Literaturkalender 2026
Die Wochen bis zum Jahreswechsel sind gezählt. Sollte man nicht jetzt schon Termine übertragen, Geburtstage markieren, Pläne schmieden für das noch jungfräuliche 2026? Ganz beschwingt mit literarischer Begleitung und Inspiration für neuen Lesegenuss – Wiederentdeckungen inklusive? Aus der Fülle jährlich erscheinender Literaturkalender stellt INGEBORG JAISER einige herausragende Exemplare vor.
Eröffnen wir den Reigen mit einem großformatigen, bildgewaltigen Newcomer. Hoch aufgetürmte Wolken überm blauschimmernden Atlantik. Ein einsames Haus auf einer Landspitze. Wild aufsprühende Gischt vor Saint Malo. Man glaubt geradewegs, die Möwen kreischen, die Fensterläden klappern zu hören. Und fühlt sich hineinversetzt in Die Bretagne des Kommissar Dupin, in eine Welt der rätselhaften Morde vor idyllischer Kulisse.
Gekonnt inszeniert der Dumont Kalenderverlag die Schauplätze der angesagten Kriminalromane um den eigenwilligen strafversetzten Commissaire. Unterlegt von passenden Textstellen aus der inzwischen auf 14 Bände angewachsenen Kultreihe mit viel Lokalkolorit. »Überall in der Bretagne war das gleiche Spiel zu beobachten. Die Unkundigen wagten sich bis zur Spitze der Mole hinaus, um spektakuläre Blicke aufs Meer zu erhaschen. Dann geschah es: Getrieben von der Flut und den peitschenden Böen barsten einzelne Brecher derart heftig gegen die Mauern, dass sie sich in wilden Fontänen und mit gewaltigen Gischtwolken über die Mole ergossen.« Keine Sorge: mit diesem Kalender lassen sich trockenen Fußes alle Krimi-Schauplätze im Monatsrhythmus erkunden. Und wen kümmert es schon, dass sich hinter dem frankophil klingenden Autor Jean-Luc Bannalec der deutsche Schriftsteller Jörg Bong verbirgt?
Von fliegenden Tauben und Zeppelinen
Vom fernen Atlantikstrand zurück zu den Gestaden von Neckar, Donau und Rhein, in die Heimat der Dichter und Denker, nicht zuletzt von Johann Peter Hebel, der durch seine Kalendergeschichten berühmt geworden ist: »Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen, so gut wie in Amsterdam […] zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratenen Tauben für ihn in der Luft herumfliegen.«
Welche Literaten, Künstler und Kulturschaffende es in den Südwesten Deutschlands verschlagen hat (per Geburt, Berufung oder Zufall), erfährt der neugierige Kalenderfreund im wöchentlichen Wechsel im Kulturkalender aus Baden und Württemberg 2026. Nun bereits im vierten Jahrgang breitet der ambitionierte Freiburger 8grad verlag seine Entdeckungen in Wort und Bild aus: Goethes Erinnerungen an Heidelberg (»Etwas weiter oben, wenn man zurücksieht, sieht man die Stadt und die ganze Lage in ihrem schönsten Verhältnisse«), Hermann Hesses Glasperlenspiel oder Ernest Hemingways nicht ganz ungetrübte Zeit im Schwarzwald. Ein in jeglicher Hinsicht horizonterweiternder Kalender!
Mmmmmhhh, ein köstliches Erdbeereis schmeckt allen Kindern, über sämtliche Länder, Sprachen, Vorlieben hinweg: »Pink and sticky / melting drips / I lick it off / my finger tips!« Anfang Juni schwelgen nicht nur Bub und Hund im klebrigsüßen Sommerglück eines englischen Gedichts. Im März streift ein Dinosaurier durch archaische Landschaften (»Dem kolossalen Raubtier schmeckten / nur andre Tiere und Insekten«), der April frönt fruchtigen Namensspielereien (»Barbara Rhabarber«), und im Oktober locken in Italien nicht nur feine Trüffel: »Grunzend steht ein wildes Schwein / auf dem Hügel ganz allein / Aber dann preist´s die ollen / gewöhnlichen Kartoffelknollen«.
