Es gibt Lebenswelten, in die haben wir normalerweise keinen Einblick. Zu gehört sicher auch der Jugendarrest, eine Maßnahme im Jugendstrafrecht, bei der Jugendliche für eine bestimmte Zeit in einer Jugendstrafanstalt oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht werden. Der Jugendarrest kann je nach Einzelfall und Entscheidung des Gerichts unterschiedlich lang dauern. In Deutschland beträgt die Dauer des Jugendarrests in der Regel zwischen einem Tag und maximal vier Wochen. Es ist also eine vergleichsweise kurze Freiheitsstrafe, die dazu dient, den Jugendlichen zu erziehen und ihm die Konsequenzen seines Handelns vor Augen zu führen. Patricia Thoma eröffnet mit ihrem Projekt einen Blick in die Jugendarrestanstalt Berlin-Brandenburg. Von ANDREA WANNER
Unter Anleitung der Berliner Künstlerin Patricia Thoma entstanden Comics hinter Gittern. Die eher misstrauischen Jugendlichen ließen sich tatsächlich auf das Projekt ein, in dem ihnen ein Stift und eine Stimme gegeben wurden. So etwas braucht Geduld und Geschick, geschieht nicht aus dem Nichts. Es ist gelungen, die Jugendlichen erzählen ihre eigenen Geschichten, in Worten, vor allem aber in Bildern. Patricia Thoma hat sie künstlerisch begleitet, aber der Fokus liegt auf ihren eigenen Zeichnungen, Gedanken und Erlebnissen. Das Buch eröffnet damit einen sehr persönlichen und authentischen Zugang zu einem gesellschaftlich oft ausgeblendeten Thema.
›Im Jugendarrest‹ gewährt Einblicke in das Leben junger Menschen im Arrest – aus erster Hand. Die Jugendlichen berichten selbst: über ihre Straftaten, den Arrestalltag, über Schuld, Wut, Angst und Hoffnung, Frauen- und Männerbilder. Entstanden ist ein vielschichtiges Bild davon, was es heißt, jung zu sein und mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Ergänzt werden die Perspektiven durch Aussagen von Fachkräften wie Sozialarbeitern und Vollzugsbeamten am Ende des Buches, befragt und in Szene gesetzt von Patricia Thoma.
Besonders eindrucksvoll ist die künstlerische Gestaltung: Die Jugendlichen zeichnen ganz unterschiedlich, mal grob und skizzenhaft, mal überraschend detailreich. Die Zeichnungen wirken unmittelbar, emotional, unverstellt und ehrlich. Was sich schwer in Worte fassen lässt, findet hier Ausdruck. Sie zeigen Zellen, Gesichter, Erinnerungen und Träume. Thoma hält sich bewusst im Hintergrund und lässt den Jugendlichen Raum. Dadurch entsteht ein authentischer, multiperspektivischer Eindruck, der berührt – und betroffen macht.
Das Buch ist mehr als eine Graphic Novel – es ist ein Dokument gelebter Realität. Durch die eigene Darstellung der Jugendlichen wird das Thema nicht nur greifbarer, sondern auch menschlicher. Ihre Perspektiven sind wichtig, weil sie nicht entschuldigen, aber erklären. In einem künstlerischen Raum, der für sie geöffnet wurde – großartig, dass Patricia Thoma diesen Raum geschaffen hat. Das Buch zeigt, was entstet, wenn man Jugendlichen zuhört – und sie zeichnen lässt. Es ist ein ehrliches, mutiges und gesellschaftlich relevantes Buch, eine eindrucksvolle Mischung aus Kunst, Dokumentation und sozialem Engagement, für das man sich Zeit nehmen sollte, um auch die kleinen Details – wie beispielsweise das umgedrehte N im Cover – zu entdecken. Ja, da ist vieles verdreht, aber manches lässt sich vielleicht doch auf den rechten Weg bringen.
Titelangaben
Patricia Thoma: Im Jugendarrest
Patricia Thoma und Jugendliche in der Berliner Jugendarrestanstalt Berlin-Brandenburg
Berlin: Jacoby und Stuart 2025
96 Seiten, 22 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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