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Wie komme ich aus dieser Falle nur wieder raus? 

Digitalspielkultur | Interview mit Autorin Jeannine Simon

Digitale Spiele begeistern weltweit Milliarden Menschen – doch die Gaming-Industrie nutzt psychologische Tricks, um uns förmlich zu binden. Das Buch ›Die Gaming Falle‹ deckt diese Strategien auf und zeigt, wie wir bewusster spielen können, ohne den Spaß zu verlieren. Ein spannender Blick hinter die Kulissen der Spieleindustrie und ein Plädoyer für ein faires Miteinander in der Gaming-Welt. RUDOLF INDERST spricht mit der Autorin Jeannine Simon.

Rudolf Thomas Inderst (RTI): Guten Tag, Dr. Jeannine Simon, danke, dass Sie sich die Zeit für unsere Unterhaltung nehmen. Bitte stellen Sie sich doch unseren Leser:innen vor und nehmen Sie uns ein wenig in Ihren Alltag mit.
Ein Porträtfoto der AutorinJeannine Simon (JS): Sehr gerne, vielen Dank für die Einladung! Mein Name ist Jeannine Simon. Als Kommunikationswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Medienwirkungsforschung beschäftige ich mich primär mit der Frage, wie uns mediale Inhalte beeinflussen. Besonders spannend finde ich hierbei die zahlreichen, oft subtilen Mechanismen, die insbesondere im digitalen Raum darauf abzielen, uns zu lenken. Mein Arbeitsalltag ist eine Mischung aus Forschung, Schreiben und kreativer Arbeit – häufig im Rahmen von Bildungsprojekten. Mit ›Die Gaming-Falle‹ ist kürzlich mein erstes populärwissenschaftliches Buch erschienen. Darin wird deutlich, dass Gaming für mich nicht nur ein Forschungsgegenstand, sondern auch ein persönliches Interesse ist. Gaming ist ein fester Bestandteil in meinem Alltag und so erlebe ich quasi hautnah, wie viel Spaß digitale Spiele bereiten – aber auch, wie sie durch geschickte Designstrategien unsere Emotionen und unser Verhalten beeinflussen.

RTI: Lassen Sie uns über Ihr neues Buch ›Die Gaming Falle‹. Wie digitale Spiele uns um Zeit, Geld und Daten bringen sprechen. Was hat Sie veranlasst, diese Publikation anzugehen und umzusetzen?
JS: Gaming ist längst ein Multimilliardenbusiness und in vielen Spielen geht es schon lange nicht mehr nur um Spielspaß, sondern um Profitmaximierung. Durch meine eigene Spielerfahrung konnte ich beobachten, wie sich die Branche in dieser Hinsicht verändert hat und es war mir zusehends ein Dorn im Auge. Wo früher ein gutes Gameplay im Vordergrund stand, greifen heute oft psychologische Tricks, KI-gestützte Systeme und manipulative Mechaniken, um uns dazu zu bringen, immer mehr zu investieren – sei es Zeit, Geld, Daten oder Sozialkapital. Dieser Trend hat sich besonders mit dem Aufstieg von Mobile Games und dem Free-to-Play-Modell massiv verstärkt und ist mittlerweile auch im Bereich der Konsolen- und PC-Spiele präsent. In ›Die Gaming-Falle‹ zeige ich, wie diese Mechanismen funktionieren. Mein Anliegen ist es, Transparenz zu fördern: Wer die Tricks kennt, kann bewusster spielen und bessere Entscheidungen treffen – sei es im Kontext eines einzelnen Spiels oder sogar bei der grundsätzlichen Auswahl von Games.

RTI: In Ihrem Buch decken Sie auf, wie psychologische Tricks und verhaltensökonomische Strategien in digitalen Spielen eingesetzt werden, um Spieler:innen zu binden. Welche dieser Mechanismen halten Sie für besonders effektiv?
JS: Es gibt einzelne Mechanismen, die hervorstechen, doch besonders effektiv ist oft das Zusammenspiel mehrerer dieser Mechanismen und ihr konzentriertes Auftreten innerhalb eines Spiels. Ein besonders wirkungsvoller Mechanismus ist beispielsweise der künstlich erzeugte Handlungsdruck, der in vielen Games mit persistenten Welten eine zentrale Rolle spielt. Diese Spiele laufen weiter, auch wenn man selber gerade nicht spielt. Hier werden gezielt psychologische Phänomene genutzt: einerseits die Angst, etwas zu verpassen – auch als FOMO bekannt (Fear of Missing Out) – und andererseits die Angst vor Verlust. Die Sorge, während der Abwesenheit etwas zu versäumen oder zu verlieren, veranlasst viele Spieler*innen zu häufigen und langen Spielsessions. Problematisch wird es vor allem, wenn Offline-Zeit mit Verlust einhergeht – etwa, weil Ressourcen geplündert oder zerstört werden können, während man selber nicht spielt. Manche Games monetarisieren diese Verlustangst, indem sie Schutz- oder Versicherungssysteme anbieten. Wer nicht zahlen will oder kann, muss entweder viel Zeit investieren oder mit den negativen Konsequenzen leben.

