/

Die dunklen Ecken der Erinnerung

Roman | Mike Nicol: Hitman

Es ist bereits das fünfte Mal, dass der südafrikanische Autor Mike Nicol seine Figuren Fish Pescado und Vicki Kahn – Privatdetektiv und Surfer der eine, Anwältin und Ex-Geheimdienstmitarbeiterin die andere – auf die harte Wirklichkeit am Kap treffen lässt. Man schreibt die Jahre 2017 bis 2020, das Ende des Apartheid-Regimes liegt bereits ein Vierteljahrhundert zurück und doch will nicht so richtig wahr werden, was der Systemwechsel 1994 versprach. Und so wird es erneut blutig, müssen Polizisten, Politiker und Unbeteiligte sterben, als die Schatten einer Vergangenheit, die zurückreicht bis zu der Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahre 1986, sich über das Land legen. Und auch für Nicols Protagonisten geht es wieder einmal um nicht weniger als um ihr Leben. Von DIETMAR JACOBSEN

Das Schlupfloch (btb 2021), der vierte Band der Kapstadt-Reihe des südafrikanischen Bestsellerautors Mike Nicol (Jahrgang 1951), endete damit, dass eine der beiden die Reihe tragenden Hauptfiguren, die indischstämmige Anwältin und Ex-Agentin Vicki Kahn, nach dem Messerangriff eines für die CIA arbeitenden örtlichen Agenten ins Koma fiel. Um ihr Leben kämpfen sie selbst, die Kapstädter Ärzte und ihr Freund, der Surfer und Privatdetektiv Fish Pescado, immer noch, wenn mit Hitman der fünfte Band der Serie einsetzt.

Das gibt Nicol die ausführlich und durch witzig genutzte Gelegenheit, seine beiden sympathischen Protagonisten telepathisch miteinander kommunizieren zu lassen. Denn nachdem ihre Beziehung nach einigen Aufs und Abs in den vorhergehenden Bänden inzwischen ein nahezu offizielles Stadium erreicht hat, kann die Tatsache, dass sie bewegungslos und an ein kompliziertes System von Schläuchen angeschlossen ist, Vicki nicht daran hindern, mit ihren Kommentaren in Fishs Kopf einzudringen, wann immer das nötig erscheint.

Kommentare aus dem Koma

Auch an dem von Fish übernommenen Fall eines ermordeten Polizeiobersten, dessen Frau nicht an die offizielle Erklärung für den Tod ihres Mannes glauben will, arbeitet Vicki vom Krankenhausbett aus natürlich mit. Zumal ihr nicht ganz wohl ist, wenn ihr Lebensgefährte ihre geistige Absenz und körperliche Unbeweglichkeit dazu auszunutzen scheint, seinen Fokus auf andere Frauen zu richten. Schließlich ist sie noch nicht tot, sondern ab Romanteil vier sogar wieder quicklebendig, selbst wenn der Killer, der ihr schon einmal ans Leben wollte, diesen Plan noch lange nicht aufgegeben hat.

Hitman ist alles in allem weit weniger verwirrend als sein Vorgänger. Leserinnen und Leser, die sich im Kapstädter Kosmos Nicols auskennen, werden bei diesem fünften Fall für Fish Pescado und Vicki Kahn nur selten vor- und zurückblättern müssen, um den Faden nicht zu verlieren. Ein auch diesem Roman vorangestelltes Verzeichnis der handelnden Personen tut ein Übriges. Und natürlich sind Nicol-Leserinnen und -Leser auch längst schon daran gewöhnt, dass der südafrikanische Bestsellerautor die Konflikte in seinem Heimatland nicht in ein Schwarz-Weiß-Schema presst, in dem am Ende die Guten über die Bösen obsiegen, sondern uns eine Gesellschaft präsentiert wird, in der auch nach dem Ende des Apartheid-Regimes jeder nur dem eigenen Vorteil nachjagt und über Leichen geht, wenn der Gewinn nur groß genug erscheint.

Wenn die Vergangenheit zurückkehrt

Dass das Schicksal des ermordeten Polizeiobersten Andre Jacobs schon bald einer seiner alten Freunde teilt und weitere Personen ins Fadenkreuz von eiskalten Killern geraten, denen offensichtlich daran liegt, Dinge zu verschleiern, die in der Vergangenheit passiert sind, hat Fish Pescado schnell begriffen. Und eigentlich sollte er dem Rat des pensionierten Generals Willem Raats Viljoen, sich und seine Freundin Vicki aus der Sache herauszuhalten, wohl Folge leisten. Denn zu gefährlich scheint es zu sein, sich mit dem immer noch einflussreichen und sich auf seinem großen Anwesen in der Karoo-Wüste wie in einer Festung verschanzt haltenden Mann anzulegen.

Aber Fish ist nun einmal Fish. Und wenn es um seine Freundin Vicki geht, kümmern ihn ohnehin keine Gefahren. Und so stürzt er sich auch diesmal wieder in einen Showdown, aus dem nicht alle Figuren, denen man bereits in den vergangenen Bänden der Kapstadt-Serie begegnen konnte, unbeschädigt herauskommen. Und in dem Mike Nicol eine Beziehung zwischen einigen Figuren seines Romans und dem Attentat auf den schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme konstruiert, die ihm die Gelegenheit für ein spektakuläres Ende seiner Serie gibt.

Ein südafrikanisches Killerkommando in Stockholm?