52 Wochen lang kann man lachend und staunend den nicht nur lukullischen, lautmalerischen Gedichten des Kinder Kalenders 2026 folgen. Wie immer aus den eigenen Beständen aufgespürt, zusammengetragen und herausgegeben von der Internationalen Jugendbibliothek in München, mit Liebe in Szene gesetzt und auf den Weg gebracht vom Frankfurter Moritz Verlag. Dass nicht nur junge Menschen dem Reiz dieser mehrsprachigen, lyrischen Wunderwelt erliegen, weiß schon jedes Kind.
Wie hellsichtig, ein Zitat des amerikanischen Autors Paul Auster bereits auf das Titelblatt zu bannen, gleichsam als Leitgedanke für das kommende Jahr: „In einem Moment kann sich alles verändern, plötzlich und für immer.« Mit jedem wöchentlichen Umblättern gibt der Aufbau Literaturkalender den Blick frei auf eine weitere literarische Entdeckung, über Epochen, Genres und Sprachen hinweg. Von Ilse Aichinger bis Lu Xun, von Helena Adler bis Igiaba Scebo. Alte Bekannte folgen auf erstaunliche Newcomer, Romanauszüge auf Gedichtschnipsel, angereichert durch biographische Porträts und Fotografien von erfrischender Lebendigkeit.
Nicht nur die Geburtstage noch lebender Literaturschaffender werden in der jeweiligen Woche gefeiert, das Gedenken gilt auch bereits Verstorbener und ihrer Schicksale. Wie dem schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer (»Überdrüssig aller, die mit Wörtern, Wörtern, aber keiner Sprache daherkommen«), der bei seiner Nobelpreisverleihung 2011 nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und verstummt war. Oder der jungen Helena Adler (»Die schwarze Erhabenheit ist immer hungrig. Sie besteht aus Wahnsinn, Abgrund und Kriegsüberresten«), die der Einladung zum Bachmann-Wettbewerb 2023 schon nicht mehr folgen konnte. Dass ihre Werke unvergessen bleiben, ist auch ein Verdienst dieses Kalenderklassikers.
Ganz dem Wasser – seinen Verlockungen, Reizen, Schönheiten, jedoch auch Gefahren – hat sich der mare Kulturkalender verschrieben. In opulenter Vielfalt präsentiert er auf jedem seiner 52 Blätter ein neues Arrangement aus Fotografien, historischen Postkarten, wissenschaftlichen Zeichnungen, Gemälden, Gedichten, Romanzitaten, Reisetagebüchern und maritimen Begebenheiten.
Begeistert tauchen wir ein in die Strömungen des literarischen Flusses. Fiebern mit Virginia Woolf der Fahrt zum Leuchtturm entgegen. Verbringen mit den Buddenbrooks Sommerferien an der See, »erfüllt vom Tanggeruch und dem Rauschen der sanften Brandung«. Um schließlich mit Walt Whitman Die Welt in der Tiefe des Meeres zu bestaunen: »Stumme Schwimmer dort bei den Felsen – Korallen, Schmarotzer, Gras, ein Gedränge…« Ein wundersamer Kosmos, verewigt auf voluminösem Papier, deren matte Oberfläche sich wie eine fein geschliffene Muschel anfühlt. Literaturaffine Segler, Schwimmer, Taucher werden begeistert sein – bibliophile Landgänger obendrein.
Ihr 250. Geburtstag wird zum willkommenen Anlass: wollte man nicht längst schon die legendären, psychologisch scharfsichtigen, jedoch lange verkannten Romane von Jane Austen (wieder)lesen? Dafür könnte man sich keinen passenderen Begleiter als Thorbeckes Jane Austen-Kalender vorstellen – wie ein Bonustrack mit ergänzenden Illustrationen, Erläuterungen und Hintergrundmaterial.