Ein weiteres mächtiges Werkzeug sind glücksspielähnliche Belohnungssysteme, die mit unvorhersehbaren Belohnungen arbeiten – sogenannter variabler Verstärkung. Dazu zählen z.B. Simulationen von Slotmachines, Glücksrädern und auch Lootboxen. Hier werden Belohnungen nach dem Zufallsprinzip vergeben. Mechaniken mit variablen Belohnungen führen in besonderem Maße zu Wiederholungsverhalten. Das hat unter anderem mit dem dopaminergen System unseres Gehirns zu tun. Kurz vor Ausschüttung des Gewinns setzt unser Gehirn Dopamin frei, was einerseits ein Glücksgefühl erzeugt, andererseits aber auch zum Weiterspielen motiviert.

Vielen Spieler*innen ist zudem nicht bewusst, dass Glücksspielsimulationen im Gaming teilweise Designelemente integrieren, die im regulierten Glücksspiel aus Gründen des Spielerschutzes längst verboten sind. Dazu zählen beispielsweise Automatiktasten zur Beschleunigung der Spielgeschwindigkeit, die ihren Ursprung in klassischen Geldspielautomaten haben. Ein weiteres Beispiel sind sogenannte »Near Misses«, die sich visuell sehr einfach herstellen lassen. Es wird suggeriert, dass der große Gewinn nur knapp verpasst wurde – zum Beispiel, indem der Zeiger eines virtuellen Glücksrads nur um Haaresbreite neben dem Hauptgewinn stoppt. Aus der Forschung ist bekannt, dass solche »Fast-Gewinne« dazu motivieren, es nochmal zu versuchen.

Gerade wenn Glücksspielsimulationen mit Mikrotransaktionen verknüpft sind, kann das ganz schön ins Geld gehen. Das Produkt, das hier eigentlich verkauft wird, ist die Chance auf einen seltenen Gewinn und der Thrill des Zufalls. Letzteres trifft den Nerv unserer Zeit, denn gerade junge Menschen wollen nicht mehr nur konsumieren, sie wollen erleben und hierin sind gerade Lootboxen mit ihren schillernden Inszenierungen natürlich stark!

Um abschließend wieder den Bogen zum Stichwort Bindung zu spannen: Ob in Bezug auf Glücksspielsimulation oder Handlungsdruck – aus einer Makroperspektive betrachtet, dreht sich ganz viel um die Erlangung, den Erhalt und die Verteidigung von In-Game-Besitz. Und unter Besitz verstehen wir hier ganz unterschiedliche Dinge, virtuelle Gegenstände, Ranglistenplätze, In-Game-Sammlungen, you name it. Das Potenzial für Spielerbindung und Monetarisierung ist hier enorm, denn Besitz kann stark involvieren – insbesondere, wenn Zeit, Geld oder Mühe investiert wurden. Besitz bindet, denn psychologisch neigen viele Menschen dazu, das bewahren und verteidigen zu wollen, was sie als Eigentum betrachten.

RTI: Und wie können Spielerinnen und Spieler sich dagegen wappnen, ohne den Spaß am Spielen zu verlieren?
JS: Der erste Schritt ist Bewusstsein – je mehr wir über manipulative Designs wissen, desto leichter fällt es uns, bewusste Entscheidungen zu treffen. Wenn man in einem Spiel auf einen ethisch fragwürdigen Mechanismus stößt und die Wirkung kennt, fühlt sich das ganz anders an. Man lässt sich nicht so leicht unter Druck setzen. Das gibt einem ein Gefühl von Kontrolle und Mündigkeit und eröffnet die Chance, sich selbst Regeln zu setzen. So beispielsweise bezüglich Zeit- und Geldlimits. Weiterspielen ist natürlich möglich, aber eben mit einer neuen Haltung.

Allgemein kann es helfen, den eigenen Umgang mit Belohnungssystemen und Impulskäufen zu hinterfragen: Macht mir das Spiel noch Spaß, liefert es neue Inhalte – oder spiele ich in einer ewigen Schleife, nur weil ich die nächste Belohnung will? Viele Spiele setzen zudem darauf, dass wir impulsiv handeln. So vor allem, wenn es um In-Game-Käufe geht. Hier reicht schon eine kurze Bedenkzeit vor einem Kauf, um nicht vorschnell Geld auszugeben. Raus aus dem In-Game-Shop und nochmal nachdenken! Je nach angewandter Strategie gibt es viele kleine Hilfestellungen, die man selbst anwenden kann. Diese schildere ich in meinem Buch.

Und dann ist da natürlich noch die grundsätzliche Frage: Welche Spiele möchte ich überhaupt unterstützen? Wenn ein Spiel extrem auf aggressive Monetarisierung setzt, kann es sinnvoll sein, nach Alternativen zu suchen. Jedem muss klar sein: Wenn wir ausbeuterische Mechaniken mit unseren Ressourcen füttern und Ausbeutung sich auszahlt, dann könnten solche Mechaniken zunehmen.

