Gut oder böse? – Adams Äpfel

Bühne | Theater marotte: Adams Äpfel

Religion, Moral, Resozialisierung, Alkoholsucht, Tränen, Schusswaffen – und Apfelkuchen. All das kommt in der zynisch, bissig-bösen schwarzen Komödie ›Adams Äpfel‹ im marotte Figurentheater beim Besuch dort zusammen. Sebastian Kreutz, der seit 2007 Dauergast bei der marotte und schon in zahlreichen Inszenierungen am Badischen Staatstheater zu sehen war, spielt mit Dynamik, pointiert und bissig, sodass das Publikum sich an manchen Stellen schier nicht vor Lachen einkriegt. Von JENNIFER WARZECHA

In einem dunklen Raum arrangiert ein Mann kleine menschliche Figuren auf einem beleuchteten TischSebastian Kreutz haucht den Figuren wie Adam Leben ein. Stellenweise gehen mehrere Figuren auch in die Kirche. Wie Kreutz nach Ende des Stückes sagte, bekommt Gott als dritte Macht und Instanz eine bedeutendere Rolle als im gleichnamigen dänischen Film von Anders Thomas Jensen. Doch nicht Heilige, sondern Verbrecher sind zum Beispiel Adam und Khalid. Adam ist der Neuzugang in Ivans Resozialisierungscamp. Ivan will aus Adam einen guten Menschen machen. Adam wehrt sich erfolgreich.

Wenn das Gute gegen das Böse, Moral gegen Verstand, kämpft, wer gewinnt dann am Ende? Das fragt man sich stellenweise. Ivan hat Adam jedenfalls immer im Visier. Ist Adam ein Neonazi und was soll das Hakenkreuz, das Sebastian Kreutz da plötzlich an die eingeblendete Kirchenwand malt? Er sehe nicht wie ein solcher Neonazi aus, meint eine andere Figur. Adam will Apfelkuchen backen. Der besagte Kuchen taucht immer wieder dann im Stück auf, wenn ein Spannungsmoment zur nächsten Szene überleitet. Lachen oder Weinen?, das ist jedes Mal die Frage. 

Böse

In der Kirche wiederum darf Adam nicht auf die Toilette gehen. Zynisch sagt der Pfarrer: »Du darfst gehen. Aber die Tür ist wegen des Gottesdienstes verschlossen.« Eine weitere Frage, die man sich als Besucherin oder Besucher stellen kann, ist: Ist das makaber, ist das übertrieben, unmoralisch oder »nur« böse?

Letzteres fragt man sich auch, als die Figur Sarah auftaucht, in gekrümmter Haltung, traurig. Sarah ist schwanger und hat die Warnung bekommen, ihr Kind könne zu 65 Prozent behindert sein. Ivan ermuntert sie, es zu behalten. Bei seiner Frau hieß es, dass das Kind zu 75 Prozent behindert sei. Sie solle an das Gute glauben und es tun. Das tut sie auch zunächst. Dann kommt Ivans Sohn im Rollstuhl auf die Bühne. Sarah ist geschockt, weil er ihr die Unwahrheit gesagt hat. Ivan hat quasi den Teufel im Bunde. Seine Frau hat sich umgebracht. Er hat seine Kinder missbraucht.
Vergangenheitsbewältigung

Immer wieder spielt der Nationalsozialismus im Stück eine Rolle. »Holgi« kommt, sagt »Sieg heil« und stößt nicht auf so arg viel Verständnis.
Amseln werden vom Opa umgebracht, weil sie zuhauf morgens und abends den Baum bevölkern. Paul, der nach Andeutungen im KZ als Leiter gearbeitet und die Juden umgebracht hat, verspürt Reue und sagt, wie schrecklich es war, die Menschen so zu behandeln und umzubringen. An Schuldgefühlen geht er dann auch zugrunde.

