Der Moderator sah einige Jahre jünger aus als der Geheimrat, seine Größe, die sportliche Figur und der Haarschopf verliehen ihm einen überwältigenden Anschein von Jugend, und was er trug, war phantasievoll arrangiert, sie schienen beide etwas aus der Zeit gefallen.
An leichten Hängen wandte er sich nach seinem Geheimen Rat um, gut gelaunt, aber lachte ihn an mit drohend gebleckten Zähnen.
Verehrter Herr Geheimrat!, rief er ihm aufmunternd zu, nutzen Sie die Gangschaltung, damit Sie nicht Ihre Kräfte vergeuden!, und führte sie ihm vor, als dieser heran war.
Der Geheimrat atmete angestrengt; antwortete, wenn ihm danach war; der Moderator könne ihm gleichgültig werden, was hatte er vor.
Der alte Herr werde wohl, dachte sich der, keine weitere Stunde unterwegs sein wollen.
Fuhr aber die Hänge ungestüm hinab, Es lebe der Sport!, jauchzte und freute sich an der Schönheit der Natur, Potztausend!, war versucht, einen Halt einzulegen, würde liebend gern einige Sätze notieren oder in dieser unvergleichlichen Ruhe an seinen Dramen schreiben, seiner Iphigenie fehlten einige Zeilen, jedoch der Moderator drängte, die solle er in Italien vollenden, dort werde er auf Tischbein treffen, der ihn portraitieren wolle. Sie hätten keine Zeit zu verlieren, einiges an Wegstrecke liege vor ihnen.
Dann wieder jagte der Geheimrat den Hang hinab, als gälte es einen Preis zu gewinnen.
Weithin Sonnenblumenfelder, viel Lavendel, Mohn am Wegrain, gelegentlich ein grüner Artischockenacker.
Sie radelten durch ein Dorf, die schmale Teerstraße führte an einer romantischen Kirche vorbei, es wurde einsam, auch dieses Dorf schien menschenleer.
Der Geheimrat zöge es vor, eine Rast einzulegen.
Weit vor ihnen ritt einer.
In dieser Gegend? Gehörte der dazu? Ob der angekündigt worden sei, fragte sich der Moderator, und ob er das übersehen habe. Ein zusätzliches Programm? Wenigstens den Titel hätte man ihnen verraten sollen, heutzutage seien wohl nur noch Dilettanten am Werk.
Nirgendwo eine Kamera, stellte der Moderator fest, was habe der mit dem Pferd hier verloren.
Auf dessen Figur sollten sie ihren Blick richten, krittelte Nahstoll aus der Ferne, dem Moderator sei wohl alles Programm. Die Statur von Wayne erkenne er nicht? Der gebe den McNally, eine seiner bekanntesten Rollen, Cord McNally in der vertrauten Uniform: himmelblau, auf der Hosennaht den gelben Rankenstreifen, so sei er am Rio Lobo aufgetreten, damals, bevor die Sezessionskriege ihr Ende fanden.
McNally treibe es um, Ordnung zu schaffen, Ordnung in Nordamerika, Ordnung in der Welt, Hagel und Granaten!, da kenne er kein Pardon, der Wayne sei allgegenwärtig, eiskalt, der mit dem Wolf tanze und Mundharmonika, der das Lied vom Tod spiele, sie könnten seine Söhne sein, und man glaube Johnny Cash als seinen Synchronsprecher zu vernehmen.
Der Geheimrat war glücklich, einen Menschen auf einem Pferd zu sehen: Wie mir das gefällt! Wie ich das vermißt habe! Nun kann es nicht dauern, bis wir auf eine Kutsche treffen.
Es sei nicht üblich, zu reiten, sagte der Moderator, dem diese Situation lästig wurde, und auch wenn keine Fahrradstreifen auswiesen seien, versicherte er, auf dem Rad reise sich durchaus bequem.
Hätten sie vor wenigen Minuten noch keineswegs daran gezweifelt, sich in derselben Region zu befinden wie derjenigen, in der de Mergey seine Zuflucht vor dem Schlachtenlärm fand, ich komme darauf zurück, so sah diese Gegend nun doch wie verwandelt aus, aus einem Flimmern am fernen Horizont waren Felshänge gewachsen, die Sonne brannte ohne Erbarmen, der Boden war trocken und rissig.
So stelle er sich Wüste vor, rief der Geheimrat erschrocken aus, darauf sei er nicht gefaßt, sein Profil sei dafür nicht ausgelegt.
Der Moderator wußte nicht zu antworten und schwieg gekränkt, der Geheimrat möge sich bitte nicht zieren.
Das Gestrüpp am Rand des Weges war hüfthoch: Tamarinden, hier und dort ein grüner Kaktus.
Kandelaber und Säulenkakteen, stellte der Moderator ratlos fest, wüchsen in der Sonora, und wenn einer die Kulisse wechsle, müsse es gefälligst im Drehbuch stehen.
Davon verstehe er wenig, räumte der Geheimrat ein, wenngleich er in Weimar intensiv über die Urgestalt der Pflanzen geforscht habe. Ob ihm bekannt sei, fragte er den Moderator, der ja eine Weile in Disneys Diensten gestanden habe, wo Weimar liege, und fügte hinzu: Die Vendée habe einen irreführend spröden Charme, vergleichbar ärmliche Vegetation habe er nicht im südlichen Italien erlebt, und ob es sich gar um die Desertifikation handle, die durch das kollabierende Klima verursacht sei.
Nahstoll gab ihm recht: eine Verwechslung, kein Zweifel, es war das Land des Rio Grande und keineswegs die Vendée, unmöglich. ›Rio Grande‹, das war es, John Ford, neunzehnfünfzig, den dürfte unser Geheimrat eher nicht gesehen haben, oder das Land des ›Rio Bravo‹, Howard Hawks, neunzehnneunundfünfzig, das Pferd reite McNally oder Kirby Yorke oder David Crockett, einer so gut wie der andere.
Nahstoll lachte. Das Personal sei nach Belieben auswechselbar, solange nur die Kulisse passe.
McNally Kirby Yorke David Crockett saß reglos im Sattel, der linke Arm hing ihm lässig herab. Seine Kleidung war staubbedeckt, der Braune ging Schritt, jetzt zügelte er ihn, wandte den Kopf zur Seite, nahm aus den Augenwinkeln die Verfolger wahr, drehte sich nicht um, sondern brummte verdrossen ein Kommando und drückte dem Braunen die Sporen in die Flanken, damit der wieder Schritt einschlüge.
Er erinnere sich nicht, bekannte der Geheimrat, einen Western verfaßt zu haben.
Dieses Genre, erklärte der Moderator, sei an der political correctness zugrunde gegangen, ein frühes Zielobjekt der cancel culture – und Beispiel dafür, wie die Zeit vorüber rase.
Bravo! Nahstoll applaudierte: Einen solchen Satz hätte er dem Moderator nicht zugetraut, nie im Leben!
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| Karttinger 6 folgt am nächsten Sonntag. Die vorausgehenden Folgen sind hier zugänglich