///

Malen kann das Frauenzimmer!

Menschen | Adrienne Braun: Künstlerin, Rebellin, Pionierin

Luise Duttenhofer, Emmy Schoch oder Gerta Taro: Künstlerin, Rebellin, Pionierin waren sie alle, eine jede in ihrem Ressort und zu ihrer Zeit. Grund genug, diese und über ein Dutzend weitere herausragende Frauen-Biographien aus Baden-Württemberg (wieder) zu entdecken. Die Stuttgarter Kulturjournalistin Adrienne Braun hat dazu eine Auswahl von überaus geistreichen und anregenden Porträts verfasst. Von INGEBORG JAISER

Adrienne Braun Künstlerin, Rebellin, Pionierin»Der Schiller und der Hegel, der Uhland und der Hauff, die sind bei uns die Regel, die fallen gar nicht auf«, weiß in Württemberg sprichwörtlich schon jedes Kind. Die Kenntnis von Daimler, Benz und Bosch erreicht gar Internationalität. Doch wie steht es um die genialen Landestöchter, die unerschrockenen, selbstbewussten, kreativen Frauen, die nicht nur für ihre Zeit prägend waren, sondern mit ihrer Schaffenskraft und ihrer Persönlichkeit Herausragendes erreicht haben, das bis in die Gegenwart ausstrahlt?

Nicht nur Fälteln und Feinbügeln

Die Stuttgarter Journalistin und Kolumnistin Adrienne Braun hat in Archiven und Bibliotheken recherchiert, unzählige Quellen und historische Dokumente gesichtet und aus der Fülle besonderer Lebensläufe 20 außergewöhnliche Frauen aus Baden-Württemberg herausgefiltert. In ›Künstlerin, Rebellin, Pionierin‹ präsentiert sie bewundernswerte weibliche Werdegänge aus sechs Jahrhunderten, mit breit gefächerten Wirkungsspektren zwischen Wirtschaft, Sport und Malerei, verortet zwischen Mannheim und Konstanz, zwischen Karlsruhe und der Ostalb. Es zeigen sich Frauen mit den unterschiedlichsten Gaben und Talenten – kombiniert mit Mut, Witz und Kreativität – denen allesamt eines gemein war: »Sie reizten ihre Möglichkeiten aus, so gut es ging«, auch wenn sie sich in ausgewiesenen Männerdomänen bewegten. Da war es unter Umständen schon von Vorteil, nicht nur Ahnung vom Fälteln und Feinbügeln, sondern auch von Politik und Philosophie zu haben.

Frühe Markenbotschafterin

Die Strahlkraft bedeutender Frauen – wie Bertha Benz oder Margarethe Steiff – ist durchaus noch in der Gegenwart präsent. Doch viele außergewöhnliche Biographien sind schlichtweg in Vergessenheit geraten. Wer kennt schon die Ulmer Wunderheilerin Agatha Streicher (1520-1581), die niemals Medizin studiert hat, aber sogar den Kaiser Maximilian II behandeln durfte? Wer weiß um das ehrgeizige Wirken von Karoline Kaulla (1739-1809), die selbstbewusst die Nachfolge des hingerichteten Hoffaktors Joseph Süß Oppenheimers antrat? Manche Lebensläufe erscheinen rückwirkend gar in neuem Licht. Dass die aus einfachen Verhältnissen stammende Fotografin Gerta Pohorylle sich als Gerta Taro neu erfand und den einst unbekannten Ungarn Endre Ernö Friedmann zum (unter diesem Namen legendär gewordenen) Robert Capa stilisierte, machte sie geradezu zur Markenerfinderin und -botschafterin. Und die Empfehlung der kreativen Kochbuchautorin Friederike Luise Löffler, Zwiebelschalen zum Färben von Ostereiern zu verwenden, findet man heutzutage in jedem Landlust-Magazin wieder.