Beliebt beim Publikum

Nach 80 Minuten Spielzeit lässt der tosende Applaus den Schluss zu, dass das Publikum Jakob Kreutz am liebsten gar nicht mehr gehen lassen will. Er lädt zum abschließenden Gespräch mit dem Publikum ein, was im Theaterhaus Karlsruhe Brauch ist. Auch die Puppen, die von Bühnenbildner Matthias Hänsel nur fragmentarisch ausgeformt sind, kann man anfassen. Aus welchem Material sie sind, verrate der Bühnenbildner nicht, sagt Kreutz. Er hingegen sagt, dass er trotz Schimpfworten im Stück bzw. manchem im Stück, das man, wenn man politisch korrekt sein wolle, nicht mehr so sagen dürfe, durchgängig positive Rückmeldungen zu seinem Spiel des Stückes erhalten habe. Auch an diesem Abend sind viele jüngere und jung gebliebene Erwachsene dabei, denen »Adams Äpfel« sichtlich zusagt. Auf jeden Fall lädt das Stück dazu ein, es sich anzusehen. Auch der Film des dänischen Regisseurs Thomas Jensen mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle ist sehenswert und auf DVD erhältlich.

| JENNIFER WARZECHA

Besetzung
Spiel: Sebastian Kreutz
Bühne und Figuren: Matthias Hänsel
Regie: Friederike Krahl
Spieldauer: 80 Min. ohne Pause

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Geschichte im Spiel: Wie digitale Regeln unsere Vergangenheit formen

Nächster Artikel

»Lilli + Frau P. Haushalt. – Ich döse + murxe.«

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Mamma Mia!

Bühne | Show: Thank you for the Music Auffallende Kostüme waren nur eines der Markenzeichen ABBAs. Heute, 46 Jahre nach dem Überraschungserfolg ›Waterloo‹ beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, seit 2002 Eurovision Song Contest genannt, begeistert ihre Musik nach wie vor viele Generationen. Und das, obwohl sie seit 11. Dezember 1982 nicht mehr auftraten. ANNA NOAH lässt sich mitnehmen, auf eine Reise in die Vergangenheit.

Liebe bis über alle Grenzen hinweg?

Bühne | ›Love hurts/!לא לשכוח – לאהוב‹ – ein deutsch-israelisches Dokumentarstück (Badisches Staatstheater Karlsruhe) Dass Liebe und Beziehungen zwischen Mann und Frau keine leichte Angelegenheit sind, davon erzählen Klassiker der Weltliteratur und das Leben selbst. Daraus schöpfen Filmemacher ihre Stoffe – und nicht nur diese: Auch im Badischen Staatstheater ging es um die Liebe, um die Art, die schmerzt, wie es schon der Titel ›Love hurts‹ verrät. Doch das beeindruckende und überraschende Resumée des deutsch-israelischen Dokumentarstücks von Avishai Milstein (Koproduktion mit dem Teatron Beit Lessin, Tel Aviv) ist ein anderes: Die deutsche Schuld gibt es nicht. Von JENNIFER WARZECHA

Die Welt als Tollhaus

Bühne | Friedrich Dürrenmatts ›Die Physiker‹ – Volkstheater Wien Elias Perrig inszeniert Dürrenmatts ›Physiker‹ am Volkstheater. Ein alles in allem missglückter Versuch, dem Meister der Katastrophe mit humoristischem Vorpostengeplänkel beizukommen – findet ALBERT EIBL

Leibhaftiger Wahnsinn

Bühne | Shakespeares Richard III. im Stadttheater Pforzheim Es ist kein Stück wie jedes andere und noch dazu sehr selbst-reflexiv – William Shakespeares (1564 – 1616) ›Richard III‹ (in dieser Fassung als Stückprojekt nach der gleichnamigen Tragödie von Shakespeare, in Deutsch von Thomas Brasch) erobert das Podium und die Zuschauer des Stadttheaters Pforzheim. JENNIFER WARZECHA war dabei.

Eine Welt voller Träume

Bühne | Show: Simply the Best »Simply the Best« verspricht eine Zeitreise durch fünf Jahrzehnte Musikgeschichte einer Rock-Ikone. Genau zehn Jahre ist es her, dass dieses Energiebündel zuletzt auf Tournee ging. Seit ihrem Rücktritt aus dem Musikgeschäft lebt sie in der Schweiz, im November wird sie 80 Jahre alt. Doch … Wie ist Anna Mae Bullock zu der Person geworden, die heute fast jeder als Tina Turner kennt? ANNA NOAH war in der erfolgreichen Dokumentation einer Ausnahmekünstlerin.