ball, der für allerhand Unruhe im Tierreich sorgt. Und weil es das Huhn samt des Eis auf das Cover des stabilen Pappbilderbuchs geschafft haben, darf es mit in die Auswahl an Vogelbilderbüchern. Drei kleine Vögel auf einem Ast – auf dem sie nicht lange sitzen werden – haben auch ihren Auftritt, gleich als erste nach der Maus, die eigentlich ein Tor schießen will. Aber entweder liegt es an den mangelnden Künsten des Nagers oder an dem eigenwilligen Fußball: Tor gibt es erst mal keines. Stattdessen sorgt die Flugbahn für jede Menge Unruhe. »Er kommt in hohem Bogen auf die Vögel zugeflogen.« Sie sehen ihn kommen, schon ditscht er auf dem Ast auf, auf dem sie es sich gemütlich gemacht hatten. Und sie? Purzeln runter! Eichhörnchen, Schweinchen, Frosch, Elch, Bär und natürlich das Huhn machen auch ihre nicht immer schmerzfreien Erfahrungen mit dem Geschoss.
Immer zwei Doppelseiten erzählen eine Miniepisode, so reiht sich Geschichtchen an Geschichtchen, bis am Ende alle Tiere versammelt sind. Inklusive der Maus, die wissen will, ob vielleicht jemand mitspielen mag. Klar! Und schon geht der Spaß wieder von vorne los. Kurze Reime, witzige Tierbilder auf einfarbigem Grund und jede Menge Action! Kleine Ursache und umso größere Wirkung.
Da hat sich noch ein Bilderbuch für die Allerjüngsten dazugemogelt, dass neben einem gefiederten Tier auch Maus, Frosch, Eichhörnchen und diverse andere vorstellt, die sich allerdings zunächst noch verstecken. Titelgebend ist die Eule, von der man erfährt, dass sie Schuhu macht. Camilla Reid hat ihr Federkleid so wie auch Haut und Fell der anderen kunstvoll gestaltet und die Ornamente sogar mit Gold verziert. Würdevoll sitzt sie auf einem Ast, schaut uns mit ihren großen Augen an und man versteht sofort, warum sie im alten Athen das Symbol für Weisheit war.
Und wer mit Vögeln bis zehn zählen möchte, kann das mit dem Bilderbuch von Marcos Farina. Der argentinische Grafikdesigner mit Schwerpunkt auf analoge Drucktechniken und Illustrationen im Retro-Stil, bastelt aus bunten geometrischen Formen Ente, Pelikan, Schwan, Huhn, Specht, Eule, Taube, Kolibri, Papagei und Kanarienvogel. Und davon nicht nur einen, sondern kleine Serien mit einem, zwei, drei – bis zu zehn der gefiederten Gefährten. Mal klassisch gereiht in unterschiedlichen Farben wie bei den Pelikanen, mal in fantasievollen Variationen wie bei den Hühnern und mal in Bewegung wie die sieben Tauben. Designerisch ist das ein kleines Kunstwerk für Kinderhände, ebenso stabil wie amüsant: es gibt einen kleinen Schlussgag, der aber natürlich nicht verraten wird.
Und dann gibt es noch eine letzte Vogelgeschichte mit einer durchaus ernsten Botschaft an uns Menschen. Ein kleiner Vogel freundet sich hier mit einem Kind an. Und das sehen die Eltern des Vögelchens gar nicht gern. Es kommt zu einem ernsten Gespräch mit den Vogeleltern, die ihren Nachwuchs darüber aufklären, wie der Mensch seit seinem Auftauchen alles daran setzt die Erde, die einmal ein Paradies war, zu ruinieren. Eine kurze Geschichte der Menschheit mit viel Versagen und wenig Blick für die Umwelt. Dabei werden Errungenschaften wie die Erfindung des Rads durchaus gewürdigt, anderes wie das Abholzen der Wälder sehr kritisch angemerkt.
Adjektive wie bombastisch, riesengroß, megamäßig und hypergigantisch fallen angesichts der Städte, die von Menschen gebaut wurden und werden. Und ein resigniertes »Die schaffen’s glatt noch, sich selber auszurotten« des Vaters zeigen die ganze Dramatik der Situation. Der kleine Vogel ist traurig und vor allem enttäuscht, dachte er doch, Mika sei ein netter Mensch. Er nimmt sich vor, mit ihm zu reden. Aber das ist gar nicht mehr nötig: Mika hat schon selbst begonnen. Mit guten Ideen wie der Begrünung des Dachs, auf dem sich der Junge und der Vogel immer treffen. Ja, es gibt gute Einfälle und Pläne und am Ende schauen auch die Vögel optimistischer in die Zukunft.
Miro Poferl hat seine Geschichte mit raffinierten Collagen illustriert: Die runden Naturformen konkurrieren mit den eckigen Konstruktionen von Gebäuden, Straßen, Brücken und Autos, die Tiere und Bäume zu verdrängen drohen. Trostloses Braun, Grau in Schattierungen und aggressives Orange dominieren da, wo vorher Grün und Blau, Wälder und Wasser der Ton angaben. Und mittendrin platzieret er die niedlichen Piepmätze in Comicmanier. Mika zaubert eine bunte Welt aufs Dach, die vorbildhaft für den gesamten Städtebau ist. Und ganz am Ende sind dann auch die jungen Bilderbuchbetrachter:innen gefragt: »Wie sähe deine perfekte Stadt aus?«, »Was passiert auf der Straße, wenn keine Autos mehr fahren?« oder auch »Was würde Pflanzen Spaß machen?«
Dann mal los und Ideen sammeln, wie unsere Städte der Zukunft aussehen können. Am besten so, dass nicht nur die Vögel glücklich darin leben können, sondern auch die Menschen.
Titelangaben
Octavie Wolters: Das Lied des Stars
(Het lied van de spreuuw, 2021).
Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart
Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2023
32 Seiten, 20 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahre
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Klaus Baumgart: Oh!
Münster: Coppenrath 2022
28 Seiten, 10 Euro
Pappbilderbuch ab 2 Jahre
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Camilla Reid: Schuhu, da ist die Eule
(Look, it’s Twit Twoo Owl (Nosy Crow, 2022)). Aus dem Englischen von Vivien Danne
Berlin: Insel Verlag 2023
10 Seiten, 10,95 Euro
Pappbilderbuch ab 1 Jahr
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Marcos Farina: 1 2 3 Wie viele Vögel?
Berlin: Kleine Gestalten 2023
24 Seiten, 9,90 Euro
Pappbilderbuch ab 1 Jahr
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Miro Poferl: Aaah, diese Menschen!
Und wie sie mit ihren Ideen fast alles versaut hätten … Aber nur fast!
Wien: Edition Nilpferd 2023
32 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahre
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