Tauchfahrt in maritimen Tiefseemetaphern

Lyrik | Crauss: Schönheit des Wassers

Ein neuer Gedichtband von CRAUSS mit dem Titel Schönheit des Wassers ist im Berliner Verlagshaus J. Frank erschienen. Der Autor entführt in seinen 66 »pseudoromantischen kalligraphien« in bunte Wasserwelten – überall Glitzern, Blinken, Schimmern, über und unter Wasser. Das Wasser zieht magisch an, es geht stromab-, stromaufwärts und blickt in ferne Unterwasserwelten. HUBERT HOLZMANN unternimmt mit der Tauchgondel einen Versuch, in die Tiefen der CRAUSS’schen Lyrik vorzudringen.

Crauss: Schönheit des Wassers
Gleich in den ersten Texten von Schönheit des Wassers wirft CRAUSS, Jahrgang 1971 und Dozent für Rhetorik und Kreatives Schreiben an der Universität Siegen, seinen kulturgeschichtlichen Anker aus: »Opheliate« nennt er diese erste Abteilung seiner Gedichte und Ophelia oder ihr Schatten ist es auch, die hier wie in John Everett Millais’ Gemälde Ophelia floral umhüllt als Wasserleiche auf dem Wasser treibt: »gefürchtetes wasser: die alten stehen / bereit im korrodierenden bild. firnis; / vedute. ein wehr ophelischen sehnens.«

CRAUSS imaginiert mit schnell skizzierten Strichen »Strandung«, »Trance«, »Traum« – so sind seine Gedichte untertitelt – und auch das Bild der Shakespeareschen Jungfer, die von Hamlet in den Wahnsinn getrieben wird und ertrinkt. Der Autor erträumt die fantastische Welt, ihre Aura, ihre Geheimnisse, die »opheliate«. Er malt die Landschaft, Flora und Fluss, leuchtet Einzelheiten der Umgebung kunstvoll aus: »es ist, als schäume der tag« und idealisiert: »blühende gest und flutende lust«. Die Leiche »lichtloses weiss«, »traum und reflex«, inszeniert wie das Bild von Lars von Triers Film-»Toten« in Melancholia (2011), erträumt Untergangsfantasien, Auslöschung und taucht ab in andere Welten, als Passage über den Fluss ins Totenreich.

Sprachlich verdichtet CRAUSS seine Lyrik in einer starken Klanglichkeit und Musikalität: Konsonantenreibungen mischen sich im daktylischen Versmaß: »der fluss ist verschwiegen. kein stein, / kein frostiges gurgeln; die mädchen / sterben woanders, hier ruhen sie…« Einzelne Gedanken nur angedeutet, aneinander gereiht. Kurz angestoßen, mit unmerklicher klassischer Assonanz. Mit Hölderlin wagt auch CRAUSS den Schritt »ins offene«. Seine Bilderwelt schafft die Vorderbühne für die »opheliaten« Traumwelt: »wie aber / gelangen ans andere ufer, wenn / das diesseitige traum ist und tod / der fluss, den es gilt zu passieren!«

In seinen Texten erdichtet und wiederholt CRAUSS August Platens Erfahrung von Ästhetik: »Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!« CRAUSS »Gestade«, »Akte«, »Veduten«, »Sphären« und »Kähne« sind Momente der Vergänglichkeit, kurze Eindrücke. Manchmal auch Zitate aus dem realen Leben, Bilder von Touristen am Strand, Promenadeneindrücke. Treibgutstücke, Muschelfunde oder auch Gedanken über moderne Machomänner, von weiblichen Wunschbildern, auftauchenden Aphroditen: »MODERNES IKON: eine frau freut sich am schäumenden wasser, / … sondern es sagt: temperament / volles begehren der herrschaft über die wellen.«

Die artifiziell gesetzten Texte von Schönheit des Wassers besitzen alle eine maritime und zumindest »HzweiO-getränkte«, glänzende und farbige Bildersprache. CRAUSS’ »Gestade« »schimmern« wie schon die Jahrhundertwenden-Gedichte von Stefan George im »Jahr der Seele« im »wolkigen meerschaum«, »kumulonimb« und in den »schaumbänken« von Wasser und Wellen. Er bemüht Georges »Der reinen wolken unverhofftes blau«, George-Assoziation auch im Drucksatz, der Kleinschreibung bei CRAUSS.

Nicht alle Gedichte von CRAUSS lassen sich durch schnelles Lesen erschließen. Nicht immer hilft die starke Bildlichkeit seiner Sprache. Manche der Gedichte sind verschlossen wie Schalentiere. Doch auch der Kenner genießt Muscheln, Austern. Er besitzt jedoch das nötige Werkzeug, verwendet hilfreiches Besteck um nicht im Trüben zu fischen. CRAUSS’ Schönheit des Wassers enthält zahlreiche Geheimnisse und Rätsel – ein Lyrikband für meereshungrige Leser.

| Hubert Holzmann

Titelangaben:
CRAUSS. schönheit des wassers. 66 pseudoromantische kalligraphien
Berlin: Verlagshaus J. Frank 2013
80 Seiten. 13,90 Euro
Quartheft 46

Hörprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Licht im Dachfenster

Nächster Artikel

Jungenphantasien in einem erwachsen gewordenen Medium

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Zu Besuch

Lite Ratur | Wolf Senff: Zu Besuch Paul misstraute äußerlichen Abläufen, einer davon war eingeteilte Arbeit, er sträubte sich gegen Vorschriften jeglicher Art, er hatte nie eine Armbanduhr getragen, als man noch Armbanduhren trug. Er hätte als Versager gelten können, doch bei ihm war kein Gedanke daran. Tim hatte ihm die Fahrkarte zugeschickt, das war nun einmal Tim, er erwarte ihn gegen Mittag, sie kamen gut miteinander aus, mehr konnte niemand wünschen.

Liebende mit Promotion

Textfeld | Martin Jürgens:Liebende mit Promotion DEUTSCHLÄNDERIN UND DEUTSCHLÄNDER 1 Sie lieben beide Aznavour, Den frühen Peter Stein Und heute? Immer noch Die Pina Bausch und „In the Mood for Love“. “Zum Weinen schön.” Er nickt. Soviel Konsens Am ersten Abend schon, Nach einer Flasche Chateauneuf.

Allianz von Wort und Wahrheit

Menschen | Karl Krolow zum 100. Geburtstag Vor 100 Jahren (am 11. März) wurde Georg-Büchner-Preisträger Karl Krolow geboren. PETER MOHR über Leben und Werk des herausragenden Lyrikers.

Vier Gedichte

TITEL-Textfeld | Martin Jürgens: Vier Gedichte Beauty-Case DEUTSCHLÄNDERIN I                                Ka-heienz, ich                                bin da drüben, ja? Und lacht. Es zieht Im airport Malaga Ein beautycase in Richtung duty–free, Zwei goldne Riemchen Um die Knöchel.

Den Worten verfallen

Lyrik | Peter Engel: Den Worten verfallen

Schon am Morgen der starke Rausch,
wenn die Einfälle kommen
beim Erwachen und mich erste
Worte hin zum Schreibtisch ziehn,
wenn sie mich nötigen,
ihnen genug zu tun auf dem Blatt.