///

Sut erzählt (3)

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sut erzählt (3)

Die Makah, jene südliche indigene Gemeinschaft, von der er erzähle, sagte Sut, lebten am Kap Flattery auf der Olympic-Halbinsel südlich der Juan de Fuca-Straße.

Nicht mehr in Kanada, fragte Harmat.

Das Kap Flattery sei Territorium der USA, sagte Mahorner.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Crockeye rückte näher an die Flammen.

Sanctus schlug Akkorde auf seiner Gitarre an.

Der Neah Bay-Vertrag von 1855 sichere den Makah die Fischereirechte, sagte Sut, sie könnten ihre traditionelle, in die Rhythmen der Natur integrierte Lebensweise fortsetzen, sie seien seit vielen Generationen mit den Meeresströmungen und ihren wechselnden Temperaturen vertraut, mit den Stürmen, mit den Laichzeiten der Lachse, sie würden die Plätze kennen, an denen sich Seehunde aufhielten, sie trieben Handel mit den Fellen, sie lebten eingebettet in die natürlichen Abläufe.

Unser Grauwal, unterbrach Pirelli, komme dort auf seinem langen Weg von der Beringsee zu den Lagunen der Baja California entlang.

Richtig, Pirelli, das sei der Teufelsfisch. Die Makah jagten ihn anders als wir, man werde sich wundern, sie lebten in einer anderen Welt.

Wie meine er das, in einer anderen Welt, fragte Thimbleman.

Geduld, Junge, nur Geduld. Die Makah lebten in fünf dörflichen Siedlungen mit jeweils einer oder mehreren Familien.

Ähnlich den Walstationen an den Küsten Südkaliforniens? Thimbleman wurde neugierig.

Nein, diese Orte könne er nicht mit Walstationen vergleichen, sagte Sut, und daß sie einen Wal zur Strecke brächten, geschehe nicht, um den Tran zu verkaufen, und nicht, um Geld zu verdienen, sondern sie deckten damit ihren eigenen Bedarf.

Was bedeute das, fragte Bildoon, daß sie ihren eigenen Bedarf deckten?

Sie erlegten nicht mehr, als sie bräuchten, sagte Pirelli.

Wir erlegten auch nicht mehr, als wir bräuchten, insistierte Bildoon.

Wer einen Wal erlege, nutze ihn für eigene Zwecke, erklärte Sut, ein Wal bedeute stets Nahrung für einige Wochen oder man teile mit einem benachbarten Stamm.

Sie würden verkaufen, sagte Bildoon.

Nein, sie verkauften nicht, sagte Sut, sie würden kein Geld kennen, sie trieben keinen Handel.

Sie kennen kein Geld? Bildoon überlegte. Dann mache es ja keinen Sinn, daß sie nach Gold grüben.

Richtig, sagte Sut lächelnd, niemand komme auf den Gedanken, nach Gold zu graben, die Erde sei ihnen heilig, und es liege ihnen fern, sie auszubeuten, ihre Schätze zu rauben.

Wer beute die Erde aus, fragte Bildoon, er verstehe es nicht.

Der Mensch beute die Erde aus, sagte Harmat, er plündere die Goldlager.

Er habe die Claims zuvor gekauft, sie gehörten ihm, protestierte Bildoon energisch, und das Gold, das er dort ausgrabe, gehöre ihm. Wer behaupte, das sei illegal?

Er verstehe das nicht, entgegnete Harmat.

Wie meine er das, ich verstünde das nicht, Bildoon richtete sich auf, er war ein Hitzkopf.

Ruhe, zischte Thimbleman.

Bildoon ballte die Fäuste.

Eldin warf den Streithälsen einen zornigen Blick zu.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vertreibung ins Paradies

Nächster Artikel

Drei Gedichte

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Faustrecht

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Faustrecht

Farb trug eine Schale mit Pflaumenschnitten auf, er hatte ein Blech gebacken, sie waren noch warm.

Annika warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.

Verteilungskämpfe, sagte Tilman, wir erleben Verteilungskämpfe, der Planet ist abgewirtschaftet, seine Ressourcen sind erschöpft, die Situation ist dramatisch.

Farb tat sich vom Kuchen auf, nahm von der Sahne, strich sie sorgfältig glatt und sah mißmutig zu, wie sie sogleich an den Rändern zerfloß.

Tilman rückte näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Auf Irrwegen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf Irrwegen

Wer finde sich noch zurecht, klagte Wette.

Es sei einfach zu viel, sagte Annika.

Ob man reduzieren müsse, fragte Farb.

Wo anfangen, fragte Annika.

Wette lachte. Bei sich selbst, sagte er, jeder bei sich selbst, das wäre doch möglich, man könnte Tempo reduzieren, eine Pause einlegen, die Intensität verringern.

Irreführend

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Irreführend

Sobald er sich hinlegt, lang auf dem Sofa ausgestreckt, fällt ihm erst auf, wie müde er ist, nicht ermattet mit einer Sehnsucht nach tiefem Schlaf, nein, auch nicht jene Art Müdigkeit, daß ihm die Augen zufallen würden und er übergangslos einschliefe, traumlos, nein, es sei eine empfundene Müdigkeit, und verwundert nehme er wahr, daß sie sich über seinen Körper ausbreite, anfangs im Brustkorb, dann greife sie nach dem Kopf, schließlich über Schultern und Hüfte bis zu Händen und Füßen.

Umblättern bitte!

Literatur | Literaturkalender 2019 Kalender sind uns Taktgeber und Maßband, Lebensplaner und Orientierungshilfe übers ganze Jahr hinweg. Garniert mit literarischen Appetithappen versüßen sie so manchen Tag, bieten neue Anregungen und überraschende Entdeckungen. Als Geschenk entfalten sie sogar eine ungeahnte Langzeitwirkung. INGEBORG JAISER stellt eine kleine Auswahl von lesens- und beachtenswerten Wegbegleitern vor.

Am Ende

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Am Ende

Zu guter Letzt wird alles einfach, sagte der Zwilling, wutsch!, und unsere Probleme sind vom Tisch.

Wie, unsere Probleme sind vom Tisch.

Vom Tisch. Weg. Nicht mehr da.

Sind gelöst?

Der Zwilling lachte.

Es gibt sie nicht mehr, verstehst du, sagte Crockeye.

Nein, sagte Bildoon, verstehe ich nicht.