Ein ganz persönliches Bernhard-Requiem

Menschen | Porträt: Thomas Bernhard

An dem Tag, als Thomas Bernhard in seiner Gmundener Wohnung starb, am 12. Februar 1989 also, begann Österreich offensichtlich, ihn zu lieben. Von MIKE MARKART

Ich lebte zu dieser Zeit in Graz, Österreichs zweitgrößter Stadt. Als Thomas Bernhards Tod bekannt gegeben wurde, hielt ich mich gerade in der Innenstadt auf.

In Horden stürmten die Menschen in die Buchhandlungen, um turmhohe Stöße Bernhard-Bücher ins Freie zu schleppen. Vielleicht aus Angst, Bernhard könnte den Verkauf seiner Bücher in Österreich untersagen, wie er die Aufführung seiner Stücke innerhalb der österreichischen Grenzen untersagt hatte. (Diese Verfügung ist allerdings mittlerweile gelockert worden.)

Ganz unbegründet war diese Angst ja nicht, denn konservative Gruppen, angeführt von der unsäglichen Kronen Zeitung mit ihrem schwachsinnigen Hofnarren Wolf Martin, hatten sich jahrelang bemüht, den Alpenkönig der österreichischen Literatur als Menschenfeind darzustellen, das Volk mittels aus dem Zusammenhang gerissener Zitate gegen ihn aufzubringen.

Die Kampagne gegen die Aufführung des Bernhard-Stücks ›Heldenplatz‹ im Burgtheater war eine beispiellose Hetze gegen die Freiheit der Kunst. In der sich zwangsläufig auch die rechtsdrehende Haider-FPÖ zu Wort meldete und das Feindbild ›zeitgenössische Kunst‹ bleibend als Thema ihrer Propaganda verankerte. Prahlhans Haider war es ja auch, der Jahre später H. C. Artmann bezichtigte, er würde seine Tantiemen, Preise und Stipendien zum Branntweiner tragen. Und die Menge johlte dazu.

Erst mit ›Holzfällen‹, ›Alte Meister‹ und ›Auslöschung‹, seinen letzten Büchern sowie seinem letzten Stück ›Heldenplatz‹, geriet Bernhard so sehr ins Licht der Medien, fungierte er doch als jener Schelm, der einer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Und Kronen Zeitung und später auch die FPÖ spielten brav mit und rasteten aus. Zur Bestätigung der Bernhardschen Thesen.

»Ganz zu schweigen von dem auf allen Begräbnissen selbstverständlich mitmarschierenden sogenannten Kameradschaftsbund, der nichts anderes ist, als eine nationalsozialistische Organisation, wie ich denke, denn er denkt durch und durch nationalsozialistisch und die Leute tragen ja auch, wo sie gehen und stehen, heute wieder fortwährend ihre nationalsozialistischen Orden auf ihren Brüsten, ohne geringste Scham, und gerade heute schon wieder mit der größten Unverschämtheit ganz offen!« (Aus ›Auslöschung‹)

| MIKE MARKART
| TITELFOTO: Thomas.Bernhard.jpg: Thomas Bernhard Nachlaßverwaltung derivative work: Hic et nunc, Thomas Bernhard, CC BY-SA 3.0 DE

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