Gesellschaft | Werner Bartens: Verletzt, verkorkst, verheizt
Die körperliche Leistung genießt bei uns eine deutlich höhere gesellschaftliche Wertschätzung als die geistige, der Sport siegt locker über die Bildung, so ist es nun einmal, wie auch immer man dazu stehen mag. Fitnesstraining steht bei allen Altersstufen hoch im Kurs, der Erhalt der körperlichen Gesundheit ist wichtig, man fährt mit dem Rad, man läuft Marathon. Von WOLF SENFF
Das Training der Großen ist oft hart. Wer es nicht weiß – der innere Schweinehund stand schon bei den Nazis und ihrer SS hoch im Kurs. Auch deren Körperertüchtigung, Qualität kommt von Quälen, sah ihr Ziel stets darin, jenen inneren Schweinehund zu überwinden, »Härte« zu zeigen gegen die »Schwächen« der eigenen Physis, der Indianer kennt keinen Schmerz.
Jugendliche sind keine Erwachsenen
Diese Tradition – Kniebeugen mit Gewicht, Liegestütze, den Muskelkater preisen – ist im Leistungssport noch heute tief verwurzelt, es gibt jedoch auch sogenannte moderne Trainer, die andere Ansätze pflegen. Werner Bartens, ein vielfach ausgezeichneter Arzt und Journalist, beschäftigt sich mit den Trainingsmethoden, die in Vereinen beim Training der Jugendlichen angewandt werden, und er mahnt zur Vorsicht.
Behutsamkeit gelte zwar auch für das Training der Erwachsenen, aber bei Kindern und Jugendlichen sei eben besondere Vorsicht geboten, denn, so simpel es klingt, sie seien keine Erwachsenen; dieses werde leider oft vergessen, zumal besonders im Training von Kindern und Jugendlichen zwar von ihrer Aufgabe begeisterte, jedoch leider wenig professionelle Übungsleiter arbeiten würden.
Er öffnet ein Fass
Und ja, es werde Wert gelegt auf frühe Erfolge und ständige Leistungsverbesserungen. Jedoch das unreflektierte Übertragen von Leistungsansprüchen der Erwachsenenwelt auf Kinder und Jugendliche funktioniert nicht bzw. richtet unerwarteten Schaden an. Besonders junge Sportler seien ungewöhnlich häufig von Sehnenleiden und Ermüdungsbrüchen betroffen.
Mit Fug und Recht lässt sich konstatieren, dass Werner Bartens mit seiner Publikation ein Fass öffnet; man fragt sich, weshalb die Öffentlichkeit diese Probleme nicht längst thematisiert hat. Sind wir für die realen Gefährdungen blind und taub geworden?
Langzeitschäden
Eine Handballmannschaft aus zwölf- bis dreizehnjährigen Mädchen wechselt komplett den Verein, weil ein neuer Trainer angekündigt wird: Mit dessen Trainingsmethoden seien, so einer der Väter, »nach einer Saison die Knie kaputt«. Nein? Kein Thema? Wie war das gleich? »Ein Herz für Kinder«? Ach, das handelte sich doch bloß um eine PR-Kampagne?
In welchem Ausmaß ehemalige Sportler unter Folgeschäden – Früharthrose, Knie- oder Hüftprothese, etc. – litten, das überrasche sogar Sportmediziner. Makaber daran sei, dass zwischen 46 und 80 Prozent dieser Schäden nicht aufgetreten wären, wenn sie als Kinder und Jugendliche angemessen trainiert hätten. Circulus vitiosus, vulgo: ein Teufelskreis.
Professionalisierung muss sein
Bartens verfasst ein lesenswertes Werk, er beleuchtet den Sport von diversen Seiten: die völlig unsinnige Ernährungshysterie, was Nahrungsergänzungen betrifft; das jedes Fair-play-Gebot konterkarierende Auftreten von grölenden Spielfeldrandmüttern, -vätern, -trainern; und all das, man bedenke, geschieht mit sieben- oder zehnjährigen Kindern. Die Verrohung des Fußballs setzt an seinen Randzonen ein.
Haarsträubend, doch es passt. Bartens weist darauf hin, dass Leistungsdenken und genauso die Gewaltbereitschaft durch den Sport gefördert werden. Ehrgeiz, Disziplin, Karrierestreben, Ellbogenmentalität seien in der modernen Gesellschaft erwünscht, und bruchlos ließe sich hinzufügen: Rücksichtslosigkeit, Foulspiel, Mobbing, etc.
Er schließt mit der Aufforderung zu einer Professionalisierung des Vereinstrainings und gibt eigene Hinweise für ein angemessenes Training mit Jugendlichen.
Titelangaben
Werner Bartens: Verletzt, verkorkst, verheizt
Wie Sportvereine und Trainer unsere Kinder kaputtmachen.
München: Droemer 2016
240 Seiten, 14,99 Euro
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