Die Kulturjournalistin Adrienne Braun, die bereits mit Mittendrin und außen vor den stillen Ecken ihrer Heimatstadt Stuttgart ein Denkmal gesetzt hat, porträtiert hier 20 herausragende Frauen aus Baden-Württemberg mit der gleichen Liebe zum Detail und dennoch nicht ausschweifend: Nur jeweils fünf bis sechs Seiten umfassen ihre Miniaturen und pressen doch lebenspralle, ereignisreiche Biographien in pointiert geschilderte Vitae. Diese Länge ist optimal für inspirierende Gute-Nacht-Geschichten im Bett oder zur kurzen Lektüre unterwegs oder auf Reisen. Neugierig geworden? Alle (Hobby-)Historiker und Wissensdurstige werden sich über das solide Quellenverzeichnis und die sparsam, aber wirkungsvoll gesetzten Zitate freuen. Denn das Ländle hat weitaus mehr zu bieten als den Schiller und den Hegel.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Adrienne Braun: Künstlerin, Rebellin, Pionierin. 20 außergewöhnliche Frauen aus Baden-Württemberg
Konstanz: Südverlag, 2016.
157 Seiten, 18,00 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Liebe, der Reihe nach

Nächster Artikel

Only House Remains: May New Singles Reviewed

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Verdeckte Kriegführung der CIA

Gesellschaft | Alfred McCoy: Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Drogenhandel In den vergangenen Jahren wurden diverse Untersuchungen publiziert, durch die unser Geschichtsbild zurechtgerückt wurde. Woran das liegen mag? Die Machtkonstellationen auf dem Planeten verschieben sich, und Prozesse, denen zuvor wenig Beachtung geschenkt wurde, zeigen sich in neuem Licht. Der rezensierte Band erschien – nach Versuchen der CIA, Einfluss auf das Manuskript zu nehmen – 1972 in den USA, löste dort einen Skandal aus und wird nun nach 2003 erneut in deutscher Übersetzung vorgelegt. Von WOLF SENFF

»Numerokratie«

Gesellschaft | Roberto Simanowski: Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien   Diesen kleinen, feinen Essay in der Reihe ›Fröhliche Wissenschaft‹ herauszugeben, ist eine amüsante Geste. Roberto Simanowski lehrt ›Digital Media Studies‹ an der City University Hong Kong. Die Ferne ist ein schöner Ort/ doch wenn ich da bin, ist sie fort. Von WOLF SENFF

Realityshow Russland

Gesellschaft | Peter Pomerantsev: Nichts ist wahr und alles ist möglich. Wer als TV-Journalist von London nach Moskau kommt, den erwartet ein Medienzirkus, der wenig mit westlichen Werten wie der Pressefreiheit gemein hat. Unterhaltsam und positiv müssen die Geschichten sein, das ist die Hauptsache. Peter Pomerantsev, der Mann, den es in die Hauptstadt Russlands zog, hat neun Jahre lang nach ihnen gesucht, dabei viel gesehen und erlebt – von besonders schönen Erlebnissen berichtet er allerdings selten. Von STEFFEN FRIESE

Visionäre Internetromantik

Gesellschaft | A. Pschera: Das Internet der Tiere | N. Heißmann: Das geheime Wissen der Tiere Klar, es gibt diesen Typus Mensch. Wenn es ihm besonders schlecht geht, setzt er seine letzte Hoffnung auf den Lottogewinn. Was da real abläuft? Wir nennen das Vogel-Strauß-Politik. Oder hat er etwa eine Vision? Aber mal eines nach dem anderen. Von WOLF SENFF

Selbstliebe wird überbewertet

Gesellschaft| Wilhelm Schmid: Selbstfreundschaft Wie kann der Mensch selbstbewusst auftreten und zu sich stehen, ohne in Narzissmus zu verfallen? Zehn Schritte zur Selbstfreundschaft und auf diese Weise »das schönste Leben zu führen«. Von MONA KAMPE