Gleich zwei wunderschöne Bilderbücher beschäftigen sich ausgiebig mit dem Nichts – und mit seinem Gegenteil, dem Alles. Da kommt man ganz schön ins Nachdenken über etwas, das nicht so wenig ist, wie es auf den ersten Blick scheint, findet ANDREA WANNER.
»Ein König hatte alles!«, beginnt Oliver Tallec seine Geschichte von einem Monarchen, der doch eigentlich wunschlos glücklich sein müsste. Mitnichten. Dabei sind seine Sammlungen ebenso umfangreich wie tagfüllend und von Karamelleisbären bis zu einem Gewitter, das keine Blitze macht, gibt es alles, katalogisiert, geordnet und durchnummeriert. Und genau, weil er wirklich alles hat, was man sich vorstellen kann, fehlt im – Nichts. Und danach macht er sich – systematisch, wie er veranlagt ist – auf die Suche. Seine riesige Bibliothek weiß keine Antwort. Ein Ausflug führt ihm vor Augen, dass auch das kleinste Tier nicht nichts ist. Die Wüste ist voll von Dingen und der Nachthimmel auch. Eine verflixte Geschichte und eine Aufgabe, die unlösbar scheint.
Dabei gibt es das Nichts durchaus. Regina Schwarz und Florence Dailleux haben ihm ein eigenes Bilderbuch gewidmet, das auch mit einer einfachen Feststellung startet: »Das Nichts ist traurig«. Warum wohl? Es kann es deutlich formulieren: »Ich bin ein Nichts und bleibe ein Nichts.« Tatsächlich keine besonders schöne Vorstellung, den nichts zu sein ist nicht besonders attraktiv. Aber wenn es sich tatsächlich in nichts auflösen würde, wie es in Erwägung zieht? Dann bekämen alle die Konsequenzen zu spüren. Kein »Macht nichts!« mehr bei kleinen Pannen, kein freundliches Ablehnen »Danke, ich möchte nichts!« Ganz schrecklich: Es gäbe nichts mehr zu lachen. Seite um Seite staunen wir, wie sehr das Nichts in unserem Alltag gebraucht wird – und wie froh wir sind, wenn es endlich wieder da ist!
Zwei Bilderbücher, die mit einfachen Texten zum Philosophieren einladen über eine durchaus komplexe Sache. Auch die Bildebene schafft jeweils perfekte Zugänge zu der Frage nach dem Nichts. Die Umgebung in majestätischen Rottönen gehalten macht sich der König mit goldener Krone und goldgelbem Jogginganzug an die Arbeit, das Nichts zu entdecken. Kommt man bei nichts an, wenn die Dinge immer kleiner werden? Der wichtige Mann als kleine Figur in einer komplexen Welt voller Dinge schaut immer genauer hin, fragt, demontiert – und wird fündig. Florence Dailleux hat das Nichts aufs Papier gezaubert. Ein schwarzes Loch auf dem Cover, ein schwarzes Nichts auf der ersten Seite mit zwei winzigen Punkten als Augen und einem Mund mit deutlich heruntergewogenen Mundwinkeln, das klassische traurige Gesicht. Ein Nichts, das sich daraus ergibt, dass es ein Drumherum aus Figuren und Gegenständen gibt, etwas versus nichts. Da, wo sie nicht sind, ist es, das Nichts. Und dann ist es weg.
Klar, das Nichts ist durch Abwesenheit gekennzeichnet. Und genau das bringt die Figuren, ob Clown oder Hase, Tiger oder Hahn zur Verzweiflung. Denn wie wäre es, wenn wir um nichts mehr kümmern müssten, wenn das Nichts nicht mehr da wäre? Eingängige Szenen veranschaulichen was passiert, wenn nichts mehr an seinem Platz steht oder aus einem guten Plan nichts wird. Variantenreiche Szenen umkreisen das Nichts und beweisen, dass es ohne Nichts nicht geht.
Dem Nichts kommt man mit diesen beiden Bilderbüchern auf die Spur – und staunt, was man dabei alles entdeckt!
Titelangaben
Regina Schwarz: Die Geschichte vom NICHTS
Illustriert von Florence Dailleux
Zürich: aracari 2024
32 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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Olivier Tallec: Nichts für den König
(Le Roi et Rien, 2022). Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Hildesheim: Gerstenberg 2024
40 Seiten. 15 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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