//

Ein Serienkiller macht Geschenke

Roman | M. W. Craven: Der Kurator

Dass die Polizei Weihnachtsgeschenke bekommt, ist selten. Wenn es sich dabei aber um abgetrennte Finger handelt, die ein Serienkiller zusammen mit einer kryptischen Nachricht an drei öffentlichen Orten ablegt, ist das ein Fall für Washington Poe und Tilly Bradshaw. Die beiden haben gerade einen mordenden Sternekoch zur Strecke gebracht – nachzulesen in M. W. Cravens Der Gourmet (2025) –, da müsssen sie schon wieder ran. Und leichter wird es auch diesmal nicht, als eine vom Dienst suspendierte FBI-Agentin sie auf eine gefährliche Spur bringt. Von DIETMAR JACOBSEN

Sie sind ein Dream-Team: Washington Poe und Tilly Bradshaw. Aber so etwas wie ihren aktuellen Fall haben auch die beiden Experten der SCAS (Serious Crime Analysis Section der britischen National Crime Agency), die bei der Aufklärung von scheinbar grundlosen Morden und Taten von Serienkillern von örtlichen Polizeiorganen im gesamten Königreich hinzugezogen werden können, noch nicht erlebt. Denn an drei Orten rund um die nordwestenglische Stadt Carlisle sind just zur Weihnachtszeit je zwei abgetrennte Finger gefunden worden.

Dazu hat der Täter die kryptische Nachricht »#BSC6« hinterlassen. Eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Frauen und dem Mann, denen die Finger gehörten, gibt der erste Blick auf die Opfer nicht her. Nur eines wurde von der genialen Pathologin Estelle Doyle, deren forensischer Sachverstand Poe schon einigen Serienmördern auf die Spur geholfen ist, bestätigt: Die Besitzer der Finger leben nicht mehr. Und ob mit ihrem Tod eine Serie von Tötungsverbrechen endet oder der Horror gerade erst beginnt, kann niemand wirklich wissen.

Perverse Fingerspiele

Da Weihnachten weder für Poe noch für die im sozialen Miteinander mehr als gewöhnungsbedürftige Matilda »Tilly« Bradshaw familiäre Verpflichtungen mit sich bringt, machen sich die beiden gemeinsam mit ihrer schwangeren Chefin Stephanie Flynn auf nach Cumbria, dem »Sibirien des UK«, um ihre Expertise in den Dienst der mit der Aufklärung der Mordserie beschäftigten Cumbria Constabulary in Penrith zu stellen. Der den beiden vorauseilende exzellente Ruf – zuletzt hat man gemeinsam einen mordenden Sternekoch zur Strecke gebracht – nützt ihnen freilich erst einmal wenig. Denn akribische Kleinarbeit ist gefragt bei einem Täter, der sich seine Opfer scheinbar wahllos herausgreift und bei der Platzierung seiner makabren »Weihnachtsgeschenke« in der Öffentlichkeit äußerst abgebrüht vorgeht.

Mit Der Kurator hat sein deutscher Verlag jetzt den dritten Band der mit zahlreichen Preisen bedachten Bestseller-Reihe des 1968 in Carlisle geborenen Mike W. Craven um seine beiden Protagonisten Washington Poe und Tilly Bradshaw veröffentlicht. Bevor er das Schreiben für sich entdeckte, war Craven mehr als zehn Jahre in der britischen Armee tätig, studierte anschließend Sozialpädagogik und arbeitete danach knapp anderthalb Jahrzehnte als Bewährungshelfer in Cumbria. 2015 erschienen dann erste Kurzgeschichten von dem damals 47-Jährigen, ab 2018 die bis heute sieben Teile umfassende Poe-Bradshaw-Serie – auf Deutsch bisher leider nicht ganz in der Reihenfolge der Originalbände.

Instinkt und Wissenschaft

Während sich Tilly darum sorgt, ob ihr um einiges älterer Freund und Kollege auch genügend Obst zu sich nimmt und die Finger von allzu fettiger Nahrung lässt, und Poe darum bemüht ist, die sozialen Fauxpas Tillys so gut wie möglich auszubügeln, scheint es in der Mördersuche erst einmal nicht wie gewünscht voranzugehen. Nur eines ist von Beginn an klar: Man hat es bei dem Täter mit einem äußerst gefährlichen Psychopathen zu tun, den fair zu bekämpfen einen großen Fehler darstellen würde, wie Estelle Doyle, die Pathologin mit dem offensichtlichen Faible für den Ermittler und dessen intuitive Methoden, nicht müde wird zu betonen.

