Irgendwo ganz da oben, im hohen Norden Europas, da liegen sie, die Lofoten, 200 Km nördlich des Polarkreises, sehr weit weg. Und von sehr weit oben betrachtet ähnelt die Inselgruppe einem Luchsfuß (altnordisch Lofotr), daher rührt auch der Name. BARBARA WEGMANN hat sich auf die abenteuerliche Reise gemacht.
Auf die weite Reise in einem Bildband, der mich derart fasziniert hat, dass ich diese Inselgruppe, 80 Inseln an der Zahl, die vor 6000 Jahren schon bevölkert wurden, als nächstes Reiseziel auserkoren habe. Zurzeit bekomme ich via Internet die faszinierendsten Bilder der gewaltigen Polarlichter, so beeindruckend, farbenprächtig, geheimnisvoll, geradezu außerirdisch.
»Fast am Ende, kurz vor dem Nordkap, ragt eine Inselgruppe in den wilden Nordatlantik. Doch so wild ist dieser gar nicht, denn vom wärmenden Golfstrom umspült, ermöglicht er ein Bad im Somme und im Winter eisfreie Häfen und Fjorde.«
Ein Reiseland quer durch das ganze Jahr also. Und jetzt, gerade im Winter, da kommen sie: die Kabeljauschwärme. Zu dieser Zeit laicht der Fisch vor den Lofoten, ein Reichtum, von dem die Menschen der Inseln lebten und leben. »Ab dem neunten Jahrhundert entdeckten die Insulaner eine geniale Konservierungsmethode. Über Monate in der Seeluft getrocknet, war der Winterkabeljau dann Jahre haltbar.« Es war ein unglaublicher wirtschaftlicher Aufschwung für diese Inseln, auf denen heute insgesamt etwa 24000 Menschen leben. Expeditionen wurden vor Jahrhunderten möglich mit dieser lang haltbaren Verpflegung, dieser ‚ersten Fischkonserve, nur ohne Dose‘. Eine Verpflegung, die übrigens auch den Vitamingehalt nicht etwa verlor beim Dörren. Die Inseln wurden für diesen Aufschwung nahezu entwaldet, denn Baustoff für Hütten und Lagerräume wurde notwendig, erst später forstete man wieder auf, denn aus Russland und Südnorwegen brachten Händler auch Pflanzentriebe mit.
Andrea Gjestvang ist Fotografin, lebt in Oslo und Berlin, war mehrmals auf den Lofoten und präsentiert eine wunderbare Sammlung an Eindrücken, Stimmungen, an Naturaufnahmen und Porträts von Menschen, die hier leben. Schade, dass alle Seiten von so breitem weißem Rand umgeben sind, es verkleinert optisch die teilweise wirklich eindrucksvollen Bilder, das kalte Weiß gibt ihnen einen leblosen Rahmen, den sie nicht verdient haben. Egal ob es die Bilder von rauen Bergklippen sind, der zerklüfteten Küste, die schon so manches Fischerleben forderte, oder die Lichtverhältnisse der alles andere als eintönigen Inseln, man möchte so gern eintauchen in die Bilder und irgendwie geht es nicht, man möchte sich gefangen nehmen lassen und es klappt irgendwie nicht. Aber die Texte, geschrieben mit vielen Informationen, Fakten und auch einer angenehmen Prise Humor, sie kurbeln das Kopfkino an und sind stimmungsvoll, zeugen von viel Atmosphäre auf den entschleunigten Inseln. »Vom 28. Mai bis zum 14. Juli geht auf den Lofoten die Sonne nicht unter und umgekehrt vom 7. Dezember bis 5. Januar nicht auf. Stockduster ist es trotzdem nicht. Typisch für den Winter ist ein bläuliches Schummerlicht tagsüber und nachts helles Mondlicht. Der Herbst kennt viele Grautöne, wenig Aufheiterungen und viel Regen … Manchmal ereignet sich das Wetter auch gleichzeitig: Dann schneit, regnet, hagelt, sonnt es an einem Ort und Fleck.«
Es sind viele Momentaufnahmen, die die Fotografin einfühlsam präsentiert, dicke Wolkenberge am Hang, Sonne, die ins Meer gleitet, Dunkelheit über dem Fjord. Sie wechseln sich ab mit Porträts von Insulanern, die eine Übersicht am Ende des Buches dann näher erläutert. Menschen, die hier leben, Traditionen pflegen, ihrer Arbeit nachgehen, ihre Häuser und Familien haben. Alltag auf den Lofoten eben.
Ein Mann, der auf seinem Sofa mit der Aussicht auf ganz viel Land und Meer ein Mittagsschläfchen zu halten scheint, junge Mädchen mit einem Coffee-to-go, Häuser, die sich fast schlafend stellen am Hafen, viele Ansichten von Menschen, Landschaft, Häusern in sehr warmem, heimeligem Sonnenlicht.
So gibt der Bildband Einblick in Geschichte und Lebensbedingungen auf den Inseln, sachlich und emotional, informationsreich und auch sehr atmosphärisch.
Übrigens: Nicht nur der Stockfisch macht hier von sich Reden, der Tran half »gegen Herzschwäche, Nachtblindheit, Rheumatismus und Rachitis. Leider nicht gegen Dummheit. Sonst wäre die Menschheit nicht auf die Idee gekommen, aus Tran Nitroglyzerin herzustellen und sich damit in Kriegen in die Luft zu jagen.« Gut, so die Autorin, war Tran auch für Lampen, Türscharniere und Motoren. Es wurde Farbe daraus gemacht und Boote damit abgedichtet. Gegessen wurde der Fisch mit viel Alkohol. Die Pietisten seien vor allem gegen die Saufgelage zum Ende des Winterkabeljaufangs vorgegangen. »Zu viele Fischer torkelten betrunken ins Hafenbecken und tauchten nie wieder auf.«
Titelangaben
Andrea Gjestvang: Lofoten
Mare Verlag Hamburg
ISBN: 9783866487307
132 Seiten, 58 Euro