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Doppelkopf

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Wette, wir könnten Wette einladen.
Wozu?
Wir wären zu viert und spielen Doppelkopf.
Schwierig, Annika.
Weshalb?
Jeder spielt nach anderen Regeln, ständig wird gestritten, etwa darüber, welche Herz zehn gewinnt, eine zuerst oder eine zuletzt ausgespielte, das ist keine reine Freude, auch ob und wann ein Solo gespielt wird, auch wie die Punkte gezählt werden.

Wette ist verträglich, Farb.
Tilman lächelte. Er habe von Wette gehört, sagte er.
Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf, er hatte das Blech aus der Küche mitgebracht, der Kuchen war noch warm, und die Schlagsahne, die ihm Tilman reichte und die er sorgfältig auf seinem Stück verteilte, begann sogleich an den Rändern zu verlaufen.
Was Wette mache, fragte er.
Er male, sagte Tilman, er male Landschaften.
Aquarell, fragte Farb.
Tusche, sagte Tilman.
Schwarze Tusche, fragte Farb und lachte, nur schwarze Tusche, wie sei es möglich, mit schwarzer Tusche eine Landschaft zu malen.
Wette, sagte Tilman, beachte sechs Abstufungen im Schwarz, und in der malerischen Rangordnung, konstatiere Wette, sei die Tuschmalerei allen anderen überlegen, die Kunst der Tusche sei magisch, ja beinahe übernatürlich, mit den sechs Stufen der Tusche, so sage Wette, lasse der Maler die Gesetze der Schöpfung Gestalt annehmen, selbst das sogenannte ›Ohne Tusche‹ sei nicht frei von Schwärze.
Farb aß ein Stück von seiner Pflaumenschnitte.
Indem Wette Leere und Fülle abwechsle, sagte Tilman, schöpfe er die Möglichkeiten der Tusche aus.
Das leuchte ein, spottete Farb, doch wie solle daraus eine Landschaft entstehen, was gehe in einem Landschaftsmaler vor, der auf Farbe verzichte, jede Landschaft lebe von ihren Farben.
Wette gehe es nicht vorrangig um eine naturgetreue Wiedergabe, sagte Tilman, er möchte Grundzüge der Schöpfung zum Ausdruck bringen, zum Beispiel lehne er die Zentralperspektive ab, sie sei Menschenwerk und zwinge dem Blick ihre Herrschaft auf, ein autoritäres Raster, das die Herrschaft des Homo sapiens über die Natur abbilde.
Farb nickte. Auch die Struktur der menschlichen Gesellschaft, sagte er, sei hierarchisch.
Wettes Landschaften, so heiße es, seien einladend, sie würden zu einem Spaziergang auffordern.
Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.
Farb aß von der Pflaumenschnitte.
Tilman schenkte Tee nach, Yin Zhen, er lächelte, sie hatten das Service mit dem Drachen aufgedeckt, rostrot, das er, wie er zu sagen pflegte, aus Beijing mitgebracht hatte, wo er einen Halbmarathon auf der Großen Mauer gelaufen war, doch Anika hatte das gleiche Service vor einigen Tagen in einer Auslage in einem Fenster in der City gesehen, rostrot, auch lindgrün, er hätte es ohne Umstände dort kaufen können.
Wettes Landschaften ließen dem Blick Freiheiten, sie forderten ihn zum Verweilen auf, sagte Tilman, in welcher Gegend auch immer, durch Ernst Bloch und Walter Benjamin sei die liebenswerte Anekdote von Wu Daozi überliefert, der im achten Jahrhundert gelebt habe und traditionell als größter chinesischer Maler gelte, dessen Werke jedoch nicht überliefert seien, und der Freunden sein neues, letztes Bild zu sehen gibt, und wie sie sich eben nach dem Meister umwenden, ist der nicht mehr da und stattdessen in dem Bild, geht dort einige Schritte auf einem schmalen Weg bis zu einer Tür, wo er durch einen Spalt schlüpft und verschwindet.
Farb lächelte und verzehrte das letzte Stück der Pflaumenschnitte.
Er sei nicht sicher, sagte er, ob er das richtig verstehe, vermutlich habe Wettes Landschaft noch andere, weitergehende Implikationen, ein grundlegend anderes Verständnis von Kultur und vom Leben, und knüpfe an die Meister der chinesischen Landschaftsmalerei an.
Das sei bitter nötig, sagte Annika und legte das Reisemagazin beiseite, die von der Politik so zögerlich ausgerufene Zeitenwende fordere auf alle Bereiche angewandt zu werden, ein Umbruch, ein hartes Stück Arbeit, und niemand wisse, ob die dem Menschen verbleibende Zeit hinreiche.
Der Geist habe keine innere Form, er nehme erst durch die Dinge Gestalt an, und die Qualität des Pinselstrichs, sagte Tilman, sei ein zentrales Element der chinesischen Landschaftsmalerei, er bilde das Bindeglied zwischen dem Menschen und dem Übernatürlichen, in ihm empfinde der zeichnende Mensch die Gesten der Schöpfung.
Hört, hört, spottete Farb, ihm war nicht danach.
Schwierig, sagte Annika, warf einen Blick zum Gohliser Schlößchen und griff nach ihrem Reisemagazin.
Das Gemälde, sagte Tilman, werde spontan ausgeführt, der Künstler halte in seinen Pinselzügen einen kontinuierlichen Rhythmus der Gesten aufrecht, um keinesfalls das Momentum zu verlieren, und das Handgelenk müsse leer sein, damit es, wie es heiße, eine Beseelung empfangen könne, die Linie sei die Grundlage von allem, sie sei die Wurzel aller Erscheinungen, sie zeige sich im Göttlichen und liege auch im Menschlichen verborgen.
Wer formuliere so etwas, fragte Farb, nein, wer solle das verstehen, das sei wohl kaum auf Wettes Mist gewachsen.
Shitao, auch Daoji, dessen Malen wirklich Himmel, Erde und alle Dinge gestaltet habe, sagte Tilman, zweite Hälfte siebzehntes Jahrhundert, Qing-Zeit.
Seit wann, fragte sich Farb, beschäftige sich Tilman mit chinesischer Landschaftsmalerei, dem Ausdruck einer gänzlich anderen Kultur, und was werde da noch alles auf sie zu kommen, nein, das sei nicht sein Thema, bestimmt nicht, und Wette einzuladen sei eher kontraproduktiv.
Er tat sich eine Pflaumenschnitte auf.
Tilman reichte ihm einen Löffel Sahne.

| WOLF SENFF

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