//

Kurzstrecke

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Kurzstrecke

Er frage sich, sagte Farb, wie der Mensch damit umgehen werde, daß Regionen nach und nach unbewohnbar würden.

Schwierig, sagte Wette, das Problem sei real, werde aber so nicht diskutiert, sondern man erwecke den Eindruck, der Schaden, sei er noch so groß, lasse sich wieder reparieren, wenn nur genügend Geld verfügbar sei, von Wiederaufbau sei die Rede, die Debatte werde parteipolitisch instrumentalisiert, es gebe Schuldzuweisungen, sagte Wette, doch man ignoriere den Hinweis, daß die verheerenden Feuer kein einmaliges Ereignis blieben, und niemand frage, wie mit der Zerstörung dieser Regionen umzugehen sei, in der öffentlichen Debatte werde abgelenkt, Nebenkriegsschauplätze werden eröffnet, Schattenboxen, Spiegelfechterei.

In den USA herrsche gegenwärtig ein unübertreffliches Durcheinander, das international einen hohen Unterhaltungswert genieße, der sich zweifellos noch steigern werde, sagte Farb, MAGA eröffne intern eigene Fronten und bringe sich in Stellung, den Alphamännchen platze der Kragen.

Wahlweise gehe ihnen der Hut hoch. Wette lachte.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Farb strich sie langsam und sorgfältig glatt.

Annika lächelte und warf einen Blick nach dem Gohliser Schlößchen.

Unübersichtlich, sagte Farb, die Situation sei unübersichtlich, ein harmonisches Menü sei nicht zu erwarten, so sei eben die Lage, der Amtsantritt des gewählten Präsidenten stehe bevor, er lasse die Muskeln spielen, melde sich lauthals zu Wort, im Ton wie üblich herablassend und beleidigend, er werfe seinen Gegnern Fehler vor, noch während die Brände in Kalifornien weiter tobten, vor Plünderern werde gewarnt.

Annika legte ihr Reisemagazin beiseite.

Farb aß von seiner Pflaumenschnitte.

Tilman griff zu einem Marmorkeks und schenkte Tee nach, Yin Zhen, sie hatten das Service mit dem rostroten Drachen aufgedeckt, das Tilman von Beijing mitgebracht hatte, er war dort einen Halbmarathon auf der Großen Mauer gelaufen.

Wette schwieg.

Das Gohliser Schlößchen glänzte unter der Nachmittagssonne.

Auf youtube lasse sich das Geschehen live verfolgen, digitalisierte Kommunikation, die Welt sei ein Dorf, sagte Farb, die Entfernungen seien geschrumpft, gar auf Null reduziert, dank neuester Technologie fühle man sich in medias res, Existenzen würden vernichtet, Tränen flössen, immer wieder sehe man erschütternde Szenen vom Leid der Menschen, es gehe hoch her in Teufels Küche.

Aber man höre selten ein Wort zum Klimawandel, sagte Wette.

Farb lachte. Das werde sorgfältig vermieden, sagte er, niemand lege Notfallpläne vor, wie denn auch, kein Politiker verspreche eine Minderung der Naturgewalten, weshalb, weil es kein Entkommen geben werde, unübersehbar kein Entkommen, oh rätselhafte Wunder der Natur, die Lage sei hoffnungslos, der viel gerühmte Homo sapiens sei am Ende mit seinem Latein, im Mittleren Westen der USA seien es eben noch Schneestürme gewesen, die die Abläufe lahmgelegt hätten, knapp zweihunderttausend Haushalte ohne Strom.

Was könne  man tun, fragte Wette.

Wer am Ende des Weges angelangt sei, sagte Tilman, habe vermutlich sein Ziel erreicht.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwanglos, natürlich, losgelöst

Nächster Artikel

Worte

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Auflösung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auflösung

Ganz ähnlich seien seine Ländereien am Roten Meer beschaffen, sagte Ramses IX., im Grunde handle es sich um unfruchtbare Einöde, nein, Tourismus habe es zu seiner Zeit nicht gegeben, das Leben existiere nicht, damit der Mensch sich vergnügen könne.

Er verstummte und blickte hinaus auf das Wasser.

Gefühl

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gefühl

Das Rauschen des Ozeans klang wie von ferne zur Ojo de Liebre herüber.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Keine Ahnung, sagte Gramner, der Mensch der Moderne habe keine Ahnung, null, er stehe sprachlos vor einem Abgrund, man finde kaum eine andere Epoche, während der der Mensch dermaßen blind gewesen sei.

Der Ausguck stand auf, tat einige Schritte, löste sich in die Dunkelheit auf und schlug einen Salto.

Eldin

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Eldin

Keineswegs, nein, Eldin machte sich keinen Kopf deswegen, weshalb auch, sein Leben war geordnet, er war der Erste Maat auf Scammons Boston, die schmerzende Schulter mochte ärgerlich sein, doch sie schuf keine neuen Fakten, er hatte sich sogar, wer hätte das geahnt, an die Abende mit der Mannschaft gewöhnt, saß jedesmal schweigend da, legte ab und zu einen Scheit Holz ins Feuer, gab sich unbeteiligt, und die Mannschaft gewöhnte sich an seine Anwesenheit.

Scammon hockte in seiner Kajüte, brütete über seinen Aufzeichnungen und kümmerte sich selten um das Tagesgeschäft.

Sie hatten, wie es schien, alle Zeit der Welt, die Ojo de Liebre war ein Idyll, der Alltag in der Stadt dagegen war lebensgefährlich, und dennoch, das Nichtstun setzte ihnen zu, gut eine Woche war es her, daß sie sich Verletzungen zugezogen hatten, die meisten waren ausgeheilt, und nun, Eldin nahm es aufmerksam wahr, begannen die ersten, die Tage zu zählen

Cale-Raunacht

Kurzprosa | Tina Karolina Stauner: Cale-Raunacht Die Zuhörer im Quasimodo noch in Gesprächslaune. Small Talk und Namedropping. Jemand sagt: »Calexico und Simple Minds haben gerade eine neue CD raus.« Eine Frau, die sich ganz an den Bühnenrand drängt, schreit jemandem nach hinten zu: »Von John Cale haben wir doch auch eine CD, oder?«

Irreführend

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Irreführend

Sobald er sich hinlegt, lang auf dem Sofa ausgestreckt, fällt ihm erst auf, wie müde er ist, nicht ermattet mit einer Sehnsucht nach tiefem Schlaf, nein, auch nicht jene Art Müdigkeit, daß ihm die Augen zufallen würden und er übergangslos einschliefe, traumlos, nein, es sei eine empfundene Müdigkeit, und verwundert nehme er wahr, daß sie sich über seinen Körper ausbreite, anfangs im Brustkorb, dann greife sie nach dem Kopf, schließlich über Schultern und Hüfte bis zu Händen und Füßen.