Eigentlich will es Frühling im Wald werden, aber erste Leberblümchen ziehen erschrocken ihre Köpfe ein, eine Waldschnecke verkriecht sich, ein Igel traut sich dann doch nicht aus seiner Winterbehausung. Was ist da nur los, fragt sich ANDREA WANNER.
Willkommen im Spinat, begrüßt der Erzähler, eine alte Eiche, alle kleinen Zuhörerinnen und Zuhörer. Spinat nennen die Waldbewohner unter sich ihr Zuhause, den Wald. Und dort ist ein ziemlich garstiges Wesen mit einem grünen Hut unterwegs: die kleine Spinatfrau. Übellaunig droht sie allen, die sich aus der Deckung wagen, mit ihrem Stock, ihr Traum ist der ewige Winter.
Und dann passiert noch etwas im Wald. Ein kleiner Junge ist mit seiner Mutter unterwegs zum Ferienhaus. Seine miese Laune steht der der Spinatfrau in nichts nach. Während die Mutter ihn begeistert auf die erwachende Natur hinweist, trottet er mürrisch hinterher. Bis er etwas Interessantes entdeckt: niemand anderes als die Spinatfrau, die er kurzerhand in seine Jackentasche steckt.
Und jetzt? Die Pflanzen und Tiere haben wohl mitbekommen, was da passiert ist, aber haben nicht eingegriffen. Eigentlich könnten sie jetzt alle aufatmen: die alte Spielverderberin ist endlich weg, es kann ungestört Frühling werden. Aber dann beginnt die Eiche, den Grund für das Verhalten des Weibleins zu erzählen. Zur selben Zeit in der Hütte rückt die Spinatfrau dem Jungen den Kopf zurecht: »Mach doch die Augen auf, du Dummkopf!« Voller Erstaunen hört sie sich selber die Wunder des Waldes preisen – und erkennt gleichzeitig in dem Verhalten ihres Gegenübers ihr eigenes wieder. Das ist keine Boshaftigkeit, das ist Trauer.
Was für eine zauberhafte Geschichte, die das Offensichtliche zeigt und dann die darunterliegenden Schichten freilegt. Nichts ist, wie es scheint. Davon erzählt der Text, der zu vorschnellen Urteilen verleiten versucht, nur um dann Verständnis zu wecken. Raffiniert locken Martin Widmark und Emma Karinsdotter auf falsche Spuren. Und genau so funktionieren auch die wunderschönen Illustrationen von Emilia Dziubak: Man muss genau hinschauen, sich in den flirrenden Szenen, in den sich erste Sonnenstrahlen den Weg in das Walddunkel bahnen, zurechtfinden. Ein einziges Versteckspiel und die Bilder geben erst auf den zweiten oder dritten Blick ihr Geheimnis preis. Wie sympathisch das lächelnde Gesicht der knorrigen alten Eiche, wie verkniffen das der Spinatfrau, wie zierlich und tänzerisch die kleinen, zarten Blumenwesen, die auf einem Baumstamm ein Ballett aufzuführen scheinen. Es ist die magische Welt eines Märchens, das in seinen Bann zieht und das, wie alle Märchen, ein gutes Ende verspricht.
Titelangaben
Martin Widmark und Emma Karinsdotter: Als der Wald erwachte
(Den lilla spenatgumman, 2022)
Aus dem Schwedischen von Maile Dörries und Stefan Pluschkat
Illustriert von Emilia Dziubak
Hamburg: Oetinger 2025
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander