Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Diese schreibende Hand

Ganz locker führt sie den Stift
und läßt sich selbst überraschen
von dem, was ihm entfließen wird
und das weiße Papier schwärzt,
überträgt ihre Neugier dem Auge.

Alles ist in ihrer Bewegung
enthalten, wenn sie die Zeilen
entwirft und die Wörter reiht,
sie herdenreich vor sich hertreibt,
aber doch in Zaum hält dabei.

Mal gehemmt, mal hemmungslos
zieht sie im Schreiben dahin,
setzt aber manchmal auch ab,
wenn nichts Gutes hervorkommt
aus dem immer willigen Stift.

Vom Schreiben

In der Frühe denke ich
Gärtnergedanken und sehe
meine verstreuten Worte
aufgehn wie neue Blumen,
die noch niemand erblickt hat,
ihre Düfte spüre ich schon.

Wie Mädchenaugen blicken mich
meine geträumten Zeilen an,
wie Kaiserkerzen stehen sie
mir vor Augen, stolz aufgereckt
und wie mit samtenen Blättern,
die Blüten wie Sonnengold.

Vom Garten her kommt mein Schreiben,
jede Strophe ein gehegtes Beet,
mit dem Rechen gehe ich drüber
und ziehe das Unkraut aus,
bringe mit meinen Blicken
verschlossene Knospen zum Blühen.

Spuren

An einigen Stellen wölbt sich
das Linoleum auf, spaltet sich
und läßt darunter was ahnen,
viele frühere Schritte gingen
drüber hin und schliffen schon ab,
was jetzt schrundig ist und vernutzt.

Wo ein Bild hing, dunkelt noch
sein Schatten, sein Licht hat es
mitgenommen und leuchtet andern,
wenn ich genau hinhöre,
ist dem Knarren der Doppeltür
ein feiner Nebenton beigemischt.

Wie viele Menschen haben
die Türklinken niedergedrückt
und die Räume betreten?
Ihre an den Wänden haftenden
Blicke wurden mit den Tapeten
abgerissen und übermalt.

Hier saßen im ersten Stock
die überforderten Zeugen,
als im gelben Haus gegenüber
einquartiert wurden die grauen
Gestalten, nächtlich und wiederholt,
ebenso grau verschwanden sie.

In den Winkeln davon noch
allerlei, unerforscht, unerzählt,
am frühen Morgen taucht es mir
schattenhaft auf und sagt mir,
was ich jetzt aufschreiben soll
in diesen anderen Zeiten.

| PETER ENGEL

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Frühlingserwachen« im Herbst: »Spring Awakening«

Nächster Artikel

Kartenhaus

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Diogenes erwacht

Lyrik | Vierzeiler der Woche – von Michael Ebmeyer   Guten Morgen, liebe Sonne sag, wonach steht dir der Sinn?

»…was bleibet aber, stiften die Dichter« (Hölderlin)

Jugendbuch | Stephanie Jaeckel: Hölderlin leuchtet

Hölderlin leuchtet. Und ein ganz besonders Buch schafft es, ihn wirklich zum Leuchten zu bringen. Nicht nur für die, die Germanistik studiert und sich in sein Werk vertieft haben. ANDREA WANNER findet, er leuchtet tatsächlich für alle.

ohne titel

Lyrik | Şafak Sarıçiçek: ohne titel das papier auf dem diese wörter entstehen, ist ein wenig verschmutzt und ein wenig nass,

Vier Gedichte

Textfeld | Ingrid Glienke: Vier Gedichte AQUANAUTEN straßen kanäle nach norden geöffnet schnee stiebt in feinen kristallen leuchtet auf in lichthöfen glitzernde fischschwärme im strom auf kommando der windböen drehen ins waagerechte gehen auf fühlung trommeln eisschuppen ins gesicht frostflössel vor die wimpern zwischen uns treiben hände lederhäutige unterwassergewächse