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So geht’s aus

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: So geht's aus

Dazu hat er nichts gesagt?

Kein Sterbenswörtchen, nein.

Hm.

Vielleicht möchte er die Einzelheiten gar nicht wissen.

Hört sich aber nicht gut an.

Der Ausguck nahm einige Schritt Anlauf, schlug einen Salto, kam diesmal jedoch unglücklich auf, stolperte, setzte sich und hielt sich den Fuß.

Das war überfällig, sagte Thimbleman.

Crockeye feixte.

Es schmerzt, schimpfte der Ausguck, konnte sich aber ein Lachen nicht  verkneifen.

Ist eh Fangpause, sagte Thimbleman.

Glaubst du denn, sie bekommen es in den Griff?

Was jetzt?

Sieh auf die Stadt, Thimbleman.

Und?

Chaos, mein Freund, in Frisco herrsche Chaos, jeder kämpfe gegen jeden, man spinne Intrigen, man lüge wie gedruckt, ein unbeschreibliches Durcheinander, und folgst du Gramners Worten, werde sich das nicht ändern, nicht im geringsten, sagt er, die Stadt, sagt er, wie jetzt vom Goldrausch, so werde ihr Alltag dereinst vom Silicon Valley definiert, ihre Einwohner würden zwar auf andere Weise, aber keineswegs in geringerem Maß drangsaliert.

Gibt halt nichts Neues unter der Sonne.

Daß der Mensch komplett das Weite suche, das wäre neu. Der Ausguck lachte.

Bis zum letzten Mann, sagte Thimbleman, das gab es nie. Aber wenn du Gramner zuhörst, werde es unausweichlich werden. Es sei ein Elend. Der Mensch beute ja nicht nur den Planeten aus, sondern ebenso sich selbst, und wie lächerlich sei doch der Begriff Moderne, wie anmaßend, wie arrogant, wer lasse sich diesen Unsinn einfallen, manch einer rede gar vom Anthropozän, und er selbst nenne sich Homo sapiens. Wie töricht könne man sein.

Im einundzwanzigsten Jahrhundert werde der Planet ein Wrack sein, heruntergewirtschaftet, so sagt Gramner, die Schätze, die ihm einst eigneten, seien geplündert oder wüchsen nicht nach, das setze mit den Goldgräbern ein, die Dinge kämen nach und nach abhanden. Doch wenn es nur das wäre, Ausguck, und wenn es dabei bliebe.

Das Klima verliere sein herkömmliches Gleichgewicht, sagt er, die Jahreszeiten würden schwanken, der Mensch sei psychisch wie physisch ausgelaugt, seine Konstitution sei geschwächt, sein Stehvermögen sei höchst labil, der geringste Stoß werfe ihn um, seine Phantasie und Intelligenz, die ihn einst auszeichneten, seien ihm verloren gegangen.

Sagt Gramner. Er vergehe sich gegen die natürliche Vielfalt und schädige sich selbst.

Genau, Ausguck, das sei Gramners Überzeugung.

Und? Gebe es nichts, was der Mensch tun könne? Ihm blieben fast zwei Jahrhunderte, das sei viel Zeit.

Die Zeit werde vergeudet werden, Ausguck, es sei ein Elend. Weltkriege brächten einen Schub für die technologische Entwicklung, doch er müsse das Gegenteil tun und die technologischen Revolutionen ausbremsen, rückbauen, sagt Gramner. Sie erhöhten jedoch das, was er als seine Bequemlichkeiten zu empfinden gewohnt sei, die Digitalisierung werde ihn tiefer in das Netz der Automaten verstricken, anstatt daß er sich von ihnen löse, sagt Gramner, er werde zu einem Teil der Megamaschine. Wie könne er so blind sein, so verbohrt, so bar jeder Vernunft! Falls er nach einem Strohhalm greifen wolle und wieder ein Leben gewinnen, das diesen Namen verdiene, werde er mit dem Rückbau beginnen müssen.

Was den Erfolg angehe, sei Gramner aber skeptisch?

Was den Erfolg angehe, sei Gramner skeptisch. Die Zeit laufe dem Menschen davon, und Rückbau bedeute, daß digitale Kommunikation maximal reduziert werde, Flugverkehr mindestens auf Kurzstrecken eingestellt, militärisch wie zivil, ebenso die Energiegewinnung aus fossilen Ressourcen, und Gramner vermute, der Mensch werde das keineswegs aus freien Stücken einleiten, sondern diese Maßnahmen würden aufgrund des Klimas vollzogen, zwangsläufig, als sogenannte ›Kollateralschäden‹ dessen, was der ›Klimawandel‹ anrichte, und seien ein erster Schritt, und daß herkömmliche Lebensformen diese Umbrüche überleben würden, sei zweifelhaft, der Mensch werde einen heruntergewirtschafteten Planeten hinterlassen.

| WOLF SENFF

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