Fakt, sagte Farb, die Fangpause sei ein Fakt.
Ob sie schon in den Geschichtsbüchern verzeichnet sei, spottete Wette.
Das sei keine Frage, sagte Farb, sie sei historisch.
Gewiß, ja, sagte Wette, ein Mißgeschick beim Walfang, Scammons Boston mußte scheinbar endlos untätig in der Ojo de Liebre vor Anker liegen, denn Eldin, der Obermaat, hatte sich die Schulter verletzt, eine Schulter ist ein heikles Gelenk, ohne Schulter schleudert niemand eine Harpune.
Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.
Tilman reichte ihm einen Löffel mit Schlagsahne.
Annika warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.
Farb strich die Sahne langsam und sorgfältig glatt.
Gefühlt ohne Ende, sagte Wette, in der Sonora, sagte er, nicht jeder ertrage die Temperaturen, und Eldin war ein harter Hund, für den Bootswächter setzte es Schläge, nachdem ihm zwei Schaluppen auf die offene See getrieben waren.
Die Situation war angespannt, sie verlangte Geduld, sagte Farb.
Scammon verließ sich auf seinen Obermaat, sagte Wette, sie hatten die Mannschaft im Griff, Walfänger sind gestählte Kerle, über die sieben Meere gefahren und mit allen Wassern gewaschen, sie müssen wohl gelegentlich die Knute spüren, und Eldin war so einer, nicht daß sie ihn gefürchtet hätten, Angst gehabt hätten, nein, er verkörperte Autorität, sie respektierten ihn auch ohne Worte.
Vielleicht daß der eine oder andere sich eingeschüchtert fühlte, sagte Farb, besonders unter den jüngeren, so funktioniert eine Mannschaft, jeder hat Platz und findet sich in seine Rolle.
Annika schwieg, sie halte das für ein einseitiges Verhaltensmuster, männlich geprägt, aber die Zeiten hätten sich geändert, und nein, sie wolle nicht streiten, auch in ›Teams‹ bildeten sich spontan Strukturen, hierarchische Strukturen, und sie streite gar nicht ab, daß Geschlechtszugehörigkeit eine Rolle spiele, mal mehr, mal weniger, es komme auf die jeweiligen Umstände an.
Es gehe, rief Farb in Erinnerung, um die Fangpause, die unerwartet konfliktfrei verlaufen sei.
Unüblich, sagte Wette, und unüblich auch, daß Alkohol keine Rolle gespielt habe.
Wohl deshalb keine Handgreiflichkeiten, sagte Tilman.
Aufgrund ihrer Dauer hätte sie ins Buch der Rekorde gehört, sagte Farb, aber bemerkenswert sei ihr Verlauf gewesen, denn anstatt wachsender Spannung sei das Gegenteil eingetreten, eine beharrlich friedfertige Atmosphäre bildete sich heraus, man möchte das kaum glauben.
Ungewöhnlich, sagte Wette, zumal der Alltag in Frisco für Angehörige indigener Völker und Nichtweiße lebensgefährlich war, auch entflohenen Sklaven wurde nachgestellt, nein, weiß Gott, in der Stadt herrschte keine friedfertige Atmosphäre.
Ob das subtropische Klima dazu beitrug, gut möglich, sagte Farb, die Ojo de Liebre befand sich in der Baja California, einer dünn besiedelten Einöde.
Vor allem, sagte Tilman, dürfte das an der stabilen Struktur der Gruppe gelegen haben, an der klaren Hierarchie, die nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wurde, die meisten Männer kannten einander, die Mannschaft fuhr nicht zum ersten Mal auf Walfang, Scammon war ein erfahrener und respektierter Commandeur, er hielt Abstand, sammelte Daten über die Meerestiere und würde einige Jahre darauf eine Untersuchung veröffentlichen, eine Fangpause kam ihm durchaus gelegen.
Vermutlich spielte alles mit hinein, sagte Wette, es war ein glücklicher Moment, mit Eldins Verletzung war die harte Routine des Alltags urplötzlich abgestürzt, eine andere Perspektive des Lebens trat zutage, die immer latent vorhanden war, so beim Ausguck mit seinen Salti und beim harten Knochen Eldin, der sich wie verwandelt mit ans Lagerfeuer setzte und Brennholz nachlegte.
Thimbleman schwamm furchtlos in der Lagune, ergänzte Farb, und der Wal wurde nicht als Gefahr empfunden, die Welt offenbarte ein friedfertiges Gesicht.
Der Teufelsfisch, spottete Wette.
Aber wie es möglich sei, fragte Annika, ein- und denselben Alltag so kontrovers zu erleben.
Schwierig, sagte Farb und tat sich lächelnd eine zweite Pflaumenschnitte auf.
Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.
Annika legte ihr Reisemagazin beiseite.
| WOLF SENFF