Jedes liebevoll gestaltete Kalenderblatt entführt uns in die längst vergangene Welt der Regency-Ära und ihre Konventionen. Verweist auf biographische Bezüge in und Zitate aus Jane Austens Werk (»Hüte dich vor Ohnmachtsanfällen, liebe Laura. Obwohl sie bei passender Gelegenheit durchaus erfrischend und wohltuend sind, zerrütten sie doch die Gesundheit, wenn man sie übertreibt und sich ihnen zur falschen Jahreszeit hingibt«), auf Inspirationsquellen und Schaffensprozesse. Stellt Figurenpersonal und Schauplätze vor, zeigt modische Must-Haves und angesagte Styles der Zeit. Unterlegt mit passenden Textpassagen und historischen Illustrationen aus frühen Buchausgaben und Bibliotheksbeständen. So inspirierend, dass man sich augenblicklich die Stola enger um die Schultern schlingen und im blauen Salon gepflegt zu Mansfield Park greifen mag.
Zwei Fragen treiben die treue Anhängerschaft von Kröners Gedichtekalender jedes Jahr aufs Neue um: Welche Farbschattierung wird wohl Deckblatt und Schrift zieren? Und welch literarische Auswahl haben die prominenten Patinnen und Paten (wie Matthias Politycki oder Wolfgang Niedecken) dieses Mal getroffen? Optisch ganz auf das Elementare reduziert, präsentiert sich dieser feine, elegante Wandschmuck als anregende Quelle für poetische Inspiration und Kontemplation. Jede Zeile aufs Blatt gebannt durch Hubert Klöpfers ausdrucksstarke Handschrift.
Ein samtenes Petrolgrün begleitet uns durch´s Jahr 2026 – verlockend, wie die Tiefen eines Bergsees. Darüber scheint im Februar der Vollmond von Else Lasker-Schüler (»Und hinter dem Mittag beugt sich/ Ein alter traumweißer Wind/ Und bläst die Sonne aus«), ziehen im März Georg Trakls Raben (»Über den schwarzen Winkel hasten, Am Mittag die Raben mit hartem Schrei«), gefolgt von Wolf Biermanns sommerlichen Ermutigungen und – Überraschung! – einem von ChatGPT generierten Gedicht. Bis die Verse Wilhelm Buschs das letzte Quartal einläuten: »Laßt uns lieben, singen, trinken / Und wir pfeifen auf die Zeit / Selbst ein leises Augenzwinkern / Zuckt durch alle Ewigkeit.« Wäre das nicht eine wunderbare Maxime für das kommende Jahr?
Titalangaben
Jean-Luc Bannalec: Die Bretagne des Kommissar Dupin
Köln: DuMont Kalenderverlag 2025
24 Euro
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Kulturkalender aus Baden und Württemberg 2026
Hrsg. von German Neundorfer
Freiburg: 8 grad verlag 2025
24 Euro
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Der Kinder Kalender 2026
Hrsg. von der Internationalen Jugendbibliothek
Frankfurt am Main: Moritz Verlag 2025
25 Euro
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Aufbau Literatur Kalender 2026
Hrsg. von Thomas Böhm und Catrin Polojachtof
Berlin: Aufbau Verlag 2025
24 Euro
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Mare Kulturkalender
Hrsg. von Nikolaus Gelpke
Hamburg: mareverlag 2025
24 Euro
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Thorbeckes Jane Austen-Kalender 2026
Ostfildern: Thorbecke Verlag 2025
24 Euro
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Kröners Gedichtekalender 2026
Handgeschrieben und hrsg. von Hubert Klöpfer
Stuttgart: Kröner Verlag 2025
28 Euro
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