»Gutes Bier ist zu einer Hälfte Wissenschaft, zur anderen Hälfte Kunst«, sagt einer, der es wissen muss. Doch für den Schriftsteller Jaroslav Rudiš ist auch viel Neugier, Kommunikation und Weltoffenheit im Spiel. Seine ›Gebrauchsanweisung für Bier‹ lässt sich gleichermaßen als literarisches Reisebuch wie Geschmackverführer genießen, als eine Einladung, europäische Landstriche über die Tradition ihrer Bierbrauerei zu erleben. Von INGEBORG JAISER
Jaroslav Rudiš pflegt zwei große Leidenschaften: Bahnfahren und Biertrinken – gerne praktisch vereint beim Besuch von Bahnhofskneipen und Bordrestaurants. Ein neugieriger Blick über Grenzen hinweg ist die Hauptmotivation des bekennenden Europäers und Vielreisenden, dem 2021 das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, als engagiertem »Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien«.
Dass der im »Böhmischen Paradies« geborene Rudiš das Bier bereits mit der Muttermilch aufgesogen hat – nachdem der erschöpften Mutter direkt nach der Niederkunft ein Bier zur Stärkung gereicht wurde (»Als Heiligtum, ja als Sakrament vom Chefarzt persönlich«) – gehört zu den eingängigen Anekdoten, denen man gerne Glauben schenken mag. Dem Säugling soll es nicht zum Schaden gewesen sein.
Vom Pilz zum Pils
Doch wer hätte damals geahnt, dass er sich zu einem Buchautor entwickeln würde, »der immer wieder über die Eisenbahn, die Weltgeschichte und über Bier schreiben würde.« Mit großem Erfolg – wobei seine literarischen Werke oft die Grenzen zwischen Fiction und Non-Fiction überschreiten. Doch was könnte Geschichte und Geschichten besser verbinden als das jahrtausendealte Kulturgut Bier?
So entfaltet sich Rudiš ›Gebrauchsanweisung für Bier‹ schnell zum enthusiastischen Reisebuch, zur grenzüberschreitenden, anregenden Begegnung mit Hopfenbauern, Brauern und Mälzern, mit Schankwirten, Wirtshausgästen und Biertrinkern. Zwischen Helsinki und Sarajevo, zwischen Düsseldorf und Triest. Auch wenn der Fokus immer wieder auf das magische Dreieck Budweis-Pilsen-Bamberg fällt, auf die enge Verwandtschaft zwischen böhmischer und fränkischer Bierkultur. Und wer weiß schon, dass die Erfindung des untergärigen Pilsner Urquells dem bayrischen Braumeister Groll und seiner Hefe zuzuschreiben ist. »Man kann davon ausgehen, dass ein kleines bisschen von ebendieser Hefe bis heute in jedem Pilsner Urquell treibt, von diesem auffällig unauffälligen einzelligen Pilz, den Groll in einem Eimer aus Vilshofen an der Donau nach Pilsen brachte.«
Vorletzte Ölung
Wie eng Literatur- und Kulturgeschichte mit dem goldenen Gerstensaft verbunden sind, zeigen Jaroslav Rudiš interdisziplinäre Exkursionen. Mit der einleuchtenden These, dass ein Wiener Lagerbier wohl das letzte Getränk war, das der tuberkulosekranke Kafka im Kierlinger Sanatorium zu sich genommen hat. Beim Friedhofsbesuch in Bayreuth, am Grab von Jean Paul, der einst das Bier als »Weihwasser«, »Seelentrank« oder als »vorletzte Ölung« bezeichnet hat. Oder in Erinnerung an das Konzert der Düsseldorfer Toten Hosen (unvergessen ihr ›Altbierlied‹) 1987 in Pilsen, bei dem die Bandmitglieder backstage von der Volkspolizei verprügelt worden sind.
Während eingefleischte Bierkenner diese ›Gebrauchsanweisung‹ wie einen Reiseführer zelebrieren, um zum Erlanger Fassbegräbnis oder der Bamberger Hopfensau zu pilgern, mögen selbst passionierte Weintrinker mit enormem Erkenntnisgewinn aus der Lektüre hervorgehen, ja gar das Konvertieren in Erwägung ziehen. Nicht allein nur wegen der kulinarischen Empfehlungen: Denn was wäre eine Burenwurst am Wiener Würstelstand am Südtiroler Platz ohne ein Ottakringer, ein flämisches Biergulasch am Antwerpener Hauptbahnhof ohne ein dunkles Westmalle?
Wer als Leser auf den Geschmack gekommen und von Jaroslav Rudiš mitreißender Erzählstimme angesteckt worden ist, sollte nicht vor seinem opulentem Mammutwerk zurückschrecken (keineswegs off-topic, nur in ein anderes Genre wechselnd): Man sagt, in keinem anderen zeitgenössischen Roman würde so viel Bier getrunken wie in ›Winterbergs letzte Reise‹ (2021). Zum Wohl und Na zdraví!
Titelangaben
Jaroslav Rudiš: Gebrauchsanweisung für Bier
München: Piper, 2025
253 Seiten, 16,00 Euro
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