Der Mord an Olof Palme am 28. Februar 1986 nach einem Kinobesuch im Zentrum Stockholms hat bis heute für zahlreiche Spekulationen, was den oder die Täter betrifft, gesorgt. Eine der Spuren, über die immer noch diskutiert wird, nachdem die ermittelnde Staatsanwaltschaft im Juni 2020 den Fall offiziell abgeschlossen hatte, indem sie einen zwanzig Jahre zuvor durch Suizid verstorbenen, nicht mehr belangbaren Täter präsentierte, führt auch nach Südafrika.

Weil sich Palme oft gegen das zu seiner Zeit als Ministerpräsident dort herrschende Apartheid-Regime ausgesprochen habe, wird da behauptet, sei er ins Visier der südafrikanischen Regierung geraten, die daraufhin seine Ermordung durch eigene Agenten, die sich dafür die Unterstützung durch schwedische Rechtsradikale sicherten, in Auftrag gegeben habe. Unterstützt wurde diese These durch die Geständnisse ehemaliger Kapstädter Geheimdienstleute nach dem Apartheid-Ende und die Tatsache, dass sich wohl zur Zeit des Attentats auf Palme tatsächlich Agenten aus Südafrika in Stockholm aufhielten. Für Mike Nicol eine wunderbare Gelegenheit zu einer Referenz an seinen schwedischen Schriftstellerkollegen und Investigativ-Journalisten Stieg Larsson (1954 – 2004), dessen Recherchen zum Palme-Nord just in diese Richtung gingen. Und natürlich die Chance, seine auf fünf Bände angewachsene Kapstadt-Reihe mit einem ordentlichen Feuerwerk enden zu lassen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Mike Nicol: Hitman
Aus dem südafrikanischen Englisch von Meredith Barth
München: btb 2024
480 Seiten. 14 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine mehr als ungewöhnliche Freundschaft

Nächster Artikel

Architektenblick aufs ABC

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Hallo, hier spricht …

Hörbuch | Edgar Wallace: Die Romanfabrik

Edgar Wallace! Vom Buchdeckel aus blickt er seiner Leserschaft direkt in die Augen: nahezu kahlköpfig, ein wenig schelmisch. Edgar Wallace, gebürtiger Brite, wurde durch seine zahlreichen, auflagenstarken und in unzählige Sprachen übersetzten Krimis einem großen Kreis bekannt. Von STEFAN HEUER

Das Ungeheuer von Hannover

Roman | Dirk Kurbjuweit: Haarmann

»In Hannover an der Leine,/ Rote Reihe Nummer 8,/ wohnt der Massenmörder Haarmann,/ der schon manchen umgebracht«, heißt es in einem populären Schauerlied aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es bezieht sich auf den bekanntesten Serienmörder Deutschlands: Fritz Haarmann. 1879 in der Stadt geboren, in der er 1923/1924 mindestens 24 Morde beging, verurteilte ihn, nachdem man seiner habhaft geworden war, ein Schwurgericht im Dezember 1924 zum Tode. Das Urteil wurde im April des darauffolgenden Jahres vollstreckt. In der Kunst (Literatur, Film, Bildende Kunst, Musik) lebt Haarmann freilich bis heute weiter. Nun hat der gelernte Journalist Dirk Kurbjuweit einen Roman über den »Werwolf von Hannover« geschrieben. Und es gelingt ihm auf faszinierende Weise, den Mörder Haarmann und die mörderische Zeit, in der er lebte, als zwei Seiten einer Medaille darzustellen. Von DIERMAR JACOBSEN

Der Traum von einer besseren Welt

Krimi | Arne Dahl: Neid Nach Gier (Piper 2012) und Zorn (Piper 2013) kann man nun mit Neid den dritten Teil von Arne Dahls Serie um die OPCOP-Gruppe auf Deutsch lesen. Erzählt wird, wie um eine Erfindung, die die Welt revolutionieren könnte, ein blutiger Krieg entbrennt. Und trotz aller Zukunftsmusik, die in dem rasant zu lesenden Roman erklingt, bleibt Dahl erfreulicherweise mit beiden Füßen auf der Erde und plädiert für ein Europa, dass sich seiner weltweiten Verantwortung bewusst werden sollte. Von DIETMAR JACOBSEN

Er ist zurück

Roman | Ian Rankin: Mädchengrab John Rebus ist wieder da. Zwar schafft es Ian Rankins in die Jahre gekommener Serienheld nicht wieder an seinen alten Arbeitsplatz – doch mitverantwortlich für die Aufklärung so genannter »cold cases« kann der unkonventionelle Rentner aus Edinburgh schnell beweisen, dass die neue Generation zwar fixer mit der Maus ist, Intuition und Einfühlungsgabe aber noch lange nicht ausgedient haben. Mädchengrab – gelesen von DIETMAR JACOBSEN

Von Tod und Tofu

Roman | Christine Lehmann: Allesfresser Lisa Nerz ohne ihre berühmte Lederjacke? Da muss etwas ganz Besonderes geschehen sein. Ist es auch: Im Internet wird zum Mord aufgerufen. Tod denen, die töten! Denn: »Tiere zu essen ist nicht weit vom Kannibalismus entfernt.« Und warum sollte der, der den Tod von Millionen Kreaturen gutheißt, nicht ebenfalls über den Jordan geschickt werden? Christine Lehmann ist mit ihrem elften Lisa-Nerz-Krimi wieder ein provokantes Stück Literatur gelungen. Nach seiner Lektüre schaut man die Fleischpakete im Supermarkt jedenfalls mit anderen Augen an. Von DIETMAR JACOBSEN