Bis Poe dem Mann aber tatsächlich gegenübersteht und wieder einmal um sein Leben und das anderer Menschen aus seinem Umkreis kämpfen muss, bekommen es die Ermittler nicht nur mit einem mörderischen Spiel aus dem Darknet zu tun. Es braucht außerdem noch die wertvollen Hinweise einer bei ihren Bossen in Ungnade gefallenen FBI-Agentin, die das Interesse der britischen Sondereinheit auf jenen Mann lenken, der in seinen sinistren Kreisen als »der Kurator« bekannt ist.

Wer ist der Kurator?

Cravens dritter Teil seiner Aufsehen erregenden Reihe von Kriminalromanen hat alles, was ein Pageturner braucht: eine brutale Mordserie, zahllose Spuren, von denen letztlich nur eine zum Täter führen kann, ein sympathisches Ermittlerpaar, zu dem diesmal noch die ebenso hochschwangere wie jeglicher Gefahr unerschrocken ins Auge blickende Chefin der beiden, Stephanie Flynn, stößt, die raue Landschaft der nordwestenglischen Küstenregion, in der Washington Poe gelernt hat zu leben – nicht aber seine hochintelligente junge Partnerin – und eine ganze Reihe von erstaunlichen Wendungen, die bis in die letzten der 90 Kapitel hinein für nicht abreißende Spannung sorgen. Aus England kommt momentan fast nichts Besseres.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
M. W. Craven: Der Kurator
Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger
München: Droemer Verlag 2025
459 Seiten. 16,99 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr zu M. W. Craven in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Noch ein Fest …

Nächster Artikel

Sprachhürdenlauf mit Silbensalat

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Vier Folgen à neunzig Minuten

Film | Serie | Im TV: Das Verschwinden am 22., 29., 30., 31. (ARD) Der Schluss kommt hammerhart. War das ein Krimi? Schon, gewiss, ja, doch das interessiert weniger. Und nein, eine Schusswaffe taucht nirgendwo auf. Eine vierteilige Serie, jeder Teil hype-mäßig als Doppelfolge angekündigt, also voll das Gewese. Und? Lohnt sich’s? Ja, das würde WOLF SENFF so sagen, doch, unbedingt.

Waffen, Warlords, Defense Robotics

Film | Im TV: TATORT 909 – Kaltstart (NDR), 27. April Eine Vorgruppe tritt auf und stimmt’s Publikum auf den Auftritt vom Dreamteam ein, so nähme der skeptische Blick die ersten Minuten wahr – ach diese Eröffnung hat trotz aller Dramatik etwas Pomadiges, war das wirklich nötig, die Zufälle sind arg durchsichtig drehbuchgesteuert. »Zwei tote Kollegen und der Chef schwer verletzt«, darauf läuft’s hinaus. Von WOLF SENFF

Von Müllfahrern und Nadelstreifen

TATORT 912 Alle meine Jungs (RB), 18. Mai In Bremen sucht man den Clanstrukturen auf den Grund zu kommen, das ist verdienstvoll, vor Kurzem hatten wir einen türkischen Familienclan, diesmal, jenseits allen Rassismusverdachts, ist’s eine Abteilung bei den Müllfahrern. Einer wie der andere sind sie Ex-Knackis, alle wohnen in derselben Straße, welch ein Zufall, eine nachbarschaftliche Gemeinschaft gewissermaßen, wie schön, da hat man, klar, gemeinsame Interessen, das schweißt zusammen und niemand wird alleingelassen. Von WOLF SENFF (Foto WDR/J.Landsberg)

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Intrigen im Dreikaiserjahr

Roman | Axel Simon: Eisenblut

Historische Kriminalromane zählen in letzter Zeit zu den auffälligsten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen Thrillermarkt. Volker Kutscher, Susanne Goga, Kerstin Ehmer, Alex Beer, Angelika Felenda und neuerdings auch Dirk Kurbjuweit – sie alle haben sich die Goldenen Zwanziger als Hintergrund für ihre Romane ausgesucht. Nun geht Axel Simon noch ein paar Jahrzehnte weiter zurück. Eisenblut spielt im Dreikaiserjahr 1888 in Berlin. Und obwohl es bis zum nächsten großen europäischen Konflikt noch ein gutes Vierteljahrhundert hin ist, stößt der aus einer ostpreußischen Grundbesitzerfamilie stammende Gabriel Landow, der eine kleine Detektivagentur in Berlin betreibt, bei seinen Recherchen in drei Mordfällen auf eine Verschwörung jener Kräfte, für die Krieg selbst dann noch ein höchst profitables Geschäft darstellt, wenn man sich gerade mitten im Frieden befindet. Von DIETMAR JACOBSEN