RTI: Sie beschreiben, wie die Gaming-Industrie gezielt Emotionen und Verhalten beeinflusst, oft auf Kosten der Spieler:innen. Wo sehen Sie die größte Verantwortung der Entwickler:innen und Publisher, um fairere und ethischere Spielpraktiken zu fördern? Gibt es bereits positive Beispiele für einen verantwortungsbewussteren Umgang mit Spielenden?
JS: Die größte Verantwortung liegt darin, insbesondere in Spielen für Minderjährige auf Mechaniken zu verzichten, die gezielt Schwächen ausnutzen. Kindern und Jugendlichen fällt es besonders schwer, ihr Spielverhalten zu kontrollieren, weil ihr präfrontaler Kortex – also der Teil des Gehirns, der für die Impulskontrolle zuständig ist – noch nicht vollständig ausgebildet ist. Das macht sie anfälliger für Mechaniken, die auf FOMO oder zufallsbasierte und schnelle Belohnungen setzen. Laut neuester Erhebungen gelten in Deutschland über eine halbe Million Jugendliche als abhängig von Games. Bisher zeigt der Markt leider trotzdem: Was profitabel ist, wird in vielen erfolgreichen Spielen genutzt – egal, welche psychologischen Folgen das hat. Die Alterskennzeichnungen der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) bieten zwar eine Orientierung, aber nur ein Mindestmaß an Schutz.

Drei Personen sitzen in einem dunklen Raum mit den Rücken zueinander und blicken auf Bildschirme und Telefone.Ein weiteres großes Thema ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. KI bietet viele Möglichkeiten für personalisierte Spielerlebnisse, kann aber auch genutzt werden, um Spieler*innen länger im Spiel zu halten oder Kaufanreize auf die individuelle Kauf- und Zahlungsbereitschaft abzustimmen und diese maximal auszureizen. All das läuft unsichtbar im Hintergrund ab und erfordert von Spielentwickler*innen viel Fingerspitzengefühl in puncto Verantwortung.

Natürlich gibt es positive Beispiele und das eigentlich auch genreübergreifend. Ein bekanntes Beispiel für eine faire Monetarisierung unter den Multiplayer-Games ist zum Beispiel ›Path of Exile‹, trotzdem kann man hier viel Geld im Shop ausgeben. Indie-Entwickler:innen setzen oft auf faire Monetarisierung – zum Beispiel durch transparente Kosten und den Verzicht auf Pay-to-Win-Strategien. Leider haben diese Spiele oft nicht die Marketingbudgets, um sich gegen die großen Titel durchzusetzen und so fehlt es häufig an Sichtbarkeit im Markt. Auf der Plattform itch.io werden Indie-Spiele angeboten. Hier kann man bei Interesse mal stöbern.

RTI: Ihr Buch richtet sich auch an Eltern und pädagogische Fachkräfte, die junge Menschen im Umgang mit digitalen Spielen begleiten möchten. Welche konkreten Schritte oder Strategien empfehlen Sie, um ein gesünderes Spielverhalten zu fördern – und wie kann man junge Spieler:innen für die manipulativen Aspekte von Games sensibilisieren, ohne sie zu entmutigen?
JS: Kinder und Jugendliche müssen heutzutage mehr denn je zu digitaler Mündigkeit erzogen werden – und das erfordert eine starke Medienbildung, die weit über Gaming hinausgeht. Das wird meiner Ansicht nach in den nächsten Jahren eine noch zentralere Rolle in der Pädagogik einnehmen müssen. Für den Alltag helfen klare Regeln. Dabei geht es nicht nur um Zeitlimits, sondern auch um die Auswahl der Spiele. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche in diese Entscheidungen einbezogen werden und Eltern sich die Spiele zeigen lassen. So kann ein Dialog auf Augenhöhe entstehen, und die Regeln werden später besser akzeptiert. Gleichzeitig müssen Erwachsene trotzdem mithelfen, dass diese Regeln eingehalten werden, denn die Verführung ist ja immens. Ein weiterer wichtiger Punkt ist es, junge Menschen für manipulative Mechanismen zu sensibilisieren. Indem Kinder und Jugendliche befähigt werden, solche Mechanismen zu durchschauen, können sie informierter und selbstbestimmter handeln. Also: Keine Verbote, sondern klare Regeln – und Minderjährige dazu befähigen, kritisch zu hinterfragen, statt stumpf zu konsumieren.

RTI: Vielen Dank und alles Gute für die Zukunft, Frau Dr. Simon!
JS: Herzlichen Dank, Ihnen auch alles Gute!

| RUDOLF THOMAS INDERST

Titelangaben
Jeannine Simon: Die Gaming-Falle
Wie digitale Spiele uns um Zeit, Geld und Daten bringen
München: kopaed 2024
162 Seiten, 16,80 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

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