Die Sommerferien beginnen gerade, es ist unglaublich heiß und die Luft stinkt. Lou und Sonny, beste Freundinnen seit sie denken können, wollen die Wochen an ihrem geheimen Lieblingsplatz abhängen, genießen und ein bisschen jobben. Und dann kommt alles ganz anders. Von ANDREA WANNER
Das alte, verlassene Schwimmbad ohne Wasser im Becken ist der ideale Ort für die beiden, um ungestört rumzuhängen. Sie sind eigentlich grundverschieden, äußerlich wie von der Art her. »Die Zwillinge« werden sie in der Schule genannt, aber Lou, die Ich-Erzählerin, stellt richtig: »Sonny und ich, wir sind nicht zwei Gleiche. Sonny und ich, wir sind zwei Hälften eines Ganzen.« Beide haben Verluste erlitten, die ihr Leben prägen. Lous Schwester ist auf den Tag genau ein Jahr älter, aber sie kam tot zur Welt. Als Sternenkind erhielt sie den passenden Namen Stella und den ihr eigentlich zugedachten Name -Louise – bekam ein Jahr später die zweite Tochter. Lous Mutter projiziert alle Hoffnungen und Erwartungen auf Lou, die sich wie eine billige Kopie fühlt, die den Ansprüchen nie genügt. Sonnys Mutter starb fünf Jahre zuvor. Sie wurde umgebracht. Ihr Mörder, Hagen Bender, sitzt im Knast. Und an diesem ersten Tag der Ferien erfährt Lou von ihrem Vater, dass Bender wieder auf freiem Fuß und zurück in der Stadt ist.
Die Ausgangssituation der Geschichte birgt Bedrohungspotential in sich. Lou erzählt Sonny nicht gleich davon, bringt es einfach nichts übers Herz. Stattdessen küssen sich die beiden zum ersten Mal. Ist das der Anfang von etwas ganz Neuem, noch Unbegreiflichen? Die Tage verstreichen und alles wird immer komplizierter. Immer mehr scheint es, als wäre es vielmehr das Ende von allem. Sonny plant Rache an Bender, Lou kann ihre Angst vor dem Wasser im See nicht überwinden und dann tauchen auch noch Nick und Tayo, zwei Jungs aus der Schule auf. Nicht nur am See, sondern auch im Geheimversteck. Die Situation eskaliert.
Juliana Pickels Romanerstling wurde für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert. Erneut zeigt sie, wie ernst sie ihre Figuren, deren Gefühle und Ängste, ihre Leidenschaft und Wut nimmt. Lou und Sonny: Das ist Anziehung und Abstoßung, das ist Vertrauen und das Schlimmste, was es in einer Freundschaft geben kann: Verrat. Konsequent wird aus der Sicht von Lou erzählt, manchmal wünscht man sich, auch von Sonny mehr zum Geschehen zu erfahren. Düster und bedrohlich ist der Jugendroman an vielen Stellen, ist die Situation, in der sich die Mädchen befinden. Ausweglos wie der Sommer, der keinen Regen kennt, nur klebrige Hitze und diesen unglaublichen Gestank.
Am Ende hat man viele Menschen kennengelernt, manche nur durch kurze Anekdoten skizziert und doch einprägsam und besonders. Und man atmet auf, als dann doch endlich der lang ersehnte Regen fällt.
Titelangaben
Juliana Pickel: Rattensommer
Weinheim: Beltz & Gelberg
256 Seiten, 16 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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