/

Die Amerikaner kommen

Roman | Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty

Ganz London ist in Aufruhr – von der Unterwelt bis zum Oberhaus. Offenbar hat ein Mann namens Clarence Devereux den Tod von Professor Moriarty in den Reichenbachfällen genutzt, um sich an die Spitze der Verbrecherwelt der Themsestadt zu setzen. Devereux kommt aus New York und einer, der ihn im Auftrag der Pinkerton-Agentur von dort nach Europa gefolgt ist, weiß, was das bedeutet: »Der amerikanische Kriminelle hat kein Urteilsvermögen und keinen Sinn für Loyalität.« Wahrscheinlich mordet er sogar in der heiligen Stunde des Five’o’Clock-Teas – eine ganz neue Qualität von Verbrechen sucht die britische Metropole heim! Also bietet der Pinkerton-Mann Frederick Chase den Inspektoren von Scotland Yard seine Hilfe an. Denn irgendwie muss man dieser neuen Herausforderung ja begegnen. DIETMAR JACOBSEN hat den neuen Roman Der Fall Moriarty von Anthony Howowitz gelesen.

MoriartyEs ist eine der witzigsten Szenen des neuen Romans von Anthony Horowitz: In einem Versammlungsraum des New Scotland Yard sitzt ein Dutzend Inspektoren beisammen und versucht, sich gegenseitig Mut zu machen bei der Verbrechensbekämpfung im Jahre Eins nach Sherlock Holmes. Hat man mit dessen Hilfe gerade erst die Moriarty-Bande hinter Schloss und Riegel bekommen und scheint der Professor selbst im Zweikampf mit dem Meisterdetektiv aus der Baker Street an den Reichenbachfällen das Zeitliche gesegnet zu haben, stehen nun Herausforderungen an, bei denen Holmes weiterhin dringend gebraucht würde, aber eben nicht mehr zur Verfügung steht. Auf John Watson, so die einhellige Meinung, kann man gut verzichten. Auf Holmes hingegen, auch wenn man »seine Methoden immer schon fragwürdig« fand, nicht.

Doch zum Glück gibt es da ja einen, der in Sherlocks Schule gegangen ist, eifrig dessen Bücher studiert hat und im Deduzieren fast schon an den verehrten Meister heranreicht: Inspector Athelney Jones. Der amerikanische Pinkerton-Detektiv Frederick Chase lernt den Mann, von dem Holmes-Chronist Watson nicht allzu viel hielt, im schweizerischen Meiringen kennen, wo man gemeinsam vor der Leiche Moriartys steht und nach Beweismitteln für eine Verbindung des Königs der Londoner Unterwelt zu dem New Yorker Gangsterboss Devereux sucht. Man schreibt das Jahr 1891 und das Verbrechen beginnt sich langsam zu internationalisieren.

Ein transatlantisches Bündnis gegen das Verbrechen

Der Fall Moriarty ist der dritte Roman, in dem Bestsellerautor Anthony Horowitz – als Erfinder des jugendlichen Detektivs Alex Rider und der so unterschiedlichen wie erfolgreichen Diamond Brothers Tim und Nick literarisch erfolgreich hervorgetreten – die guten alten Zeiten des klassischen Whodunit wieder aufleben lässt. Schauplätze, Figuren, Schreibstil – alles wie bei Arthur Conan Doyle (1859 – 1930) und gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf dessen Erzählwerk.

Allein der Gegner, dem sich das transatlantische Kriminalistenpärchen Chase/ Jones gegenübersieht, ist von anderem Kaliber, als Doyle-Leser das von den Abenteuern des Meisterdetektivs Holmes und seines Biografen Watson gewöhnt sind. Da wird die Bewohnerschaft eines ganzen Hauses – vom Hausherrn, einem dubiosen Gehilfen des gefürchteten Devereux, bis zum minderjährigen Küchenjungen – eiskalt in einer Nacht abgeschlachtet. Mitten im gerade errichteten Gebäude des New Scotland Yard geht eine Bombe hoch und schließlich führt die Spur der Verbrecher gar noch in die amerikanische Botschaft, was diplomatisch einiges durcheinanderbringt.

Alles ganz anders

Handeln tut also not. Und Chase und Jones bilden ein Team, das seinem gefährlichen Gegner mindestens ebenbürtig zu sein scheint. Hat der unter Agoraphobie – der Angst vor öffentlichen Plätzen – leidende und deshalb auf geschlossene Räume angewiesene Devereux gegen die beiden sich in Scharfsinn und Mut ergänzenden Männer eine Chance? Zumindest zwingt er sie noch in mehrere blutige Scharmützel. Auf Friedhöfen und in unterirdischen Schlachthöfen geht es dabei richtig rund und auch die Familie des Scotland-Yard-Beamten Jones muss einiges von dem heimtückischen Amerikaner und dessen skrupelloser Gefolgschaft einstecken.

Dann aber triumphieren endlich die Guten. Oder doch nicht? Denn Horowitz tischt seinem Leser eine wirklich umwerfende Pointe auf. Eine Wendung, die auch dafür sorgen könnte, dass es weitergeht mit der kleinen, aber feinen Romanreihe. Wir hätten wirklich nichts dagegen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben:
Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty
Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff
Berlin: Insel Verlag 2014
341 Seiten. 19,95 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Erzähler und Zuhörer

Nächster Artikel

Es war einmal in Amerika

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Vierundachtzig plus vier

Film | Im TV: ›TATORT‹ Schwerelos (WDR), 3. Mai   Wie machen sie das, sofort ist man drin und dabei handelt es sich doch lediglich um die üblichen routinemäßigen Anrufe, das Klingelgeräusch langweilt sonst nur, wie kriegen sie das gebacken. Ach und die Suche nach dem Fallschirm in der stillgelegten Grubenanlage, der Blick aus dieser Höhe macht schwindeln, so liebevoll sind sie um uns bemüht. Von WOLF SENFF

Weder Sozialkunde noch sonst welche Brille

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Deckname Kidon (ORF), 4. Januar 2015 Herr Dr. Bansari fällt auf einen Mercedes, neunziger Jahre, neunhunderttausend Kilometer gelaufen, und löst massive Verwicklungen aus. Wer steckt dahinter? Ist’s eine Spezialeinheit des Mossad? Wir schätzen den ›TATORT‹ aus Wien, der uns die bedrohlich weite Welt aufblättert. Von WOLF SENFF

Am unteren Ende der Fahnenstange

Film | Im TV: TATORT – 903 Kopfgeld (NDR), 9. März Na toll. Wir kennen keine Kompromisse. »Du hast drei meiner Leute getötet. Und meinen Bruder zum Krüppel geschossen.« – »Hinsetzen. Klappe halten … Schnauze. [Kommissar stößt den Kopf des Vorredners mehrfach brutal auf die Tischplatte.] Ich wollte das nur klarstellen … Ist nichts passiert, er ist nur hingefallen.« Das ist der allerneueste O-Ton beim TATORT, kein Erbarmen mit nix, Steinzeit relaunched. Von WOLF SENFF